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FAQ

Verfassungsschutz Worum es in den AfD-Anträgen geht

Stand: 27.01.2021 19:48 Uhr

Der Verfassungsschutz könnte die AfD zum Verdachtsfall erklären. Derzeit wehrt sich die Partei vor Gericht dagegen. Wie sind die Aussichten - und was bedeutet eigentlich Verdachtsfall?

Von Frank Bräutigam und Christoph Kehlbach, ARD-Rechtsredaktion

Wie ist der Fall vor das Verwaltungsgericht Köln gekommen?

Vor rund einer Woche hatten mehrere Medien berichtet: Eine Entscheidung des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) stehe unmittelbar bevor, die AfD als Gesamtpartei zu einem rechtsextremistischen Verdachtsfall zu erklären. Ob und wann das genau passieren sollte, war nicht öffentlich bekannt.

Die AfD hat vergangenen Donnerstag beim Verwaltungsgericht Köln unter anderem im Eilverfahren einstweilige Anordnungen beantragt. Sie möchte vorab zwei Dinge verhindern: Erstens: die Einstufung als Verdachtsfall mit der Folge einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Und zweitens: die öffentliche Information über diese Entscheidung.

Das Spezielle an den Anträgen ist: In der Regel lautet die Reihenfolge, dass zunächst eine Behörde eine Entscheidung trifft und sie begründet, und danach klagt der Betroffene dagegen. Im vorliegenden Fall ist das andersherum. Die AfD beantragt "vorbeugenden Rechtsschutz". So etwas ist im Prinzip möglich, die Hürden sind aber hoch. Völlig offen ist aber, ob das Gericht in diesem Eilverfahren schon vorab in eine inhaltliche Prüfung zum Thema Verdachtsfall einsteigt. Also schon bevor das Bundesamt eine Entscheidung getroffen und begründet hat. 

Warum hat das Gericht heute einen sogenannten Hängebeschluss abgelehnt?

Das Verwaltungsgericht braucht für die Entscheidung darüber, ob die Eilanträge der AfD Erfolg haben oder nicht, zumindest einige Tage oder Wochen Zeit. Für ein Gericht ist in so einer Situation wichtig, dass es diese Zeit zum Prüfen auch wirklich hat, und nicht schon vor einer Entscheidung Fakten geschaffen werden. Zu diesem Zweck hätte das Gericht einen sogenannten Hängebeschluss erlassen können, der die Behörde zum Warten verpflichtet. 

Den Antrag der AfD auf so einen Hängebeschluss hat das Verwaltungsgericht Köln aber am Mittwochnachmittag abgelehnt. Der Hintergrund: Laut Gericht hat das Bundesamt für Verfassungsschutz sogenannte Stillhaltezusagen abgegeben. Es habe zum einen zugesichert, bis zu einer Entscheidung über den Eilantrag nicht öffentlich bekanntzugeben, ob es die AfD als Verdachtsfall einstuft. Und es habe zum anderen zugesichert, bis zu einer Gerichtsentscheidung AfD-Abgeordnete auf Bundes-, Landes- und Europaebene sowie entsprechende Wahlbewerberinnen und -bewerber nicht mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu überwachen. 

Eine Interessenabwägung habe dann ergeben, dass ein Hängebeschluss hier nicht notwendig sei, so das Verwaltungsgericht. Der heutige Beschluss ist ein Zwischenschritt. Eine inhaltliche Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die Eilanträge steht noch aus. Der Beschluss von heute ist dafür keine Vorentscheidung in irgendeine Richtung. Aus ihm ergibt sich nicht, ob das BfV intern schon entschieden hat, die AfD zum Beobachtungsfall zu erklären. 

Hat das Verwaltungsgericht Köln das letzte Wort?

Nein. Zum einen kann die AfD gegen den heute abgelehnten Hängebeschluss Rechtsmittel einlegen. Zum anderen könnte nach einer Entscheidung über die Eilanträge - je nachdem, wer unterlegen war - die AfD oder das Bundesamt Rechtsmittel beim Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen in Münster einlegen.

Sollte dort die AfD unterliegen, könnte nur sie noch einen Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht stellen und sich auf das Prinzip der Chancengleichheit von Parteien berufen. Das Bundesamt könnte dies nach einem Unterliegen vor den Verwaltungsgerichten nicht, weil es sich - anders als die Partei - nicht auf Grundrechte berufen kann. Insgesamt sprechen diese Rechtsschutzmöglichkeiten dafür, dass eher nicht mit einer zeitnahen Veröffentlichung einer möglichen Entscheidung des BfV zu rechnen ist. 

Hat dieser Fall etwas mit der Beobachtung der AfD in Sachsen-Anhalt zu tun?

Nein. In Sachsen-Anhalt hat das dortige Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) den Landesverband der AfD zum Verdachtsfall erklärt. Dieses Verfahren berührt zwar die gleiche Grundproblematik, hat aber nichts direkt mit den Aktivitäten des BfV zu tun. Bei den Anträgen am Verwaltungsgericht Köln geht es um die mögliche Beobachtung der Bundespartei AfD. Der Verfassungsschutz des Bundes ist gegenüber dem Landesverfassungsschutz auch nicht weisungsbefugt. 

Was ist die Aufgabe des Bundesverfassungsschutzes?

Laut Gesetz ist Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden "die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen". Und zwar unter anderem über "Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind" - also zum Beispiel gegen Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte. Es geht also um Vorbeugung gegen Rechtsextremismus, Linksextremismus und islamistischen Extremismus.  

Welche Kategorien unterscheidet man?

Der Verfassungsschutz ordnet mögliche Fälle verfassungsfeindlicher Bestrebungen in drei Kategorien ein:

Das Anlegen eines Prüffalls ist der erste Schritt im Verfahren beim BfV. Hierbei wird - vereinfacht gesagt - vorgeprüft, ob genügend Anhaltspunkte für eine Beobachtung vorliegen. Der Verfassungsschutz kann in diesem Stadium lediglich Informationen aus offen zugänglichen Quellen sammeln: Zeitungsartikel, Fernsehbeiträge oder Internetauftritte etwa. Aber auch öffentliche Äußerungen der beteiligten Personen, Vereinssatzungen oder Parteiprogramme. Eine Gruppierung auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu beobachten, ist hierbei noch nicht erlaubt. Die AfD wird seit rund zwei Jahren vom Bundesverfassungsschutz als so ein Prüffall behandelt.

Wenn der erste Schritt aus Sicht der Behörde ergeben hat, dass es bei einem Prüffall tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Bestrebung gibt, dann stuft der Verfassungsschutz diesen Fall hoch - zu einem Verdachtsfall. Ab dieser zweiten Stufe darf der Verfassungsschutz die betreffende Gruppierung beobachten, sie gilt nun als Beobachtungsobjekt. 

Die Kernfrage lautet aktuell: Hat das BfV inzwischen genug tatsächliche Anhaltspunkte gesammelt, um eine Hochstufung der AfD zum Verdachtsfall zu rechtfertigen? Das müsste die Behörde detailliert begründen. Schon jetzt führt der Verfassungsschutz die AfD-Jugendorganisation JA als rechtsextremistischen Verdachtsfall. 

Die dritte Stufe ist das Vorliegen einer gesicherten extremistischen Bestrebung. Hier hat sich der Verdacht schon soweit verfestigt, dass aus Sicht der Behörde keine Zweifel mehr am Vorliegen extremistischer Bestrebungen bestehen. Wie schon bei den Verdachtsfällen beobachtet der Verfassungsschutz auch hier die jeweilige Gruppierung oder Einzelperson. Das BfV kann einen Prüffall auch direkt zur gesicherten Bestrebung hochstufen. Im März 2020 stufte der Verfassungsschutz den inzwischen aufgelösten "Flügel" der AfD als "gesichert rechtsextremistische Bestrebung" ein. Zuvor war er seit 2019 als Verdachtsfall beobachtet worden.   

Luftballons mit dem AFD-Logo

Die AfD will auf jeden Fall verhindern, dass sie als Verdachtsfall eingestuft wird.

Was bedeutet "beobachten" genau?

Der Verfassungsschutz darf bei den Beobachtungsobjekten der zweiten und dritten Stufe nachrichtendienstliche Mittel einsetzen. So kann die Behörde etwa V-Leute der betreffenden Gruppe anwerben. Außerdem kann sie Personen observieren oder auch, sofern noch weitere Voraussetzungen erfüllt sind, die Telekommunikation überwachen. 

Eine Beobachtung greift in die Grundrechte der Beobachteten ein. Darum muss das BfV immer das Prinzip der Verhältnismäßigkeit beachten: Jede Maßnahme muss erforderlich und angemessen sein. Es darf also kein milderes Mittel geben, das genauso effektiv wäre. Bei einer gesicherten extremistische Bestrebung sind dabei tendenziell mehr Maßnahmen zulässig als bei einem Verdachtsfall.

Und: Wenn sich die Beobachtung auch auf gewählte Parlamentarier erstrecken soll, gelten besonders hohe Hürden. Das Bundesverfassungsgericht hat 2013 entschieden, dass die Beobachtung eines Abgeordneten durch Behörden einen besonders schweren Eingriff in das freie Mandat darstellt. Das sei nur in Ausnahmefällen zulässig.  

Warum will die AfD auch die Information über die BfV-Entscheidung verhindern?

Neben der Entscheidung über eine Beobachtung an sich will die AfD auch eine Information der Öffentlichkeit verhindern. Das BfV informiert laut Gesetz die Öffentlichkeit, wenn hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen vorliegen. Für eine Partei kann es stigmatisierend sein, wenn der Verfassungsschutz sie als Beobachtungsobjekt führt; besonders in einem Wahljahr.

Aus Sicht der AfD würde eine öffentliche Information der Behörde gegen das Prinzip der Chancengleichheit der Parteien verstoßen. Vor rund zwei Jahren hatte der Verfassungsschutz die AfD öffentlich als Prüffall bezeichnet. Diese Information hatte das Verwaltungsgericht für nicht rechtmäßig erklärt, weil das Gesetz für die Stufe des Prüffalls keine Information der Öffentlichkeit vorsehe.  

Wäre auch nachträglicher Rechtsschutz möglich?

Ja. Die AfD kann nach Veröffentlichung einer Entscheidung des Amtes vor Gericht überprüfen lassen, ob sich der Verfassungsschutz dabei an Recht und Gesetz gehalten hat. Konkret würde ein Gericht dann genau bewerten, ob die Voraussetzungen, die für die Einstufung als Verdachtsfall vorgesehen sind, auch tatsächlich vorliegen. Hierbei würde also inhaltlich überprüft, was tatsächlich am Verdacht dran ist. Das BfV müsste dann also die Karten auf den Tisch legen und sein Vorgehen begründen.  

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Beitrags hieß es, dass der Verfassungsschutz den "Flügel" als rechtsextremistischen Verdachtsfall führte. Tatsächlich wurde der "Flügel" als "gesichert rechtsextremistische Bestrebung" eingestuft. Wir haben den Beitrag entsprechend korrigiert.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 27. Januar 2021 um 08:08 Uhr.