Heimwegtelefon Hilft ein Anruf gegen das mulmige Gefühl?
Das Heimwegtelefon bietet telefonische Begleitung für alle, die sich nachts auf dem Nachhauseweg unsicher fühlen. Als erste große Kommune kooperiert Wiesbaden mit dem Projekt. Wie sind die Erfahrungen?
Charly Hüther arbeitet in einer Bar in Wiesbaden. Wenn sie mitten in der Nacht Feierabend hat, ruft sie für den Fußweg bis zum Auto oft ihre Mutter oder ihren Freund an. "Manchmal täusche ich Anrufe auch nur vor und laufe dann möglichst schnell, bis ich zum Auto komme und losfahren kann." Ihre Hoffnung dabei: Dass man ihr aus dem Weg geht.
Weil Hüther am Wochenende arbeitet, sind die Parkplätze direkt vor der Bar meistens schon besetzt. Dementsprechend lange muss sie nach Feierabend laufen. Den Weg empfindet die 21 Jahre alte Barkeeperin als großes Risiko, denn gerade am Wochenende seien zu der Zeit viele Betrunkene unterwegs. "Du kannst die Menschen dann schwer einschätzen." Wenn jemand laut pöbele und sie allein durch die Stadt laufen müsse, habe sie schon oft Angst.
Frauen wünschen sich mehr Sicherheit
Wie Hüther geht es vielen Menschen, die nachts unterwegs sein müssen - besonders Frauen. Das geht auch aus dem Bericht "Sicherheit und Kriminalität" in Deutschland des BKA hervor. Demnach meidet mehr als jede Zweite "häufig" oder "sehr oft" bestimmte Straßen, Parks oder Plätze und versucht Fremden auszuweichen oder nachts den ÖPNV zu meiden. Auch Umfragen in Wiesbaden zeigten, dass Frauen sich mehr Sicherheit wünschten, erklärt Saskia Veit-Prang, Frauenbeauftragte in Wiesbaden.
Deshalb kam Veit-Prang auf die Idee, mit dem gemeinnützigen Verein "Heimwegtelefon" zu kooperieren. Sie sehe im Heimwegtelefon ein "alternativlos gutes Angebot", damit sich Menschen nachts sicherer fühlten und freier bewegen könnten. Bisher sei das Angebot aber eher unbekannt. Dabei gibt es die Telefonhotline schon seit elf Jahren.
Wiesbaden ist die erste große Kommune in Deutschland, die eine Kooperation mit dem Verein eingeht. Die Stadt möchte das Angebot fördern und dafür werben, damit mehr Menschen darauf aufmerksam werden. "Das Heimwegtelefon ist nicht allein die Lösung für alles. Aber es ist ein tolles Angebot für viele, die es noch gar nicht entdeckt haben", so Veit-Prang.
Heimwegtelefon begleitet telefonisch nach Hause
Menschen, die sich auf ihrem nächtlichen Weg unwohl fühlen, können beim Heimwegtelefon anrufen und werden von einem der 100 ehrenamtlich Mitarbeitenden am Telefon bis nach Hause begleitet. Zu Beginn des Anrufs wird nach dem Namen und dem Zielort gefragt, damit die Informationen im Ernstfall an die Polizei weitergeben werden können.
Warum Menschen anrufen, sei unterschiedlich, erzählt Daniel vom Heimwegtelefon. Manche fühlten sich beobachtet, andere wollten nicht alleine durch die Straßen laufen. Wichtig sei, dass sich niemand für einen Anruf rechtfertigen müsse. Und auch wenn vor allem Frauen anriefen, man wolle für alle Menschen da sein.
Sinn des Heimwegtelefons sei es in erster Linie, da zu sein, wenn jemand ein schlechtes Gefühl habe, es aber keinen Notfall gebe. Die Polizei ersetzen könne man nämlich nicht: "Wir können nicht vor Ort helfen. Bei einem akuten Notfall sollte man immer die 110 anrufen."
2021 seien 8000 Anrufe beim Heimwegtelefon eingegangen - 76 Prozent von Frauen. Lediglich in 15 Fällen müssten Polizei und/oder Rettungsdienste dazu gerufen werden. Auch das zeige, dass es viele Situationen gebe, in denen sich Menschen abseits von akuten Notfällen eine telefonische Begleitung wünschten.
Getränkedeckel und Sticker zur Aufklärung
Die Kooperation mit der Stadt sieht Ehrenamtler Daniel positiv. Sie trage dazu bei, mehr Menschen helfen und noch professioneller arbeiten zu können, beispielsweise auch längere Telefonzeiten zu ermöglichen. Um die gemeinnützige Telefonhotline bekannter zu machen, wirbt die Stadt gezielt im Wiesbadener Nachtleben. So zum Beispiel in der Badhausbar, der Arbeitsstelle von Charly Hüther. Dort werden Getränkedeckel und Sticker mit der Telefonnummer des Heimwegtelefons verteilt.
Barbesitzer Christian Liffers findet, als Gastronom habe er eine besondere Verantwortung. Deshalb sagte er nach der Anfrage der Stadt auch sofort seine Unterstützung zu. "Es gibt einfach Menschen, die gefährdet sind. In der Nacht und im Partyleben sind es oft Frauen oder Schwule, die mit Hass konfrontiert sind. Wir schulen unsere Mitarbeiter deshalb schon seit Jahren", so Liffers. Das Heimwegtelefon könne aber helfen, dass Menschen sich auch auf der Straße sicherer fühlen.
Auch Hüther begrüßt die Förderung des Vereins. Nicht jeder könne um die Uhrzeit eine bekannte Person anrufen: "Natürlich ist es ein Unterschied, persönlich begleitet oder abgeholt zu werden. Aber es hilft schon sehr, jemanden am Telefon zu haben und Fremden das Gefühl zu geben, dass da jemand ist, der auf einen achtet." Das sei ein erster großer Schritt.