FDP-Chef Lindner bei einer Wahlkampfveranstaltung seiner Partei in Oldenburg.
Analyse

FDP in der Ampel-Koalition Zwischen Frust und Verantwortung

Stand: 04.10.2022 09:27 Uhr

Für die mitregierende FDP wird der Spagat zwischen Krisenmanagement und eigenen Grundsätzen schwieriger. Die Partei ist im Dilemma - und jetzt ist auch noch Landtagswahl in Niedersachsen.

Eine Analyse von Philipp Eckstein und Frank Jahn, ARD Berlin

Es ist eine kleine, aber laute Gruppe, die versucht, Christian Lindner bei einem Wahlkampfauftritt in Wolfsburg niederzubrüllen. Der FDP-Chef und Bundesfinanzminister lässt sich nicht beeindrucken. "Ich werden länger sprechen, als ihr Luft habt zu schreien", ruft er den Störern zu, die ihn als Kriegstreiber und Volksverräter schmähen. Er habe mehr Durchhaltefähigkeit als sie, denn er stehe für die richtige Sache, das gebe Kraft. Lindner bekommt dafür Applaus von vielen Zuhörerinnen und Zuhörern.

Mit dem FDP-Chef kommt Hauptstadtprominenz auf die niedersächsischen Wahlkampfbühnen. Es lenkt aber auch den Blick auf die Probleme in der Ampel-Koalition in Berlin. Lindner ist Finanzminister einer Regierung im Krisenmodus. Russland, Ukraine, Energiepreise, Inflation - die große Politik wirft ihren Schatten auch auf den Wahlkampf in Niedersachsen. Der Spitzenkandidat der FDP, Stefan Birkner, bestätigt das im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio. Seine Partei bemühe sich, auch landespolitischen Themen mehr Gehör zu verschaffen, aber: "Natürlich dominiert im Moment, die Krise und die Krisenbewältigung."

Bundespolitik statt Landespolitik

In Berlin ist die FDP bemüht zu betonen, dass Landtagswahlen und Bundespolitik zwei unterschiedliche Dinge seien. "Wir machen uns frei davon", sagt FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. Doch er räumt auch ein: Er würde lügen, wenn er sage, dass die Landtagswahlen "nicht die Stimmung beeinflussen würden".

Die Abstimmung in Niedersachsen am nächsten Sonntag ist die letzte Landtagswahl in diesem Jahr. Im NiedersachsenTrend von Infratest dimap vor der Wahl liegt die FDP bei fünf Prozent. Es besteht also die Gefahr, bei der Wahl aus dem Landtag zu fliegen. Nicht zuletzt nach den für die FDP enttäuschenden Ergebnissen bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen wäre das ein Debakel, dessen Auswirkungen bis in die Bundeshauptstadt zu spüren wären.

Enttäuschte FDP-Anhänger

Ein Problem im Wahlkampf: Aus Berlin kommt - trotz vieler gemeinsamer Wahlkampfauftritte - nicht viel Rückenwind. Das Bild, das die Ampel im Bund abgibt, enttäuscht viele FDP-Anhängerinnen und -Anhänger. Frust schlägt der Parteispitze aus den eigenen Reihen entgegen. Sei es die Berufung von Ferda Ataman zur Antidiskriminierungsbeauftragen, sei es die Corona-Politik, sei es das Hin- und Her bei der Gasumlage oder der Kampf um die Schuldenbremse - immer wieder muss die Parteispitze erklären, dass sie in einer Koalition Kompromisse eingehen muss.

Obwohl die FDP nicht den Wirtschaftsminister stellt, soll sie die hohen Erwartungen der eigenen Klientel gerade an die Wirtschafts- und Energiepolitik der Bundesregierung erfüllen. Die Liberalen in Stralsund in Mecklenburg-Vorpommern verschickten kürzlich eine Pressemeldung unter dem Titel: "Der FDP Kreisverband geht auf Distanz zur Bundespolitik" und urteilten: "Nach einem Jahr Ampel-Koalition ist das bittere Ergebnis eine katastrophale Wirtschaftspolitik." Das zielt im Kern auf den grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck, trifft aber die eigenen Leute in der Regierung mit.

Beispiel Atomkraft

Gerade beim Thema Atomkraft wird deutlich, wie groß der Konflikt mit den Grünen innerhalb der Regierung ist. Die FDP fordert vehement, die letzten Atomkraftwerke deutlich länger laufen zu lassen. Nicht nur Lindner nutzt seit Wochen fast jede Rede, jedes Interview, um das Thema anzusprechen. Und doch hatte die FDP innerhalb der Bundesregierung bei dem Thema bislang nur wenig Erfolg. Der mögliche Weiterbetrieb von lediglich zwei AKW bis April 2023 ist für die FDP zwar ein richtiger Schritt, den sie sich selbst auf die Fahnen schreibt, aber aus FDP-Sicht immer noch deutlich zu wenig. Im Wahlkampfendspurt in Niedersachsen - aber auch in Berlin - dürfte das strittige Thema vermutlich weiter für Diskussionen sorgen. 

Eine "kommunikationsintensive" Koalition

Spitzenpolitiker der FDP betonen aktuell wieder häufig, dass die Ampel-Koalition nie der Wunsch der Partei gewesen sei. Viele Anhängerinnen und Anhänger tun sich weiter mit dem Bündnis schwer. Dennoch lässt die FDP keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie weiter hinter der Entscheidung steht. "Selbstverständlich ist diese Koalition sehr kommunikationsintensiv", sagt FDP-Generalsekretär Djir-Sarai dem ARD-Hauptstadtstudio. Aber sie sei immer in der Lage "gute Lösungen für das Land zustande zu bringen", sagt er auch mit Blick auf die drei bisherigen Entlastungspakete.

Kampf um die Schuldenbremse

Oder auch der "Doppel-Wumms". Vergangene Woche verkündete Lindner gemeinsam mit Bundeskanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck Hilfen von bis zu 200 Milliarden Euro im Kampf gegen die hohen Energiepreise. Auch dieses Paket wird wesentlich durch neue Schulden finanziert werden. Die Schuldenbremse 2023 soll dennoch gewahrt werden, möglich macht das erneut die Verwendung eines sogenannten Sondervermögens. Es braucht wenig Fantasie, um sich vorzustellen, was die Partei in Oppositionszeiten zu dieser Art der Haushaltsführung gesagt hätte.

Und doch: Kritik am Parteichef ist in der FDP kaum zu hören. Dass er beispielsweise die Schuldenbremse trotz heftiger Kritik von SPD und Grünen im Grundsatz weiter verteidigt, stößt auf Zustimmung. Immer wieder wird betont, die FDP stelle sich der Verantwortung und verhindere in der Regierung auch Schlimmeres. Oder, wie es Lindner bei seinem Wahlkampfauftritt in Wolfsburg ausdrückt: "Es ist immer besser in einer Regierung dafür zu sorgen, dass das Land in der Mitte bleibt, als in der Opposition zu beobachten, wie ein Land nach links geführt wird."

Die Wahl am 9. Oktober in Niedersachsen mag eine Landtagswahl sein. Fliegt die Partei dort jedoch aus dem Landtag, dürfte das Regieren in Berlin unangenehmer werden.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete der NDR in der Sendung Hallo Niedersachsen am 29. September 2022 um 19:30 Uhr.