Annalena Baerbock bei einer Pressekonferenz in Jerusalem
analyse

Baerbock in Israel Pendeldiplomatie ohne Illusionen

Stand: 16.02.2024 17:36 Uhr

Mit Hoffnung, aber ohne Erwartungen im Gepäck hat Außenministerin Baerbock Israel besucht. Es war das fünfte Mal seit dem Hamas-Angriff. Und es war ein Realititätscheck - ohne Illusionen.

Von Claudia Buckenmaier, ARD Berlin

Reden, von Angesicht zu Angesicht, nicht nur telefonieren. Ein Gespür für versteckte Botschaften auf der anderen Seite entwickeln - oft auch schon vorab mit dem Wissen, dass es das große vorzeigbare Ergebnis nicht geben wird. So ist es auch Mitte dieser Woche, als die deutsche Außenministerin zum fünften Mal seit dem Terrorüberfall der Hamas am 7. Oktober nach Israel reist.

Annalena Baerbock will vor der Sicherheitskonferenz in München noch einmal ihre politischen Positionen vortragen, um dann mit frischen Eindrücken Gespräche mit ihren arabischen und europäischen Amtskollegen führen zu können. Die Konferenz ist angesichts der vielen aktuellen Krisen wichtiger denn je für viele informelle Gespräche am Rand.

Mit jeder Reise deutlichere Worte

Inzwischen also fünf Reisen mit vielen Gesprächen - mit politischen Verantwortlichen, aber immer auch mit Menschen aus der Bevölkerung. Reisen, die seit Beginn des Krieges in Gaza eine schwierige Gratwanderung sind. Baerbock ist es wichtig, das Leid auf beiden Seiten anzusprechen.

Je häufiger sie nach Israel reist, je verzweifelter die Lage der Palästinenser wird, desto deutlicher werden ihre Worte. Noch immer betont sie anfangs das Recht und die Pflicht Israels, seine Bevölkerung zu verteidigen, aber zugleich zeigt sie immer unmissverständlicher Grenzen auf.

Einen Tag vor Baerbocks Reise war der palästinensische Außenminister Riad Al Malki zu Gast in Berlin. Da sagt sie, es gebe das Recht auf Selbstverteidigung Israels gegen die Hamas, aber nicht das Recht auf Vertreibung der Zivilbevölkerung.

Das wiederholt sie so ähnlich einen Tag später in Jerusalem, nach ihrem Treffen mit Premierminister Benjamin Netanyahu. "Sicherheit für die Palästinenser bedeutet: Sie dürfen nicht aus Gaza vertrieben werden, das Territorium Gazas darf nicht verkleinert werden, auch nicht durch Pufferzonen an den Rändern des Gazastreifens."

Kommen die Botschaften bei Netanyahu an?

Klare Worte, die sie, so berichtet sie selbst, auch gegenüber Netanyahu gefunden habe. Es war ihr erstes direktes Gespräch mit ihm seit dem 7. Oktober und es dauerte deutlich länger als geplant. Aber das Ergebnis? Schwer zu beurteilen.

Baerbock versichert, es sei intensiv geredet worden, als sie allein vor die Presse tritt - eine gemeinsame Pressekonferenz gibt es weder mit Netanyahu noch mit dem israelischen Außenminister, den sie zuvor getroffen hat. Sie habe darauf gedrungen, mehr Grenzübergänge zu öffnen, damit mehr humanitäre Hilfe, vor allem medizinische Hilfsgüter, zu den Menschen kommen.

Aber hat das irgendetwas beim israelischen Premier ausgelöst? Wird er seine Politik verändern? Wird er es ermöglichen, dass mehr Lastwagen mit Hilfsgütern nach Gaza fahren können? Den Amerikanern hatte er versprochen, 500 LKW pro Tag durchzulassen. Davon ist man nach wie vor weit entfernt. Hört er also nur zu, wenn Außenminister wie Tony Blinken oder Annalena Baerbock bei ihm vorsprechen, und macht dann weiter wie bisher, als ob sie nie da gewesen wären?

Keine öffentliche Kritik

Während Baerbock in Israel ist, laufen in Kairo Gespräche mit dem Ziel, weitere Geiseln freizubekommen. Es liege ein katarisch-ägyptischer Vorschlag auf dem Tisch, so die Außenministerin, wie eine Feuerpause und Geiselfreilassung verknüpft werden könnte. "Hierin liegt eine Chance, wir müssen sie gemeinsam ergreifen."

Doch Netanyahu sieht in dem Vorschlag wohl nicht die Chance, die Baerbock sieht. Jedenfalls wird, während sie davon spricht, bekannt, dass Netanyahu keine Delegation nach Kairo schicken will, um zu verhandeln. In einem Interview mit dem israelischen Fernsehsender Channel 12 reagiert Baerbock darauf. Sie habe es so verstanden, dass man die Gespräche weiterführen wolle, aber die Hamas habe utopische Forderungen gestellt. Öffentlich kritisiert sie Netanyahu nicht.

Ganz anders die Angehörigen von Geiseln, die Baerbock am zweiten Tag ihrer Reise trifft. Anfang der Woche seien sie voller Hoffnung gewesen. Jetzt sind sie sehr enttäuscht, dass niemand nach Kairo geschickt wird. Das sei ein großer Fehler.

"Die Regierung benutzt die Geiseln, um diesen Krieg fortzusetzen," sagt Yamir Yaakov, dessen Bruder von der Hamas entführt wurde. Das hätten sie auch der Ministerin gesagt, für die sie voll des Lobes sind. Deutschland übe seinen Einfluss still aus, das sei am besten.

Mit TV-Interview die Bevölkerung erreichen

In der israelischen Öffentlichkeit werden Baerbocks Besuche kaum wahrgenommen. Das soll sich durch das Interview mit dem größten privaten TV-Sender in Israel, das in den Hauptabendnachrichten ausgestrahlt wird, ändern. Sie will die israelische Bevölkerung mit ihren Argumenten erreichen, wohl auch in der Hoffnung, so den Druck auf die Regierung zu erhöhen, deren Rückhalt immer weiter schwindet.

In Tel Aviv prangt ein riesiges Plakat mit Netanyahus Konterfei, auf dem in riesigen Buchstaben steht: "Du bist das Oberhaupt, Du trägst die Verantwortung." Viele in Israel wollen einen Regierungswechsel.

Und doch bleibt Netanyahu der wichtigste Gesprächspartner für die deutsche Außenministerin. Nur mit ihm kann die internationale Gemeinschaft nach einer Lösung für die "humanitäre Katastrophe in Gaza", von der sie spricht, erreichen. Und so wechseln sich Außenminister und Regierungschefs vieler westlicher Staaten dabei ab, den Premier eindringlich vor einer Bodenoffensive in Rafah zu warnen.

Sicherheitskonferenz für Austausch nutzen

Bei der Sicherheitskonferenz in München wird Baerbock mit wichtigen Akteuren für Nahost zusammentreffen. Im Moment geht es vorrangig darum, die Freilassung der Geiseln zu erreichen, verbunden mit Waffenpausen in Gaza, um mehr humanitäre Hilfe für die Palästinenser leisten zu können.

Die Sorge ist groß, dass sogar der Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten gefährdet sein könnte, sollte die israelische Armee eine Bodenoffensive in Rafah starten. Dann könnten immer mehr Flüchtlinge versuchen, über die Grenze nach Ägypten zu gelangen.

Zugleich wird längst um eine Perspektive für die ganze Region gerungen. Für Baerbock kann die nur in einer Zwei-Staaten-Lösung bestehen, auch wenn sie weiß, dass Premier Netanyahu diese ablehnt. "Die einzige Sicherheit für beide in Frieden zu leben, bedeutet, dass jeder seinen Staat hat und deswegen ist das für uns ein essenzieller Teil eines gemeinsamen Friedensplans, der schwer wird. Aber aus meiner Sicht gibt es für diesen Weg des Friedens keine andere Alternative."

Hoffnung auf jede noch so kleine Bewegung

Keine Alternative gibt es für die deutsche Außenministerin auch zu ihrer Reisediplomatie. Auch ohne große Durchbrüche. Sie ist Realistin genug, um die gar nicht erst zu erwarten. Jede kleine Bewegung, so hört man das aus ihrem Umfeld, könne helfen.

Sie wird nicht müde zu betonen, dass es kein einfacher Weg sei. Aber um die Glaubwürdigkeit einer deutschen Vermittlerrolle zu erhöhen, gerade auch gegenüber den arabischen Staaten, braucht sie Bewegung auf der israelischen Seite. Sonst könnten arabische Staaten, auch unter dem Druck ihrer Bevölkerungen angesichts des Leids der Palästinenser, schnell keinen Sinn mehr darin sehen, sich für Gespräche mit Israel einzusetzen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 15. Februar 2024 um 20:00 Uhr.