Polizeifahrzeuge stehen vor der "Arena Bar" in Hanau. (Archivfoto: 20.02.2020)
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Anschlag von Hanau Keine neuen Ermittlungen zum Notausgang

Stand: 26.10.2023 09:06 Uhr

Eine Strafanzeige im Zusammenhang mit dem Hanau-Anschlag hatte schwere Vorwürfe gegen die Polizei erhoben: Sie hätte das Verschließen eines Notausgangs mutmaßlich angeordnet. Die Staatsanwaltschaft lehnt neue Ermittlungen jedoch ab.

Von Max Bauer, ARD-Rechtsredaktion

Die Staatsanwaltschaft Hanau sieht keinen Anfangsverdacht gegen den Barbetreiber oder gegen Hanauer Polizisten wegen fahrlässiger Tötung oder anderer Taten. Nach Informationen der ARD-Rechtsredaktion hat sie es deshalb abgelehnt, ein neues Ermittlungsverfahren wegen des Notausgangs in der "Arena Bar" einzuleiten.

Dort waren am 19. Februar 2020 Said Nesar Hashemi und Hamza Kurtović erschossen worden. Damals tötete ein Rechtsterrorist in der Hanauer Innenstadt und im Stadtteil Hanau-Kesselstadt neun Menschen aus rassistischen Motiven, anschließend erschoss er seine Mutter und sich selbst.

Erstes Ermittlungsverfahren 2021 eingestellt

Nach dem rechtsterroristischen Anschlag gab es Hinweise, dass der Notausgang am Tatort "Arena Bar" in Hanau-Kesselstadt verschlossen war. Die Opfer hätten deshalb nicht vor dem Täter fliehen können, so der Verdacht. Mittlerweile geht auch die Mehrheit der Mitglieder des Hanau-Untersuchungsausschusses im hessischen Landtag davon aus, dass der Notausgang in der Tatnacht verschlossen war.

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Hanau zum Notausgang wegen fahrlässiger Tötung wurden 2021 jedoch eingestellt.

Schwere Vorwürfe gegen die Polizei Hanau

Ende September 2023 gab es eine neue Strafanzeige. Sie wurde von der Familie von Hamza Kurtović gestellt. Die Anzeige erhebt schwere Vorwürfe gegen die Polizei Hanau und enthält die Aussage eines neuen Zeugen.

Die schriftliche Fassung seiner Zeugenaussage liegt der ARD-Rechtsredaktion vor. Der Zeuge bestätigt, dass er persönlich mitbekommen habe, wie ein Polizist den Barbetreiber angewiesen habe, die Notausgangstür verschlossen zu halten. Bei Razzien könnten sonst Barbesucher durch den Notausgang entkommen.

Staatsanwaltschaft sieht keine fahrlässige Tötung

Trotz der neuen Zeugenaussage sieht die Staatsanwaltschaft Hanau keinen Anfangsverdacht einer Straftat. Ihre Begründung: Es komme strafrechtlich nicht darauf an, ob ein Polizist eventuell rechtswidrig angeordnet habe, den Notausgang zu verschließen. Denn: Es könne nicht hinreichend sicher geklärt werden, ob die Barbesucher tatsächlich zum Notausgang gelaufen wären - wenn der Notausgang in der Tatnacht offen gewesen wäre.

Die späteren Opfer hätten die Schüsse in dem Kiosk vor der Bar gehört. Dann hätten sie sich aber auf dem Weg zum Notausgang zunächst in Richtung der Tür bewegen müssen, aus der Sekunden später der Täter gekommen sei. Ob sie das gemacht hätten, sei nicht geklärt. Deshalb sei auch nicht hinreichend sicher, dass ein verschlossener Notausgang für den Tod der Opfer in der "Arena Bar" ursächlich war.

Die Angehörigen von Hamza Kurtović sagen hingegen: Alle in der Bar waren Stammgäste. Zwei von ihnen seien vor der Tat im Laufe des Abends zum Notausgang gegangen und hätten ihn verschlossen vorgefunden. Also hätten alle gewusst, dass der Notausgang zu ist. Nur deshalb wären die Barbesucher nicht zum Notausgang gerannt.

Sachverständige haben die Fluchtmöglichkeiten untersucht

Das mögliche Fluchtverhalten der Opfer in der "Arena Bar" war auch Thema einer Expertenanhörung im Hanau-Untersuchungsausschuss. Eine Psychologin hatte erläutert, dass Menschen nicht zu einer Gefahrenquelle hinlaufen, sondern vor ihr fliehen. Gleichzeitig hatte sie betont, dass ein Notausgang in Fluchtüberlegungen keine Rolle mehr spiele, wenn Fliehende wüssten, dass der verschlossen sei. Nur weil sie sicher wussten, dass der Notausgang zu ist, seien die Barbesucher in der Tatnacht nicht zum Notausgang gerannt, betont gleichfalls die Strafanzeige der Familie von Hamza Kurtović.

Im Untersuchungsausschuss kam auch ein Gutachten zur Sprache, das das Londoner Recherchekollektiv "Forensic Architecture" 2022 erstellt hat. Ein Fazit des Gutachtens: Die meisten Barbesucher hätten genug Zeit gehabt, vor dem Täter zu fliehen, wenn der Notausgang offen gewesen wäre. Die fünf jungen Männer in der Bar - unter ihnen die beiden Opfer Said Nesar Hashemi und Hamza Kurtović - hätten sich wahrscheinlich rechtzeitig in Sicherheit bringen können.

Was macht der Hanau-Untersuchungsausschuss?

Wie es nach der Entscheidung der Staatsanwaltschaft, nicht erneut zu ermitteln, jetzt rechtlich weitergeht, ist offen. Ebenso ist offen, was die neuen Zeugenaussagen aus der Strafanzeige der Familie von Hamza Kurtović für den Hanau-Untersuchungsausschuss bedeuten. Anfang Dezember wird dessen Abschlussbericht erwartet.

Max Bauer, SWR, tagesschau, 26.10.2023 08:45 Uhr