Plakat mit der Aufschrift "Remigration jetzt" und dem Symbol der Identitären Bewegung
analyse

AfD und Rechtsextreme Immer näher, immer offener

Stand: 05.02.2024 11:42 Uhr

Kritiker warnen vor einer zunehmenden Radikalisierung der AfD - nicht nur in Ostdeutschland. Auch in Rheinland-Pfalz beobachtet der Verfassungsschutz eine immer engere Vernetzung mit der rechtsextremen Szene.

Eine Analyse von Oliver Bemelmann und Jörg Armbrüster SWR

Von "Remigration" haben viele vermutlich erst gehört, als die Vokabel zum Unwort des Jahres gekürt wurde. Das Wort kommt eigentlich aus der Forschung, wird in rechtsextremen Kreisen aber synonym für die millionenfache Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland verwendet - mitunter auch von Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft. Genau darum soll es nach Recherchen des Netzwerks Correctiv bei dem Geheimtreffen in Potsdam gegangen sein, an dem auch AfD-Mitglieder teilnahmen.

Der Begriff "Remigration" kursiert schon länger in rechtsextremen Kreisen, geprägt hat ihn die "Identitäre Bewegung". In Rheinland-Pfalz tauchte das Schlagwort schon 2018 auf, als "identitäre" Aktivisten durch das südpfälzische Städtchen Kandel zogen. Auf einem großen Transparent prangte die Forderung: "Remigration". Nach dem Mord an der 17-jährigen Mia durch einen Flüchtling kam es in der Stadt damals zu mehreren Kundgebungen rechtsextremer Gruppen.

AfD übernimmt Schlüsselbegriff der "Identitären"

Inzwischen übernimmt die AfD ganz offiziell den Begriff der "Identitären", darunter zwei Politiker aus Rheinland-Pfalz: der Bundestagsabgeordnete Sebastian Münzenmaier und der Koblenzer Landtagsabgeordnete Joachim Paul. Im vergangenen August forderte Paul in einer Rede auf der Europa-Wahlversammlung seiner Partei, dass es künftig "Remigration" heißen müsse statt "Assimilation und Integration".

Auch der stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Sebastian Münzenmaier, benutzte im November 2023 das Schlagwort der Identitären, als er im Bundestag sagte: "Die Losung der Stunde lautet Remigration. Und zwar millionenfache Remigration."

Auf Nachfrage der SWR-Redaktion "Zur Sache - Rheinland Pfalz" spricht er im Januar nicht mehr von Millionen Abschiebungen. Jetzt sagt er: "Natürlich müssen wir über Remigration sprechen, über Rückwanderung von Migranten in ihre Heimatländer auf rechtsstaatlichen Grundsätzen. Wir haben (…) Hunderttausende von Menschen, die nicht hier sein dürften. Und diese Menschen müssen wir natürlich in ihre Heimatländer zurückführen."

Zudem distanziert sich Münzenmaier von den Forderungen, wie sie laut Recherchenetzwerk Correctiv bei dem Potsdamer Geheimtreffen geäußert wurden.

Sebastian Münzenmaier

Münzenmaier sprach im November im Bundestag von "millionenfacher Remigration".

Vernetzung mit der rechtsextremen Szene

In Mainz, wo Münzenmaiers Wahlkreisbüro liegt, schlägt eine Entscheidung der Stadtverwaltung derzeit hohe Wellen: Sie hat die Nutzung eines ehemaligen Autohauses als Versammlungsort für die AfD untersagt - aus "baurechtlichen Gründen". In dem Gebäude hatte unter anderem die Jugendorganisation ihr zehnjähriges Bestehen gefeiert. Sie wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Im Oktober 2023 fand dort zudem eine "alternative Buchmesse" mit Autoren und Verlegern aus der rechtsextremen Szene statt. Schirmherr war Sebastian Münzenmaier.

Der Verfassungsschutz beobachtete dort eine Vernetzung der AfD mit der rechtsextremen Szene. In Koblenz soll der als rechtsextrem geltende Kopf der "Identitären Bewegung", Martin Sellner, bereits im vergangenen Sommer über seine "Remigrations"-Pläne referiert haben - auf Einladung des AfD-Politikers Joachim Paul.

Ermittlungen gegen Koblenzer AfD-Politiker

Die Staatsanwaltschaft Koblenz ermittelt zurzeit in ganz anderer Sache gegen Paul: Der Landtagsabgeordnete soll im März 2023 auf seinem Twitter-Account ein im Netz verbreitetes Video geteilt haben, in dem ein Mädchen von anderen Jugendlichen geschlagen und gedemütigt wird.

Die Aufnahme soll Paul geteilt und mit einer politischen Botschaft verknüpft haben. Der Vorwurf: Er habe damit möglicherweise Persönlichkeitsrechte verletzt.

Auch AfD-Bundestagsmitglied Sebastian Münzenmaier postet regelmäßig Beiträge im Netz, unter anderem auf der Plattform TikTok, wo er beispielsweise von "den Lügen der etablierten Parteien" spricht. Experten beobachten, dass die AfD von allen Parteien am meisten im Internet aktiv sei, und sich dort auch selbstbewusst präsentiere.

Social-Media-Experte Martin Fuchs sagt, die Partei setze gezielt auf Abgrenzung und Zuspitzung, nach dem Motto: "Wir gegen die Anderen" - was im Netz extrem verfange.

Innenminister: Grenzen verwischen zunehmend

Der rheinland-pfälzische Innenminister Michael Ebling sieht die AfD in dem Bundesland auf dem Weg der Radikalisierung: "Wo vielleicht noch früher die führenden AfD-Politiker Wert darauf gelegt haben, nicht in einen Topf geworfen zu werden mit Rechtsextremisten, ist inzwischen die Zusammenarbeit so stark, dass man sich gar nicht mehr die Mühe gibt, sich abzugrenzen", so der SPD-Politiker.

Die Frage eines mögliches Parteiverbots sieht er allerdings skeptisch. Es gehe eher darum, sich politisch und gesellschaftlich mit der AfD auseinanderzusetzen und die Menschen in der Demokratie zu halten, die die AfD wählen würden.

Parteienforscher: Keine unmittelbare Gefahr

Die AfD polarisiert das Land. Auf der einen Seite erhält sie hohe Zustimmungswerte, in Umfragen liegt die Partei bundesweit bei um die 20 Prozent. Auf der anderen Seite herrscht Angst vor einem Erstarken des Rechtsextremismus und immer mehr Menschen gehen dagegen auf die Straße.

Die aktuellen Demonstrationen könnten allerdings auch zu einer weiteren Radikalisierung der AfD beitragen, befürchtet Parteienforscher Uwe Jun von der Uni Trier. Den anhaltenden Höhenflug der AfD hingegen hält er nicht für unmittelbar gefährlich für die Demokratie.

Man müsse zwar abwarten, wie stark die Partei bei der Europawahl und den ostdeutschen Landtagswahlen abschneide. Doch eine Regierungsmehrheit im Bund für die AfD sei "sehr unwahrscheinlich und in weiter Ferne", weil im Moment keine andere derzeit relevante Partei mit ihr koalieren wolle, betont Parteienforscher Jun.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das MDR Fernsehen in MDR aktuell am 18. Januar 2024 um 19:30 Uhr.