Außenaufnahme des Bundesgerichtshofs
FAQ

BGH-Urteil "Es besteht kein Anspruch auf völlige Stille"

Stand: 26.10.2018 16:42 Uhr

Immer wieder kommt es zum Streit: Wann und wie lange darf man in der Wohnung musizieren? Gelten für Berufsmusiker andere Regeln als für Hobbyspieler? Der BGH hat nun Leitlinien aufgestellt.

Von Frauke Rödel, ARD-Rechtsredaktion

Um welchen Fall geht es?

Zwei Reihenhauseigentümer hatten gestritten. Der Kläger wollte das Trompetenspiel seines Nachbars nicht länger dulden. In den Vorinstanzen hatte er durchgesetzt, dass der Berufstrompeter nur noch im Dachgeschoss spielen durfte. Darüber hinaus sollte er nicht mehr als zehn Stunden pro Woche musizieren und in der Wohnung keine Musikschüler unterrichten.

Was wurde entschieden?

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat heute entscheiden, dass die Maßstäbe der Vorinstanzen zu streng waren. "Es besteht kein Anspruch auf völlige Stille", wie Christina Stresemann, die Vorsitzende des fünften Zivilsenats, betonte. Häusliches Musizieren könne von erheblicher Bedeutung für die Lebensfreude und das Gefühlsleben sein. Andererseits müsse auch der Nachbar seine Wohnung zur Erholung und Entspannung nutzen dürfen. Die Persönlichkeitsrechte der Nachbarn, die sowohl das Musizieren als auch die Möglichkeit zur ruhigen Entspannung in der Wohnung umfassen, müssen gegeneinander abgewogen werden. Maßgeblich sei hier die Sicht eines "verständigen Durchschnittsmenschen". Der Kompromiss ist, das Musizieren zeitlich zu begrenzen.

Was heißt das konkret?

Der BGH gibt eine gewisse Richtung vor. Als "grober Richtwert" könne dienen:  Zwei bis drei Stunden Musizieren an Werktagen, und ein bis zwei Stunden an Sonn- und Feiertagen. Die üblichen Ruhezeiten in der Mittags- und Nachtzeit müssen eingehalten werden. Ein nahezu vollständiger Ausschluss des Musizierens am Abend und am Wochenende ist nicht zulässig; ebenso ein komplettes Verbot, in den Hauptwohnräumen zu spielen.

Soweit die Leitlinien. Der BGH betont aber auch: In jedem Einzelfall muss das Ausmaß der Geräusche, die Art der Musik und die Räume vor Ort berücksichtigen. Also: Um welche Instrumente geht es? Wie laut wird gespielt? Wie sieht es mit dem Schallschutz aus? So kann es am Ende auch mal Abweichungen von den Richtwerten geben.

Ist Musizieren nur in bestimmten Räumen erlaubt?

Wenn die Lärmbelästigung erheblich verringert werden kann, indem in Nebenräumen musiziert wird, so kann das nachbarrechtliche Rücksichtnahmegebot verlangen, in diese auszuweichen. Das gilt insbesondere dann, wenn der Nachbar etwa wegen einer ernsthaften Erkrankung besonders sensibel ist. Doch auch in den Haupträumen, also dem Wohn- und Schlafzimmer, kann das Musizieren nicht gänzlich untersagt werden. Hier ist dann die zeitliche Dauer einzugrenzen.

Gelten für Berufsmusiker andere Maßstäbe als für Hobbymusiker?

Nein. Der BGH hat ausdrücklich erklärt: Ein Berufsmusiker hat zu Hause nicht mehr, aber auch nicht weniger Rechte als ein Hobbymusiker.

Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe

Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Im vorliegenden Fall hatten zwei Nachbarn eines Reihenhauses gestritten.

Darf der Nachbar Musikunterricht geben?

Das Gericht hat entschieden, dass auch ein zeitlich begrenzter Musikunterricht in der Wohnung vom Nachbarn zu dulden ist. Je nach Ausmaß der konkreten Störung muss man hierfür die zeitliche Dauer und die Räume in der Wohnung festlegen. Die üblichen Ruhezeiten sind auch dabei einzuhalten.

Gelten in der Mietwohnung andere Maßstäbe?

Im vorliegenden Fall hatten zwei Nachbarn eines Reihenhauses gestritten. Es spricht aber viel dafür, dass die Leitlinien des BGH auch für Mietwohnungen gelten und die Gerichte vor Ort sich daran orientieren. Denn auch bei Mietern muss man ähnliche Interessen wie bei Eigentümern unter einen Hut bringen. Komplett kann man Mietern nicht verbieten, ein Instrument zu spielen. Während der gesetzlich vorgeschriebenen Nachtzeit zwischen 22 Uhr abends und 6 Uhr morgens muss aber Ruhe herrschen. Man darf ein Instrument in dieser Zeit nicht spielen, wenn es über die normale Zimmerlautstärke hinaus geht.

Was heißt das Urteil für den konkreten Fall?

Der BGH hat den Fall an das Landgericht Augsburg zurückverwiesen. Dort müssen die Richter nun noch feststellen, welche Störungen genau durch den Musikunterricht neben dem üblichen Musizieren des Trompeters entstehen. Dann wird das Landgericht die Zeiten, zu denen trompetet werden darf, abschließend festlegen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 26. Oktober um 16:00 Uhr.