Fragen und Antworten Warum der Deal im Strafprozess erlaubt ist

Stand: 19.03.2013 15:24 Uhr

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Sogenannte "Deals" im Strafprozess sind grundsätzlich verfassungsgemäß. Allerdings gaben die Karlsruher Richter allen Beteiligten strengere Auflagen mit. Was heißt das nun für die Praxis? Und wo liegen die Probleme? Der ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam beantwortet für tagesschau.de die wichtigsten Fragen.

Von Frank Bräutigam, ARD-Rechtsredaktion

Was versteht man unter einem "Deal"?

Unter einem "Deal" versteht man eine Absprache der Verfahrensbeteiligten in einem Strafprozess (Verteidigung, Gericht, Staatsanwaltschaft) mit dem Inhalt: Geständnis gegen einen Strafrabatt. Oft wird ein "Deal" gleich zu Beginn des Verfahrens besiegelt, dann gibt es ein schnelles Urteil.

Wie war es im konkreten Fall?

Einem Berliner Polizisten wurde vorgeworfen, er habe bei einer seiner Routinekontrollen unverzollte Zigaretten an sich genommen und dabei seine Waffe getragen. Das sei schwerer Raub. Gleich zu Beginn des Prozesses kam das "Angebot": bei Geständnis zwei Jahre auf Bewährung, sonst drohen vier Jahre Gefängnis. Der Kläger sagt, er habe sich unter Druck gefühlt und daher den Anklagevorwurf bestätigt. Beweise wurden nicht geprüft. Später widerrief er das Geständnis, aber das änderte nichts. Sein Urteil wurde auch in der Revision bestätigt.

Warum sind "Deals" attraktiv?

Für alle Beteiligten wird es im wahrsten Sinne ein "kurzer Prozess". Das ist in Zeiten riesiger Aktenberge, Personalmangel und langer Wirtschaftsprozesse verführerisch für die Justiz. Schuldige Angeklagte können sich so oft eine Haft ersparen, weil auf die höchst mögliche Strafe mit Bewährung hin "gedealt" wird, also zwei Jahre. Für Verbrechensopfer kann es besser sein, nicht die Qual eines langen Prozesses durchstehen.

Wo liegen die Probleme?

Der deutsche Strafprozess ist nicht auf das Aushandeln von Strafe angelegt. Das Prinzip lautet: Das staatliche Gericht klärt von Amts wegen den Sachverhalt und entscheidet dann, welche Strafe der Schuld angemessen ist. Verhandeln ist also eine Art Systembruch, der nur in engen Grenzen zulässig ist. In der Praxis merkte man: Unter Druck abgegebene sogenannte "Formalgeständnisse" ("alles so wie in der Anklage") wurden gar nicht mehr überprüft. Manche Strafen waren daher wohl zu hoch, andere vielleicht zu niedrig, gerade in Prozessen gegen prominente oder vermögende Personen. Und: Es fand viel im Hinterzimmer statt, nicht in der öffentlichen Verhandlung - wie eigentlich nötig.

Was hat der Gesetzgeber getan?

Der Bundesgerichtshof hatte die Absprachen immer kritisch gesehen und zuletzt 2005 enge Grenzen festgelegt. Der Gesetzgeber hat dies 2009 in ein Gesetz gegossen. Absprachen sind danach unter strengen Voraussetzungen möglich, darunter: Auch Geständnisse müssen überprüft werden, die Absprache muss in der Hauptverhandlung stattfinden und genau protokolliert werden, auf Rechtsmittel darf man nicht sofort verzichten. Soviel Transparenz wie möglich, lautete insgesamt die Devise.

Hat das etwas gebracht?

Wohl nicht. Eine vom Bundesverfassungsgericht für das Verfahren in Auftrag gegebene Studie belegt, dass die Justiz sich in der Praxis in einer hohen Zahl von Fällen nicht an die Voraussetzungen hält und häufig "informelle" Absprachen trifft.

Was hat das Bundesverfassungsgericht heute entschieden?

Das Gesetz an sich sei in Ordnung, weil es strenge Voraussetzungen für Absprachen regele. Das Problem sei die Praxis. Es gebe ein massives "Vollzugsdefizit". Das heißt: Die Regeln werden oft nicht beachtet. Der Gesetzgeber müsse nun genau beobachten, ob das so weiter geht, und wenn ja, stärkere Kontrollen einbauen. Das Urteil ist aber vor allem ein flammender Appell an alle Akteure der Justiz. Präsident Voßkuhle sagte in der Einführung: "Sie, die Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte sind es, die im Alltag dafür Sorge tragen müssen, dass die verfassungsrechtlich verbürgten Grundsätze des Strafverfahrens nicht durch allgemeine Praktikabilitätserwägungen überspielt werden, auch wenn dies im Einzelfall viel Aufwand und Mühe kostet."

Was heißt das für den konkreten Fall?

Die Verurteilung des Berliner Polizisten wurde aufgehoben, weil das Gericht ein "inhaltsleeres Formalgeständnis" akzeptiert habe. Das sei ein untersagter "Handel mit der Gerechtigkeit". Das bedeutet: Es muss ein neues Verfahren geben, in dem der Sachverhalt aufgeklärt wird. Ist der Polizist unschuldig, kann er nun einen Freispruch erreichen.

Welche Kontrollen sieht das Bundesverfassungsgericht nun vor?

Wichtig ist, wie der "Appell" aus Karlsruhe in der Praxis kontrolliert und umgesetzt wird. Das Urteil nimmt zum einen die Staatsanwälte in die Pflicht. Sie müssten darauf achten, dass unzulässige Absprachen erst gar nicht getroffen werden, zumindest aber entsprechende Urteile mit Rechtsmitteln angreifen. Außerdem verlangt Karlsruhe vom Bundesgerichtshof als oberste Strafinstanz, Absprachen strenger zu kontrollieren und unzulässige "Deals" aufzuheben.

Wird sich in der Praxis dadurch etwas ändern?

Sicher ist das nicht. Es hängt bei aller verstärkten Kontrolle viel von der Bereitschaft aller Beteiligten in Strafverfahren ab, sich an die gesetzlichen Regeln auch in der Praxis zu halten. Auch wenn das eigentlich selbstverständlich erscheint. Die Generalstaatsanwälte der Länder wollen sich aber in den kommenden Monaten auf Richtlinien einigen, wie sie ihrer Kontrollfunktion in der Praxis besser gerecht werden können.