
Die Deutschen und "ihr" Papst Geschichte einer Entfremdung
Im Vatikan wird heute vom verstorbenen Benedikt XVI. Abschied genommen. Die Deutschen, die Kirche und "ihr" Papst - es war eine schwierige Beziehung.
Joseph Ratzinger, der erste Deutsche auf dem Papstthron seit 500 Jahren, war immer stolz auf seine deutschen, auf seine bayerischen Wurzeln. Im Testament, das unmittelbar nach dem Tod des emeritierten Papstes veröffentlicht wurde, dankt er den Menschen in seiner Heimat dafür, "dass ich bei ihnen immer wieder die Schönheit des Glaubens erleben durfte". Und er bittet seine "lieben Landsleute", sich nicht vom Glauben abbringen zu lassen.
Die herzlichen Worte, der freundliche Ton, mit denen der Papst seine Heimat bedenkt, sind wohl auch dem Datum der Abfassung des Testaments geschuldet: 26. August 2006. Das war nach "Wir sind Papst", nach dem umjubelten Auftritt Benedikts beim Weltjugendtag in Köln und kurz vor dem Besuch in Bayern, im September 2006. Die Deutschen und "ihr" Papst haben sich ausgesöhnt. So schien es damals.
Konservativer Bewahrer
Diese Beziehungsgeschichte war nie spannungsfrei. Als junger Professor wurde Joseph Ratzinger von den Studentenprotesten der 68er-Generation an der Uni Tübingen nachhaltig traumatisiert. Aus einem reformorientierten, offenen Theologen wurde der konservative Bewahrer. Einer, der als Präfekt der Glaubenskongregation Abweichungen von der katholischen Norm strikt ahndete. Theologen, Bischöfe wurden sanktioniert.
Die deutsche Bischofskonferenz erhielt vor 25 Jahren die klare Aufforderung, sich aus der staatlichen Schwangerenkonfliktberatung zurückzuziehen. Die Beteiligung an einem System, an dessen Ende ein Schwangerschaftsabbruch stehen konnte, war für Kardinal Ratzinger undenkbar. Dass sich die Kirche hier nicht kompromittieren durfte, zählte für ihn mehr als der Wunsch der deutschen Bischöfe, ungeborenes Leben durch Beratungsangebote zu schützen.
In Glaubens- und Moralfragen kompromisslos
Joseph Ratzinger wollte zuerst seine Kirche schützen, in Glaubens- und Moralfragen gab es für ihn keine Kompromisse. Ein Satz wie der seines Nachfolgers Franziskus "Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee" wäre ihm nie über die Lippen gekommen. Ihm war die ideale Kirche wichtiger als die Lebens- und Glaubenswirklichkeit vieler Katholikinnen und Katholiken.
Mit seiner Wahl zum Papst am 19. April 2005 trat das in den Hintergrund. Und man rieb sich in der Heimat verwundert die Augen, wie offen Benedikt XVI. auf die Menschen zuging. Es gab sogar wenige Monate nach der Wahl ein Treffen mit seinem größten theologischen Widersacher, dem Schweizer Hans Küng.
Relativismus als teuflische Versuchung
Doch seinen Grundsätzen blieb Benedikt treu. Der Kampf gegen den Relativismus wurde zum Erkennungszeichen dieses Pontifikats. Relativismus, das war für Papst Benedikt XVI. die teuflische Versuchung des Zeitgeists, eine Haltung, die absolute Wahrheiten ignoriert. Benedikts Rede von der "Diktatur des Relativismus" dagegen erschwerte Reformen und schloss Kompromisse in Glaubensdingen oder Fragen der Moral kategorisch aus. Und so gab es selbst in den Feldern keine Veränderung, in denen man dem Papst aus dem Land der Reformation durchaus was zugetraut hätte. Zum Beispiel in der Ökumene. Überraschenderweise verschlechterten sich die evangelisch-katholischen Beziehungen in seinem Pontifikat. Am Ende war von einer "Eiszeit" der Ökumene die Rede.
Mit den Jahren im Amt verlor Benedikt an Popularität. Das ist völlig normal, auch Papst Franziskus ist heute nicht mehr so populär wie in den ersten Monaten nach seiner Wahl. Dazu kam der Missbrauchsskandal - in den USA, in Irland, in Deutschland. Nach und nach wurde bekannt, dass katholische Geistliche Kinder und Jugendliche missbraucht hatten und von ihrer Kirche sogar noch geschützt wurden. Joseph Ratzinger hatte als Präfekt der Glaubenskongregation die Regeln verschärft, um den Missbrauch in den eigenen Reihen zu bekämpfen. Er musste sich aber bis zuletzt auch kritische Fragen nach seiner eigenen Verantwortung gefallen lassen.
Und es gab auch Pannen, folgenschwere Fehleinschätzungen, zum Beispiel die "Affäre Williamson". 2009 hob der Papst die Exkommunikation von vier Bischöfen der abtrünnigen Piusbruderschaft auf. Was als Geste der Aussöhnung mit dem tradionalistischen Flügel in der Kirche gedacht war, entpuppte sich als Fehler. Einer der Rehabilitierten war der Holocaust-Leugner Richard Williamson. Sogar die deutsche Kanzlerin kritisierte Papst Benedikt dafür.
"Sprungbereite Feindseligkeit"
Benedikt hat diese und andere Kritik getroffen. Er sprach von "sprungbereiter Feindseligkeit", die ihn vor allem dann schmerzte, wenn sie aus Deutschland kam. Die Beziehung zwischen dem deutschen Papst und seiner Heimat war abgekühlt. Das gilt vor allem für die katholische Kirche in Deutschland.
Bei einer Rede in Freiburg im September 2011 ließ Benedikt XVI. durchblicken, dass ihm der deutsche Katholizismus zu sehr von Geld und Institutionen und zu wenig vom Glauben bestimmt sei. Er hatte sich ein anderes Kirchenbild bewahrt, geprägt von der Kindheit in Oberbayern im Dritten Reich, wo er seine Kirche als Wagenburg gegen den Nationalsozialismus erlebt hatte - fest verwurzelt in der Tradition, lebendig in der Messfeier. Dass dieses Bild inzwischen nicht mehr der Wirklichkeit entspricht, hat Joseph Ratzinger natürlich wahrgenommen, aber nicht akzeptiert. Seine im Testament überlieferten letzte Worte sind ein trotziger Appell: "Steht fest im Glauben! Lasst euch nicht verwirren!"