Julian Reichelt sitze in einem Sessel.

Bundesverfassungsgericht Polemischer Reichelt-Post ist rechtens

Stand: 16.04.2024 12:21 Uhr

Im Streit um Kritik an der Bundesregierung gibt Karlsruhe dem Journalisten Julian Reichelt Recht. Die Verfassungsrichter verweisen auf die Meinungsfreiheit. Der Staat müsse polemische Kritik aushalten.

Im August 2023 hatte der frühere Chefredakteur der Bildzeitung, Julian Reichelt, die Bundesregierung scharf kritisiert. Beim Kurznachrichtendienst X schrieb Reichelt: "Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!). Wir leben in einem Irrenhaus, in einem absoluten, kompletten, totalen, historisch einzigartigen Irrenhaus. Was ist das nur für eine Regierung?!"

Verlinkt war dabei ein längerer Artikel mit der Überschrift: "Deutschland zahlt wieder mehr Entwicklungshilfe an Afghanistan."

Kammergericht Berlin untersagte Tweet

Auf Antrag der Bundesregierung untersagte ihm das Kammergericht Berlin die Kurznachricht auf X. Begründung: Sie sei eine unwahre Tatsachenbehauptung. Sie stelle auch keine Meinungsäußerung dar, die von der im Grundgesetz geschützten Meinungsfreiheit gedeckt sei.

Reichelt erwecke bei einem Durchschnittsleser den Eindruck, als sei Geld direkt an die Taliban geflossen. Das stimme aber nicht. Vielmehr sei das Geld an Hilfsorganisationen wie UNICEF und verschiedene NGOs überwiesen worden.

Vertrauen in Regierungsarbeit beschädigt?

Die Verlinkung des Artikels, der die Empfängerseite des Geldes zutreffend wiedergebe, spiele bei der rechtlichen Bewertung keine Rolle. Durch die Kurznachricht könne der Anschein erweckt werden, die Bundesregierung unterstütze ein Terrorregime.

Dies könne das Vertrauen in die Arbeit der Bundesregierung beschädigen. Reichelt müsse den Post daher löschen.

Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung?

Dieser legte daraufhin Verfassungsbeschwerde ein - mit Erfolg. Das Bundesverfassungsgericht entschied nun, dass es sich bei dem Post nicht um eine Tatsachenbehauptung gehandelt habe, sondern dass sie als Meinungsäußerung gewertet werden müsse.

Das Kammergericht habe verkannt, dass es einen inhaltlichen Bezug zwischen der Kurznachricht und dem verlinkten Artikel gegeben habe. Außerdem hätte das Kammergericht bedenken müssen, dass Entwicklungshilfe den Taliban auch indirekt zugutekommen kann.

Schutz vor Angriff, nicht vor Kritik

Insoweit müsse die Kritik von Reichelt an der Bundesregierung als kritische Meinungsäußerung gewertet werden, die vom Grundgesetz geschützt sei. In seinem Beschluss weist das Bundesverfassungsgericht darauf hin, dass gerade der Staat auch scharfe und polemische Kritik aushalten müsse.

Zwar dürften auch staatliche Einrichtungen vor verbalen Angriffen geschützt werden. Der Schutz dürfe aber nicht dazu führen, sie gegen öffentliche Kritik abzuschirmen.

Klaus Hempel, tagesschau, 16.04.2024 13:42 Uhr