Ein Bettler sitzt mit Mundschutz auf dem Gehweg.

Studie Armut in Deutschland stark gestiegen

Stand: 24.11.2022 14:33 Uhr

Die Armutsquote in Deutschland ist im vergangenen Jahrzehnt weiter gestiegen. Ein Drittel größer wurde der finanzielle Abstand für Haushalte unterhalb der Armutsgrenze. Eine Studie erkennt darin eine Gefahr für die Demokratie.

In Deutschland leben immer mehr Menschen in Armut. Zu diesem Ergebnis kommt der jüngste Verteilungsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Die Quote der sehr armen Menschen, die weniger als 50 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben, ist demnach zwischen 2010 und 2019 um gut 40 Prozent gestiegen. Der finanzielle Rückstand von Haushalten unterhalb der Armutsgrenze habe sich um ein weiteres Drittel vergrößert.

"Der soziale Stresstest hält wegen Rekordinflation und Corona-Pandemie weiter an", so WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch. Schon in wirtschaftlich stabilen Zeiten sei der Rückstand der armen Teile der Bevölkerung immer weiter gewachsen und habe die gesellschaftliche Teilhabe für viele spürbar eingeschränkt.

Als arm gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Nettoeinkommens in Deutschland zur Verfügung hat. Für eine alleinstehende Person waren das 2021 laut statistischem Bundesamt 1251 Euro pro Monat. Anfang des vergangenen Jahrzehnts waren noch 14,3 Prozent der Menschen statistisch betrachtet arm. Im Jahr 2019 lag der Wert dann bei 16,8 Prozent.

Gravierende Folgen - Mittelschicht zunehmend betroffen

Wenig Geld zur Verfügung zu haben wirkt sich demnach in allen Lebensbereichen aus. Haushalte mit einem Einkommen unter 2000 Euro netto im Monat hätten "einen schlechteren Gesundheitszustand, geringere Bildungschancen, und sind insgesamt mit ihrem Leben unzufriedener", so Kohlrausch. Das durchschnittliche Nettoeinkommen pro Haushalt betrug 2018 rund 3700 Euro pro Monat.

Menschen mit wenig verfügbarem Einkommen verzichteten schon vor der Krise besonders oft auf Alltägliches. Zum Beispiel das angemessene Heizen der Wohnung oder der Neukauf von Kleidung und Schuhen. Über eine Urlaubsreise denkt nur jeder zweite Haushalt mit niedrigem Einkommen überhaupt nach.

Die stark gestiegenen Kosten seit 2020 führen demnach auch dazu, dass immer mehr Menschen mit mittleren Einkommen einen deutlichen Spardruck spüren und ebenfalls viel verzichtet oder zumindest eingeschränkt wird. Bei Haushalten bis 3500 Euro Nettoeinkommen will rund jeder Dritte beim Lebensmitteleinkauf kürzertreten.

Wenig materielle Teilhabe führt zu Zweifeln am System

Frühere Befragungen haben es bereits aufgezeigt, die aktuelle Studie des WSI zeigt es aber nochmals deutlich: Wer wenig am Wohlstand einer Gesellschaft teilhaben kann, neigt eher dazu das System als ganzes in Frage zu stellen.

Nur rund zwei Drittel der Menschen unterhalb der Armutsgrenze halten die Demokratie für die beste Staatsform. 59 Prozent finden, die Demokratie in Deutschland funktioniert gut. Das seien 11 Prozentpunkte weniger als in der Gesamtbevölkerung. "Armut und soziale Polarisierung können unsere Gesellschaft in ihren Grundfesten ins Wanken bringen", vor allem wenn sie sich verfestigten, so Kohlrausch.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 24. November 2022 um 14:41 Uhr.