Bei einer Kundgebung von Fridays for Future hält eine Aktivistin ein Plakat mit der Aufschrift: "Ampel for future?"
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Ampel plant Änderungen Warum es Kritik am Klimaschutzgesetz gibt

Stand: 22.09.2023 10:24 Uhr

65 Prozent weniger CO2 bis 2030 - das hat sich Deutschland mit dem Klimaschutzgesetz vorgenommen. Jedes Ministerium muss dafür jährlich Einsparungen nachweisen. Das will die Ampel nun ändern. Warum? Was befürchten Kritiker? Ein Überblick.

Die Ampelkoalition will ein zentrales Gesetz im Klimaschutz ändern. Umweltverbände sind empört. Heute berät der Bundestag erstmals über einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Klimaschutzgesetzes, danach geht es in die parlamentarischen Beratungen.

Was ist das Klimaschutzgesetz?

Mit dem Klimaschutzgesetz wurden im Jahr 2019 die Klimaschutzziele in Deutschland erstmals verbindlich geregelt. Verantwortlich für die Regelung war die damals regierende Große Koalition mit Kanzlerin Angela Merkel. Für einzelne Sektoren wie Industrie, Energiewirtschaft, Verkehr und Gebäude wurden bis 2030 zulässige Jahresemissionsmengen festgelegt.

Kernpunkt war folgender Mechanismus: Wenn Sektoren Vorgaben verfehlen, müssen die zuständigen Ressorts der Bundesregierung in Form von Sofortprogrammen nachsteuern - um die Einhaltung der Emissionsmengen sicherzustellen. Im vergangenen Jahr überschritten die Sektoren Gebäude und Verkehr die gesetzlichen Zielwerte. Die Regierung legte ein generelles Klimaschutzprogramm vor, damit eine "Klimalücke" beim Einsparen von Treibhausgasen kleiner wird - und sah damit die Pflicht zum Nachsteuern im Verkehr und bei Gebäuden als erfüllt an.

Wie lauten die deutschen Klimaziele?

Bis 2030 will Deutschland 65 Prozent Treibhausgase weniger ausstoßen als 1990. Zurzeit beträgt die Minderung laut Umweltbundesamt rund 41 Prozent. Bis 2045 will Deutschland laut selbst gestecktem Ziel klimaneutral sein, also nicht mehr Treibhausgase ausstoßen als auch wieder gebunden werden können.

Was soll sich nun ändern?

Laut Gesetzentwurf der Bundesregierung soll die Einhaltung der Klimaziele nicht mehr rückwirkend nach den verschiedenen Sektoren kontrolliert werden - sondern in die Zukunft gerichtet, mehrjährig und sektorübergreifend. Die Bundesregierung als Ganzes soll künftig entscheiden, in welchem Sektor und mit welchen Maßnahmen die zulässige CO2-Gesamtmenge bis 2030 erreicht werden soll - allerdings erst, wenn es zwei Jahre in Folge zu einer Zielverfehlung kommt. Vorgaben zur Emissionsminderung in den einzelnen konkreten Sektoren sollen damit abgeschafft werden.

Mit der Reform des Klimaschutzgesetzes folgt die Ampel nun dem Beispiel anderer Ländern mit Klimaschutzgesetzen wie Großbritannien, Finnland oder Schweden. Auch dort sind nur Gesamteinsparungen festgehalten. Jahresgenaue, gesetzlich verbindliche Sektorziele jedoch nicht.

Wie stehen die Grünen zum neuen Klimaschutzgesetz?

Für die Grünen ist die Aufhebung der Sektorziele ein Zugeständnis an die FDP. Auch wenn Klimaschutzminister Robert Habeck bei der Vorlage der Pläne im Juni darauf hinwies, dass die Ressorts, in deren Zuständigkeit Klimaziele verfehlt werden, weiter eine "politische Verantwortung" tragen.

Habeck gibt zu Bedenken, dass das bisherige Gesetz auf dem Papier gut aussehe, in der Realität aber zu wenig bewirkt habe. Bei der Vorstellung der neuen Pläne kommentierte er lakonisch: "Da war jetzt keine große Begeisterung. Weder auf meiner Seite noch auf Seiten der Grünen. Aber es ist eben Teil eines Aushandlungsprozesses gewesen." Heißt übersetzt: Die Grünen hätten gerne am Klimaschutzgesetz festgehalten. Das wollte die FDP aber nicht.

Warum sieht die FDP das bisherige Gesetz kritisch?

Schon bei den Koalitionsverhandlungen 2021 drängte die FDP auf eine Reform des Klimaschutzgesetzes. Die Grünen setzten im Gegenzug durch, dass der Kohleausstieg um acht Jahre auf 2030 vorgezogen werden soll. "Die alte Planung der Großen Koalition war Planwirtschaft pur. Man hat in Jahresplänen und Sektoren gedacht. Das sind Begriffe, die man aus ganz anderen Wirtschaftssystemen eigentlich kennt. Deswegen ist es grundfalsch", sagte FDP-Fraktionschef Christian Dürr.

Die FDP stellt mit Volker Wissing den Verkehrsminister, der Verkehr ist eines der Klima-Sorgenkinder. "Wir können diese CO2-Emissionen nicht beliebig kurzfristig reduzieren, weil wir mobil sein müssen", sagte der FDP-Politiker in einem Interview. "Insofern haben wir im Mobilitätsbereich ein Problem." Wissing betont gerne, dass er auf die langfristige Wirkung des technologischen Wandels im Autoverkehr setzt. Weg vom Verbrenner, hin zu Elektroautos, die mit grünem Strom angetrieben werden. Bis sich dies signifikant bei der CO2-Bilanz des Verkehrs bemerkbar mache, brauche es schlichtweg noch einige Jahre. CO2-Einsparungen in anderen Sektoren seien vorläufig leichter zu erreichen. Kritiker dagegen werfen Wissing eine Blockadehaltung vor. Um Ziele im Verkehr einzuhalten, gibt es viele Vorschläge von Umweltverbänden: ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen, einen Abbau der steuerlichen Vorteile von Dienstwagen oder eine Umgestaltung der Pendlerpauschale - alles politisch sehr umstritten.

FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner sagte im Juni, die Ambition der Regierung bleibe hoch, aber die Umsetzung erfolge marktwirtschaftlicher. Künftig könne und solle Klimaschutz dort beschleunigt werden, wo die Effizienz am größten ist. "So können wir unrealistische Vorgaben in Sektoren wie Mobilität und Gebäuden, die zu drastischen Eingriffen in den Alltag der Menschen führen müssten, abwenden."

Warum steht die Reform in der Kritik?

Die Bewegung "Fridays for Future" kritisierte, das Klimaschutzgesetz solle durch die de-facto-Abschaffung der Sektorziele um sein Herzstück beraubt werden.

Greenpeace-Sprecher Thilo Maack sagte: "Deutschland hängt beim Klimaschutz nachweislich hinterher und dieses Klimaschutzgesetz will das Tempo weiter drosseln - das darf nicht passieren." Die Klimakrise sei zu gefährlich, um die nötigen Maßnahmen mit langwierigen Überprüfungen weiter auszusitzen. "Wenn das Haus brennt, braucht man kein Thermometer, man braucht dann einen Feuerlöscher."

Die Politische Geschäftsleiterin der Klima-Allianz Deutschland, Stefanie Langkamp, sagte, das Klimaschutzgesetz müsse gestärkt und nicht geschwächt werden. Ein Rechtsbruch jage den nächsten. Die Sektoren Verkehr und Gebäude hätten wiederholt Ziele gebrochen, ohne dass die Regierung ernsthaft nachgelegt habe. Das sei "absolut inakzeptabel". BUND-Energieexperte Oliver Powalla sagte, mit der geplanten Abschaffung der Sektorziele verliere das Klimaschutzgesetz seine bisherige Stärke. Eine Gesamtrechnung verschleiere den Handlungsdruck in den Sektoren.

Kritik kommt auch vom Bundesverband der Deutschen Industrie - aber mit einem anderen Fokus. Der stellvertretende Hauptgeschäftsführer Holger Lösch sagte, die Bundesregierung bestätige mit der Novelle des Gesetzes erneut die "sehr ehrgeizigen" Klimaziele Deutschlands. "Unklar bleibt jedoch weiterhin, wie diese Ziele erreicht werden sollen." Die hohen Energiekosten seien eine enorme Belastung für die Industrie. "Die Bundesregierung muss schnell abgestimmte Antworten finden, um die drohenden Verlagerungen von Investitionen und Produktion ins Ausland zu verhindern."

Auch aus der Union kommt Kritik: Die Ampel entkerne das Klimaschutzgesetz und stelle so die Verlässlichkeit des Wegs zur Klimaneutralität 2045 in Frage, moniert etwa der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Andreas Jung, in der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten". Das Vorhaben sei der "klimapolitische Offenbarungseid der Ampel". Jung äußerte Unverständnis darüber, dass die Grünen die Reform mittragen. "Wäre das ein CDU-Gesetz, die Grünen würden auf allen Marktplätzen der Republik demonstrieren", sagte er.

Jan Zimmermann, ARD Berlin, tagesschau, 22.09.2023 09:09 Uhr