
Gesundheitswesen Was die Teil-Impfpflicht gebracht hat
Zum Jahresende endet die Corona-Impfpflicht für Beschäftigte in Gesundheitsberufen. Die Bilanz fällt bei Betroffenen, Fachleuten und in der Politik unterschiedlich aus.
Margarete Vehrs leitet ein Seniorenheim in Mainz. Sie fasst ihre Bilanz der einrichtungsbezogenen Impfpflicht so zusammen: "Für uns war es vor allem: Belastung und Bürokratie". Die Erfassung von Nachweisen für das zuständige Gesundheitsamt; das Gefühl, von der Politik unter Druck gesetzt zu sein - dabei sei das Personal während der Pandemie ohnehin an der Belastungsgrenze und die Impfquoten auch ohne die Pflicht sehr hoch gewesen.
Seit März gilt die Impfpflicht für den Pflege- und Gesundheitsbereich, nun läuft sie zum Jahresende aus. Von April bis Oktober mussten Pflegeeinrichtungen ihre aktuellen Impfquoten an das jeweilige Bundesland oder das Robert Koch-Institut übermitteln. In diesem Zeitraum lag die Quote der Beschäftigten mit mindestens zwei Impfungen bei durchweg mehr als 93 Prozent.
Neuere Virusvarianten
Zuvor hatte das RKI die Impfquoten anhand freiwilliger Meldungen von Pflegeheimen ermittelt. Die Impfquote beim Personal hatte demnach im Januar bei 89,3 Prozent gelegen, im Februar bei 91,7. Die Zahlen vor und nach Inkrafttreten der Impfpflicht lassen sich allerdings nur schwer vergleichen, da die Datengrundlage eine andere ist.
Das Bundesgesundheitsministerium jedenfalls wertet die Entwicklung der Impfquoten positiv. Diese seien "beachtlich", heißt es auf Anfrage. "Das ist insbesondere der Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht vor Ort zu verdanken."
Dass die Impfpflicht nun auslaufe, begründet das Ministerium auch mit dem Aufkommen neuerer Virusvarianten. Die Impfung schütze zwar auch unter der vorherrschenden Omikron-Variante immer noch sehr gut vor schweren Krankheitsverläufen, die Weitergabe des Virus an andere Personen könne aber nicht ausgeschlossen werden.
Veränderte Immunitätslage
Unter anderem aus diesem Grund, dem nachlassenden Fremdschutz, halten auch Fachleute das Ende der Pflicht für sinnvoll. "Es war eine richtige Entscheidung, die Impfpflicht zu etablieren und genau so richtig ist es, sie jetzt wieder aufzulösen", bilanziert Professor Peter Kern, Leiter der Klinik für Immunologie am Klinikum Fulda.
Verändert habe sich auch die Immunitätslage: Inzwischen seien sehr viele Patienten sowie Heimbewohner durch die Impfung oder aber durch Infektion immunisiert. Hinzu komme, dass sich individuelle Risikofaktoren besser identifizieren ließen und es inzwischen deutlich bessere Therapiemöglichkeiten bei einer Corona-Infektion gebe, schildert Kern.
"Die Grundvoraussetzungen für die einrichtungsbezogene Impfpflicht haben sich geändert", sagt auch Christel Bienstein, Präsidentin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe. "Aus unserer Sicht wäre sie in Kombination mit einer allgemeinen Impfpflicht nützlich gewesen. Da diese aber nicht durchgesetzt wurde und sich bei den aktuellen Varianten des Virus gezeigt hat, dass man trotz Impfung das Virus weitergeben kann, lässt sich die Impfpflicht nicht mehr halten."
Bienstein kritisiert darüber hinaus, wie die Impfpflicht in den Bundesländern umgesetzt wurde. So gab es etwa in Rheinland-Pfalz mehr als 1900 Bußgeldverfahren gegen Beschäftigte, die keinen Impfnachweis vorgelegt haben; die rheinland-pfälzischen Gesundheitsämter haben zudem rund 180 Betretungsverbote gegen ungeimpfte Beschäftigte ausgesprochen. In anderen Bundesländern wie Bayern gab es dagegen weder Bußgelder noch Betretungsverbote, wie das bayerische Gesundheitsministerium mitteilt.
"Aufs falsche Pferd gesetzt"
Die Gesundheitsämter hätten glücklicherweise insgesamt mit Augenmaß agiert, sagt Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Es sei absehbar gewesen, dass etwa acht Prozent des Personals für die Impfung nicht zu erreichen sei. Größere Ausfälle könnten sich Heime und Kliniken wegen der schwierigen Personalsituation gar nicht leisten.
"Die Politik hat mit der Impfpflicht aufs falsche Pferd gesetzt", sagt Brysch. Stattdessen müssten grundsätzliche Hygienekonzepte ausgeweitet werden: etwa flächendeckende Tests auf Viren und Keime wie Corona, Grippe oder MRSA zu Beginn eines Krankenhaus- oder Pflegeheimaufenthalts. Deutschland habe hier im internationalen Vergleich noch großen Nachholbedarf.
Am 31. Dezember endet die Impfpflicht. Von Januar an neu beschäftigtes Personal muss dann keinen Impfnachweis mehr vorlegen. Auch Angestellte, gegen die ein Betretungsverbot ausgesprochen wurde, dürfen dann wieder arbeiten, wie es aus dem rheinland-pfälzischen Gesundheitsministerium heißt.