CDU-Chef Friedrich Merz und NRW-Regierungschef Hendrik Wüst beim Sommerfest der Landesvertretung Nordrhein-Westfalen.
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K-Frage in der CDU Ein Hauch von Machtprobe

Stand: 27.06.2023 11:25 Uhr

Seit Hendrik Wüst in NRW regiert, hat er in den Kontrollmodus geschaltet. Bloß keine Fehler machen. Umso bemerkenswerter sind seine zweideutigen Äußerungen zur Kanzlerkandidatur. Eine Kampfansage an Friedrich Merz?

Eine Analyse von Jochen Trum, WDR

Seit Hendrik Wüst in Düsseldorf regiert, ist dort ein Wort in aller Munde: kontrolliert. Beobachter wie Politiker, gleich welcher Partei sie angehören, beschreiben damit einen der auffälligsten Züge des Ministerpräsidenten - seinen unbedingten Wunsch, die Dinge unter Kontrolle zu halten. Und seinen Willen, Fehler zu vermeiden.

Beherrschtheit, Disziplin, Vorsicht - das sind herausstechende Merkmale des 47 Jahre alten Münsterländers, der in seinen früheren, bisweilen ungestümen Jahren als rauflustiger Generalsekretär der NRW-CDU gezeigt hat, dass er auch anders kann. Als er sich aber vor gut anderthalb Jahren anschickte, die Nachfolge von Armin Laschet anzutreten, schaltete Wüst in den Kontrollmodus. Jeder Satz ist seitdem überlegt, sprachliche Ausflüge in unwegsames Gelände meidet er wie der Teufel das Weihwasser.

Ehrgeiziger Angreifer?

Es ist deshalb etwas verwunderlich, dass Wüst genau jetzt, zum einjährigen Bestehen des ersten schwarz-grünen Bündnisses in Nordrhein-Westfalen, mit einem ganz anderen Thema bundesweit Schlagzeilen macht - nämlich mit seinem Verhältnis zu Friedrich Merz. Die über mehrere Wochen vorgetragenen Spitzen gegen den Unionschef verdichteten sich plötzlich zum Bild eines ehrgeizigen Angreifers, der selbst die Kanzlerkandidatur für sich beansprucht.

Der Versuch, die eigene Bedeutung als Ministerpräsident zu heben, sich zu profilieren, zur Not auch gegen andere, drohte außer Kontrolle zu geraten - ausgerechnet ihm, dem Kontrollfreak. In der Partei, auch im eigenen Landesverband, wurden Christdemokraten unruhig. Ein Ministerpräsident, den man auch für Höheres geeignet hält, schön und gut. Aber ein offener Angriff auf den eigenen Frontmann Merz, das ging zu weit. Von drohender Demontage war die Rede.

Auslöser war ein Gastbeitrag in der FAZ. "Das Herz der CDU schlägt in der Mitte" lässt sich eben auch lesen als Fundamentalkritik am Kurs von Partei- und Fraktionschef Merz. Anders als der 67-Jährige Sauerländer gilt Wüst inzwischen als Angehöriger des liberalen Flügels der CDU. Diesen Imagewandel hat er selbst in die Wege geleitet. Fotos mit Kinderwagen, Eröffnung des Christopher-Street-Days in Köln oder die Verleihung des Staatspreises NRW an Angela Merkel - Wüst ließ kaum eine Gelegenheit aus, sich als Anti-Merz in Szene zu setzen. Freundliche Worte über den Fraktionschef dagegen kamen ihm kaum über die Lippen. 

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst und CDU-Chef Friedrich Merz nach der Sitzung des CDU-Bundesvorstands in der Parteizentrale.

Ein Hauch von Machtprobe: NRW-Ministerpräsident Wüst und CDU-Chef Merz

Der Chef schlägt zurück

Vielleicht hat Wüst die Gereiztheit von Merz unterschätzt. Dass der auf einmal, zur besten Sendezeit im ZDF, zurückkeilte, indem er Wüst die hohen Umfragewerte der AfD auch in NRW vorhielt, war womöglich nicht eingeplant. Prompt drohte die Debatte zu einem handfesten Krach zu werden, zur absoluten Unzeit aus Sicht vieler in der CDU. Dass es für Merz selbst besser laufen könnte, tut sein Übriges: Provokant-populistische Äußerungen wie die über vermeintliche "kleine Paschas" oder die Bewertung des umstrittenen Auftritts von Claudia Pechstein auf dem CDU-Konvent in Uniform als "brillant" quittieren auch etliche in der NRW-CDU mit Unverständnis. 

Der "liebe Friedrich Merz" beim Sommerfest

Erst als Merz und Wüst auf dem Sommerfest der NRW-Landesregierung in Berlin vergangene Woche demonstrativ gemeinsam Bier tranken, setzte die parteiinterne Entspannungspolitik ein. Als "lieber Friedrich Merz" hatte der Gastgeber ihn zuvor vor mehr als 1500 Gästen begrüßt. Kurz darauf in Düsseldorf nutzte Wüst eine gemeinsame Pressekonferenz mit seiner Koalitionspartnerin, der grünen Wirtschaftsministerin Mona Neubaur, für eine regelrechte Charmeoffensive. Es fielen Sätze wie "Friedrich Merz hat Recht" oder "Ich sehe das auch so" mit Blick auf die Herausforderung durch die AfD. Mit Blick auf das geplante neue CDU-Grundsatzprogramm sprach Wüst gar davon, es sei "das große Verdienst von Friedrich Merz als Parteichef", den Prozess für unterschiedliche Positionen geöffnet zu haben. Wüst zog die verbale Notbremse.  

Hendrik Wüst weiß, dass viele seiner Parteifreunde im Landesverband und auch in der NRW-Landesgruppe der Bundestagsfraktion kritisch auf Merz blicken. Dessen verbale Attacken, den stellenweise als populistisch empfundenen Kurs - das sieht man im mitgliederstärksten Landesverband mit gemischten Gefühlen. Die NRW-CDU versteht sich traditionell als eine Partei der Mitte, in der das Liberale, das Christliche und das Konservative ihren Platz haben. Aber eben in der Kombination. Auch sieht man sich gern als das "soziale Gewissen" der Partei. Das gilt seit den Tagen Karl Arnolds, des ersten frei gewählten Regierungschefs in NRW nach dem Krieg. Politiker wie Norbert Blüm, Jürgen Rüttgers und Armin Laschet haben daran stets anzuknüpfen versucht.

Wüst steckt in der Zwickmühle

Will Wüst wirklich Kanzler werden? Mag sein, aber in der NRW-CDU sind sich die allermeisten sicher, dass Merz die Kandidatur ohnehin nicht zu nehmen sein wird. "Wenn der Friedrich das will, dann wird er es auch", sagt ein Christdemokrat aus dem Ruhrgebiet. Und an Merz' Willen zweifelt kaum jemand. Das wisse auch Wüst.

Der Ministerpräsident sieht sich im strategischen Dilemma. Steht ihm der Wille, nach Berlin zu wechseln, allzu offensichtlich auf der Stirn geschrieben, gilt er womöglich schnell als Störenfried. Verzichtet er aber generös auf jedweden Anspruch, könnte er eine ganz andere Debatte am Hals haben: Dann gilt er als ambitionslos, der sichere Weg in die politische Provinzialität. Als SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft 2013 durch ein deutliches "Nie, nie" möglichen Kanzlerinnenträumen abschwor, ist genau das passiert.  

Die jüngsten Turbulenzen führen in Nordrhein-Westfalen auch deswegen zu viel Unruhe in der Partei, weil es bei den Verantwortlichen ungute Erinnerungen an die Kanzlerkandidatur von Laschet hervorruft. Soll der Landesverband schon wieder, nach nur kurzer Ruhephase, in den Strudel der Bundespolitik geraten? Das eigentliche Projekt, mit einer schwarz-grünen Koalition den Umbau des Landes zur "ersten klimaneutralen Industrieregion Europas" zu machen, wie es im Koalitionsvertrag heißt, könnte darüber unter die Räder kommen. Und damit auch die Aussichten, die Macht an Rhein und Ruhr zu verteidigen.

Schwarz-Grün ist mit sich zufrieden

Denn aus landespolitischer Sicht sind Schwarze und Grüne in Düsseldorf nach zwölf Monaten sichtlich mit sich selbst zufrieden. Am 27. Juni vor einem Jahr setzten sie ihre Unterschriften unter den Koalitionsvertrag. Zentrale Projekte sind auf den Weg gebracht, aber man habe noch "Riesenaufgaben" vor sich, so Wüst. "Ich mach' lieber geräuschlos und es bewegt sich was", sagt er mit Blick auf die öffentlich ausgetragenen Konflikte in der Berliner Ampel. Und seine Koalitionspartnerin Neubaur, die eine Vorliebe für pathetische Metaphern hat, wird lyrisch: "Wir reichen uns die Hände über diese Brücke." Die Koalition mache "enkeltaugliche Politik", was aus dem Munde einer Grünen ein Qualitätssiegel für politische Nachhaltigkeit sein soll.

Es stimmt, große Konflikte haben CDU und Grüne nicht ausgetragen, obwohl es dafür durchaus Gelegenheiten gegeben hätte. Die Strategie von Wüst, sich aus Konflikten möglichst herauszuhalten, den Fachministern häufig das Feld zu überlassen, finden nicht alle gut. Vor allem die Opposition lässt kein gutes Haar an Schwarz-Grün. Wüst sei "kein aktiver Gestalter", er regiere das Land "im Schlafwagen", befindet SPD-Fraktionschef Jochen Ott. Auch FDP-Chef Henning Höne wirft der Koalition Stillstand vor. Der Ministerpräsident entpolitisiere, es fehle ihm an Gestaltungswillen. Stattdessen gebe es "Spielereien um die Kanzlerkandidatur". Und weiter: "Nichts von der Energie, die da reingesteckt wird, löst ein Problem der Menschen hierzulande." 

Was den letzten Satz anlangt, dürfte es in diesen Tagen Christdemokraten in NRW geben, die das genauso sehen.

Niklas Schenk, WDR, tagesschau, 27.06.2023 11:42 Uhr