Ein Mitglied der Bundeswehr trainiert auf einem Übungsplatz nahe Kaiserslautern mit einem Maschinengewehr. | REUTERS

Jede Menge Baustellen Was bei der Bundeswehr zu tun ist

Stand: 17.01.2023 10:35 Uhr

Auf den neuen Verteidigungsminister warten jede Menge Probleme. Einarbeitungszeit dürfte ihm kaum gewährt werden. Vieles drängt, etwa die Panzer-Problematik. Was zu tun ist - ein Überblick.

Christine Lambrecht ist am Amt der Verteidigungsministerin gescheitert, sie ist nicht die Erste. Der Posten gehört wohl zu den schwierigsten im Kabinett. Seit dem russischen Krieg in der Ukraine sind die Herausforderungen noch einmal mehr gewachsen. Defizite bei der Bundeswehr traten schonungslos zu Tage. "Wir brauchen Flugzeuge, die fliegen, Schiffe, die in See stechen, und Soldatinnen und Soldaten, die für ihre Einsätze optimal ausgerüstet sind", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz bei seiner Zeitenwende-Rede am 27. Februar 2022 im Bundestag. Die Realität bei der Bundeswehr sieht oftmals anders aus. Was jetzt zu tun ist für den neuen Verteidigungsminister - ein Überblick.

Mühsame Rückkehr zur Landes- und Bündnisverteidigung

Mit dem Ende des Kalten Krieges rückte seit den 1990er-Jahren die Landes- und Bündnisverteidigung in den Hintergrund. Da Deutschland praktisch von Freunden umgeben war, konzentrierte sich die Bundeswehr zunehmend auf Auslandseinsätze wie in Afghanistan als zentrale Aufgabe. Für diese benötigte die Truppe mobile Einheiten und nicht Hunderte Kampfpanzer oder Artillerie-Geschütze, um Deutschlands Staatsgebiet zu verteidigen. Spätestens mit Russlands Überfall auf die Ukraine wurde klar, dass dies eine Fehleinschätzung war. Nun vollzieht die Bundesregierung eine mühsame Kehrtwende.

Massive Ausrüstungsmängel

Mit dem Wegfall der Bedrohung durch die Sowjetunion wurde auch bei der Bundeswehr radikal gespart. Heute fehlt es der Truppe praktisch in allen Bereichen an Material und Waffensystemen. Bundeskanzler Scholz (SPD) kündigte deshalb nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs im Februar 2022 ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro an. Es dauerte dann aber bis Dezember, bis erste Rüstungsvorhaben auf den Weg gebracht wurden, darunter der Kauf von F-35-Kampfjets aus den USA.

Mangel an Munition

Wie dramatisch die Lage bei der Bundeswehr ist, zeigt auch die Verfügbarkeit von Munition. Derzeit könnte die Truppe nach Berichten über interne Einschätzungen im Ernstfall nur wenige Tage durchhalten - danach hätte sie nichts mehr zu verschießen. Die Vorgaben der NATO sehen vor, dass ihre Mitgliedstaaten bis 2031 Munition für 30 Tage vorhalten müssen. Dafür wären laut Verteidigungsministerium bei der Bundeswehr mindestens 20 Milliarden Euro notwendig. Für das laufende Jahr sind bisher nur 1,1 Milliarden Euro vorgesehen.

Zwei-Prozent-Ziel der NATO

Nach Russlands Angriff auf die Ukraine sicherte Scholz zu, Deutschland werde das bereits 2014 vereinbarte NATO-Ziel bei den Verteidigungsausgaben "von nun an - Jahr für Jahr" erreichen. Doch die zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts wird Deutschland wohl auch dieses Jahr noch nicht schaffen. Nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) wird dies voraussichtlich erst 2024 und 2025 der Fall sein, weil dann Ausgaben aus dem Sondervermögen zu Buche schlagen und der eigentliche Verteidigungshaushalt in diesem Jahr sogar leicht sinkt.

Und in der NATO wird bereits über noch höhere Verteidigungsausgaben diskutiert. Nach Angaben von Generalsekretär Jens Stoltenberg will ein Teil der Alliierten das derzeitige Zwei-Prozent-Ziel deutlich verschärfen. Demnach soll der gegenwärtige Zielwert von zwei Prozent zu einem Mindestwert werden.

Schwerfällige Führungsstrukturen

Die Bundeswehr gilt in ihren Entscheidungs- und Führungsstrukturen als schwerfällig und schlecht organisiert. Unter Lambrecht nahm immerhin ein schon länger geplantes territoriales Führungskommando in Berlin die Arbeit auf. Es soll bisher auf mehrere Bereiche verteilte Aufgaben im Inland bündeln und so schnellere Entscheidungen in Krisensituationen ermöglichen. Dringend reformbedürftig ist weiter das Beschaffungswesen der Bundeswehr. Zuständig für Anschaffungen ist das Bundesamt für Wehrtechnik in Koblenz - es gilt als überbürokratisiert und unterbesetzt.

Defizite bei Digitalisierung

Teile der Bundeswehr sind noch nicht im digitalen Zeitalter angekommen. Zwar richtete die Bundeswehr bereits 2017 ein Cyberkommando als eigenständigen militärischen Organisationsbereich ein. Wenn es aber um die Vernetzung von Waffensystemen oder den Einsatz Künstlicher Intelligenz geht, herrscht Nachholbedarf. Und selbst digitale - und damit abhörsichere - Funkgeräte fehlen in der Truppe vielfach noch. 

Waffenlieferungen an die Ukraine

Lambrecht hat Scholz' zurückhaltende Linie bei Waffenlieferungen an die Ukraine ohne Wenn und Aber mitgetragen. Deutschland lieferte zwar schließlich auch schwere Waffen wie Flugabwehrpanzer und Haubitzen, aber oft erst auf massiven Druck aus dem In- und Ausland. Erst vor Kurzem entschloss sich die Bundesregierung nach einer monatelangen Hängepartie, der Ukraine auch "Marder"-Schützenpanzer zur Verfügung zu stellen. Nun dreht sich die Lieferdebatte um Kampfpanzer vom Typ "Leopard" und dürfte angesichts des verlustreichen Abnutzungskriegs in der Ukraine wohl auch danach nicht enden.

Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 17. Januar 2023 um 10:00 Uhr.