Formular auf Asylantrag in Deutschland
FAQ

Russlands Krieg gegen die Ukraine Wann bekommen Kriegsdienstverweiger Asyl?

Stand: 27.09.2022 17:48 Uhr

Nach der Teilmobilmachung in Russland drohen Deserteuren harte Strafen. Immer mehr Politiker fordern inzwischen die Aufnahme von Russen, die nicht in der Ukraine kämpfen wollen. Aber geht das so einfach?

Von Kerstin Anabah, ARD-Rechtsredaktion

Kann jeder, der nicht kämpfen will, Asyl in Deutschland bekommen?

Das deutsche Recht setzt eine europäische Richtlinie um. Danach hat ein Kriegsdienstverweigerer unter bestimmten Bedingungen ein Anrecht auf Asyl.

Im Grundsatz gilt: Nicht jede Art der Kriegsdienstverweigerung führt zu einer asylrechtlichen Anerkennung. Denn: "Nach dem Völkerrecht hat jeder Staat das Recht, eigene Angehörige zum Kriegs- oder Wehrdienst heranzuziehen“, so Winfried Kluth. Kluth ist Professor für öffentliches Recht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und spezialisiert auf Asylrecht. Die Grenze besteht dort, wo Menschen, die zum Kriegsdienst verpflichtet wurden, mit hoher Wahrscheinlichkeit an Kriegsverbrechen teilnehmen müssen. Das hat der europäische Gerichtshof in einer Grundsatzentscheidung festgelegt (26.2.2015, C-472/13).

"Und nach allem, was wir über die russische Kriegsführung in der Ukraine wissen, besteht ja eine hohe Wahrscheinlichkeit, an Verbrechen mitzuwirken", so Kluth. Dabei müsse diese Mitwirkung nicht unmittelbar erfolgen. Es genüge, wenn der Asylsuchende etwa als Fahrer eingesetzt wird. In dem konkreten Fall vor dem EuGH ging es um einen US-amerikanischen Soldaten, der in Deutschland stationiert war. Als ausgebildeter Wartungstechniker für Hubschrauber sollte er an dem Irak-Krieg teilnehmen.  Er verließ jedoch die Armee, da er den damaligen Krieg für rechtswidrig hielt. Er wollte nicht mehr an den Kriegsverbrechen teilnehmen, die dort nach seiner Ansicht begangen wurden. Auch wenn es ein ganz anderer Krieg war, dürften die Grundsätze übertragbar sein. "Aus Sicht des EuGH genügte es also, als Mechaniker eines Helikopters am Krieg teilnehmen zu müssen, um Asyl in Deutschland zu erhalten. Im Falle russischer Kriegsdienstverweigerer wäre dies deshalb auch so", glaubt Kluth. Ausschlaggebend ist jedoch immer eine Prüfung im Einzelfall.

Ist die bloße Angst vor Strafe bei Nichtantritt des Militärdienstes auch ein Asylgrund?

Nach Ansicht von Kluth nicht unbedingt. "Eine normale Sanktion wird völkerrechtlich zugelassen, weil ja anerkannt wird, dass ein Staat seine Bürger grundsätzlich zu Verteidigungszwecken verpflichten kann." Relevant würde es nach den Maßstäben der Genfer Flüchtlingskonvention dann, wenn die Strafe unverhältnismäßig hoch ist oder willkürlich verhängt wird - etwa wenn Straflager angeordnet wird.

Gibt es noch politischen Handlungsbedarf?

Um einen Asylantrag in Deutschland stellen zu können und somit eine Entscheidung im Einzelfall überhaupt zu erlangen, müssten Betroffene erst einmal nach Deutschland einreisen können. Dafür ist aber ein Visum nötig, etwa aus humanitären Gründen.  Ein derartiges Visum könnte die Bundesregierung russischen Kriegsdienstverweigerern erteilen - was bislang in Europa und in Deutschland in der Regel nicht geschieht. Sollten solche Visa vergeben werden, wäre das für Kluth "eine politische Kehrtwende um 180 Grad."

Rudi Friedrich arbeitet für den Verein Connection e.V., der Kriegsdienstverweigerer berät und unterstützt. Hauptprobleme für flüchtige Russen sieht er in den geschlossenen EU-Grenzen: "Wir fordern deshalb die Chance auf ein Visum, um überhaupt ins Land zu kommen und Schutz für Wehrdienstflüchtige." Nach Angaben des Vereins, der sich auf Rosstat bezieht, haben 420.000 Menschen Russland im ersten Halbjahr 2022 verlassen. Davon seien 100.000 Männer auf irgendeine Weise Militärdienstpflichtig gewesen. Asyl in der Europäischen Union hätten jedoch lediglich 1000 Menschen beantragt, der Rest sei in andere Länder geflohen. Länder, in denen keine Visumpflicht bestünde, wie etwa Armenien.

Gibt es noch andere Möglichkeiten der Aufnahme?

Neben dem Asylverfahren könnte die EU noch andere Maßnahmen ergreifen, bei denen keine Einzelfallprüfung nötig ist. Zum Beispiel könnte sie bestimmten Personengruppen einen vorübergehenden Schutz gewähren. Dort reicht die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe aus, wie etwa bei den Geflüchteten aus der Ukraine. Als Alternative zum Asylverfahren könnte auch ein Sonderaufnahmeprogramm für russische Kriegsdienstverweigerer in Frage kommen - wie etwa für die russischen Medienschaffenden oder Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Ob man so etwas will, ist eine politische Frage.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 26. September 2022 um 18:19 Uhr.