Auf der Richterbank im Sitzungssaal im Bundesverfassungsgericht liegen Barette der Bundesverfassungsrichter des Ersten Senats.
hintergrund

Parteiverbot Das schärfste Schwert des Rechtsstaats

Stand: 05.01.2024 16:22 Uhr

Einige Politiker debattieren über einen Verbotsantrag gegen die AfD. Die Voraussetzungen für ein Parteiverbot hat das Bundesverfassungsgericht im NPD-Urteil 2017 grundlegend herausgearbeitet. Die Hürden sind hoch.

Von Christoph Kehlbach, ARD-Rechtsredaktion

Eine politische Partei kann in der Bundesrepublik nur vom Bundesverfassungsgericht verboten werden. Den Antrag für ein solches Verbot können die Bundesregierung, der Bundestag oder der Bundesrat stellen. Bei Parteien, die nur in einem Bundesland organisiert sind, auch die jeweilige Landesregierung.

Ob ein solcher Verbotsantrag gestellt wird, ist also zunächst eine politische Entscheidung. Juristischen Erfolg hat ein solcher Antrag, wenn die Partei, die verboten werden soll, tatsächlich verfassungswidrig ist.

Das Grundgesetz nennt die Voraussetzungen dafür: "Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig", heißt es in Artikel 21, Absatz 2.

Diskussionen über ein mögliches Verbot der AfD

Kilian Pfeffer, ARD Berlin, tagesthemen, 04.01.2024 23:15 Uhr

Kein Parteiverbot seit 1956

Doch was genau diese Formulierung rechtlich bedeutet, war lange unklar. Denn die letzte politische Partei, die vom Bundesverfassungsgericht verboten wurde, war im Jahr 1956 die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Damals steckte die bundesdeutsche Demokratie noch in den Kinderschuhen.

Welche inhaltlichen Anforderungen das Bundesverfassungsgericht heutzutage an ein Parteiverbot stellt, hat erst mehr als 60 Jahre später das jüngste Verbotsverfahren ergeben: Im Januar 2017 sprach Karlsruhe sein Urteil zum Verbotsantrag gegen die damalige NPD (Nationaldemokratische Partei Deutschlands). Aus der Entscheidung wurde klar: Die Hürden für ein Verbot sind inzwischen sehr hoch.

Die "schärfste Waffe" des Rechtsstaats

Ein Parteiverbot stelle "die schärfste und überdies zweischneidige Waffe des demokratischen Rechtsstaats gegen seine organisierten Feinde dar". So heißt es gleich im ersten Leitsatz, den das Bundesverfassungsgericht damals dem Urteil vorangestellt hat.

Auf den folgenden 298 Seiten erläutern die Karlsruher Richterinnen und Richter dann, unter welchen Voraussetzungen eine Partei in Deutschland verboten werden kann. Und warum es im Ergebnis bei der NPD nicht für ein Verbot gereicht hat: Nicht etwa, weil die rechtsextremistische Partei (die sich inzwischen "Die Heimat" nennt) noch auf dem Boden des Grundgesetzes stehen würde. Sondern nur, weil sie - vereinfacht gesagt - zu unbedeutend war, um ihre verfassungsfeindlichen Ziele auch in die Tat umsetzen zu können.

Fehle es einer Partei an einer entsprechenden Wirkmacht, gebe es trotz inhaltlicher Verfassungswidrigkeit "keinen Grund, eine solche Partei zu verbieten", sagt Peter Müller. Er hatte als Berichterstatter das NPD-Urteil maßgeblich mitgeprägt und ist im Dezember nach zwölf Jahren als Verfassungsrichter ausgeschieden.

"Eigentlich muss das primäre Bestreben sein, dafür Sorge zu tragen, dass erst gar nicht eine Situation entsteht, in der die Demokratie sich nur noch dadurch helfen kann, dass sie den Antrag auf Verbot einer Partei stellt", sagt Müller im ARD-Podcast "Die JustizreporterInnen". "Das Parteiverbot darf nicht benutzt werden, um unliebsame politische Konkurrenz auszuschalten."

Inhaltliche Voraussetzungen

Die erste Voraussetzung für ein Verbot ist, dass die Partei nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger die freiheitliche demokratische Grundordnung zumindest beeinträchtigen oder gar ganz beseitigen möchte. Der Begriff der "freiheitlichen demokratischen Grundordnung" umfasst laut Bundesverfassungsgericht "die Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind". Das sind etwa die Menschenwürde, das Demokratieprinzip und das Rechtsstaatsprinzip.

Dass eine Partei die Beseitigung oder die Beeinträchtigung wenigstens eines dieser Kernelemente anstrebt, muss sich aus ihren Zielen, etwa wie sie im Parteiprogramm stehen, oder aus dem Verhalten ihrer Anhänger ergeben. Die Anhänger müssen dabei nicht zwingend Parteimitglieder sein.

Ein Verbotsantrag müsste, wenn er Erfolg haben soll, klare Belege dafür liefern. Die inhaltliche Prüfung dürfte bei möglichen künftigen Verbotsverfahren den entscheidenden Punkt darstellen. Dabei kommt auch Material in Betracht, das von den Verfassungsschutzbehörden auf Bundes- und Landesebene beigetragen wird.

In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen beobachtet der jeweilige Landesverfassungsschutz die AfD als "gesichert rechtsextremistische Bestrebung". Diese bereits erfolgte Einstufung ist aber gerade noch kein Grund für ein Verbot. Aus ihr folgt nur, dass die Partei dort mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet werden kann.

"Darauf ausgehen", die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen, bedeute, es müsse insoweit ein planvolles aktives Handeln geben. Und es müsse Anhaltspunkte von Gewicht geben, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass dieses Handeln zum Erfolg führt, also dass die Partei ihre Ziele auch umsetzen kann. Diese zweite Voraussetzung muss für ein Verbot ebenfalls erfüllt sein.

Das hat Karlsruhe so entschieden und im Falle der NPD verneint: Die Partei scheiterte bei Wahlen regelmäßig an der Fünf-Prozent-Hürde und hatte - abgesehen von einem Europa-Abgeordneten - keinen gewählten Parlamentarier in einem überregionalen Parlament. Die Partei war nicht mehrheitsfähig und hatte schwindende Mitgliederzahlen. Auch gab es laut Urteil - abgesehen von sehr vereinzelten Ausnahmen in Ostdeutschland - keine tatsächliche Dominanz der NPD im Alltag und im Prozess der öffentlichen Meinungsbildung.

Verbot als äußerstes Mittel

Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei durch das Bundesverfassungsgericht kann sich auch auf einen rechtlich oder organisatorisch selbständigen Teil einer Partei beschränken. Ein Verbot einzelner Landesverbände ist also denkbar, sofern nur diese die Voraussetzungen dafür erfüllen und andere eben nicht.

Grundsätzlich ist das Verbot einer Partei aber nur das äußerste Mittel. "Die Idee des Grundgesetzes ist eigentlich, dass Demokratie verteidigt wird, in der offenen geistigen Auseinandersetzung", sagt Peter Müller bei den "JustizreporterInnen". "Das Grundgesetz setzt auf die Kraft des Arguments und nicht auf Verbote - gefordert ist das Engagement der Demokraten", so der ehemalige Verfassungsrichter. "In Deutschland ist schon einmal eine Demokratie zugrunde gegangen, weil zu wenige bereit waren, sich in ihren Dienst zu stellen; weil zu viele geschwiegen und weggeschaut haben."

Philip Brost, ARD Berlin, tagesschau, 05.01.2024 09:07 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 04. Januar 2024 um 13:47 Uhr.