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Interview

Interview zu Cyberangriff "Einschüchtern und verunsichern"

Stand: 04.01.2019 15:04 Uhr

Die veröffentlichten Daten eignen sich weniger zum Auslösen eines politischen Skandals als dazu, die Betroffenen einzuschüchtern, erläutert Patrick Gensing von den ARD-faktenfindern im Interview mit tagesschau24.

tagesschau24: Hunderte Politiker, Medienschaffende, Künstler - wer ist am meisten von dem Datenklau betroffen?

Patrick Gensing: Es ist recht gleichmäßig verteilt. Die großen Parteien mit Ausnahme der AfD sind dabei, und es ist auch sehr weit gestreut: Es gibt Landtagsabgeordnete, Kommunalpolitiker, aber auch Bundestagsabgeordnete, die betroffen sind. Von den Grünen ist Robert Habeck betroffen, also auch sehr Prominente. Wir haben aus dem künstlerischen Bereich verschiedene Vertreter: Materia beispielsweise, den Rapper K.I.Z und vor allem auch Satiriker: Jan Böhmermann, Oliver Welke von der ZDF-"heute Show", "Extra 3-"Kollegen. Es ist wirklich sehr weit gestreut - und im Netz sind ausführliche Datensätze vorhanden.

tagesschau24: Auch Kollegen bei ARD-aktuell sind betroffen?

Patrick Gensing: Genau, auch die ARD ist betroffen. Das sind verschiedene Journalisten, deren Daten dort veröffentlicht wurden. Das sind vor allem Telefondaten, teilweise auch veraltet, aber es sind eben auch persönliche Dokumente, die Unbekannte dort veröffentlicht haben.

tagesschau24: Jetzt muss man ja schon unterscheiden zwischen hochsensiblen Daten und privaten Daten, die jemand ins Netz stellt. Wie sieht es mit Regierungsdaten aus, mit wirklich hochsensiblen Dingen?

Gensing: Nach dem, was wir bislang gesehen haben, wird es auf Basis dieser Daten keinen politischen Skandal geben. Es geht anscheinend eher darum, Menschen einzuschüchtern und zu verunsichern. Es werden vor allem Kontaktdaten veröffentlicht. Es wird versucht, auch private, intime Details zu verbreiten über einzelne Künstler. Das wird in den sozialen Netzwerken schon wieder ausgeschlachtet. Da geht es dann um persönliche Vorlieben und so weiter.

Das sieht weniger danach aus, dass man jetzt versucht, eine politische Debatte anzustoßen, indem man geheime Dokumente veröffentlicht, die wichtig sind und relevant für politische Debatten. Sondern es geht wirklich darum, Menschen zu verunsichern und Angst zu schüren.

tagesschau24: Das Erstaunliche ist ja, dass alle im Bundestag vertretenen Parteien betroffen sind außer der AfD. Könnte das ein Hinweis auf eine bestimmte Richtung geben - oder was könnte dahinterstecken?

Gensing: Das lässt sich abschließend nicht eindeutig bewerten. Es ist so, dass viele der Datensätze, die dort auftauchen, durchaus schon älter sind, aber es finden sich eben auch aktuelle Daten von Bundestagsabgeordneten und Parteien. Von daher kann man darüber spekulieren.

Es ist auffällig, dass die meisten der Betroffenen, die dort angegriffen wurden, zum Beispiel Satiriker sind oder Künstler, oder auch Fernsehsendungen von Funk, von ARD und ZDF, die sowieso schon sehr im Fadenkreuz von rechten Trollen im Internet stehen. Dementsprechend passen sie in ein bestimmtes Feindbild, das man sowieso schon im Netz erlebt, und man könnte daraus schließen oder darüber spekulieren, dass der Hack auch aus dieser politischen Richtung kommt.

tagesschau24: Wie sind die Hacker an diese Daten gekommen?

Gensing: Das ist wirklich eine gute Frage. Man hat immer wieder von Angriffen auf den Bundestag gehört, von kleineren Hackerattacken, die dann vielleicht in der Öffentlichkeit nicht besonders ernst genommen wurden. Es ist auch gut möglich, dass Parteizentralen betroffen sind, denn wir haben eben sehr viele Landespolitiker, die betroffen sind. Es wurden aber auch ältere Daten zusammengetragen.

Man spricht vom Doxxing im Internet - das heißt Dokumente zusammenzutragen, um dann den Betroffenen wirklich zu schaden. Und das ist genau hier passiert. Das sind ganz viele verschiedene Quellen, und da kann man sich auch bei älteren Hacks durchaus bedient haben.

tagesschau24: Es ist ja erstaunlich, dass das Ganze nicht neu ist. Bis Ende Oktober haben diese Hackerattacken stattgefunden. Warum werden sie erst heute im neuen Jahr veröffentlicht?

Gensing: Die Daten wurden recht aufwendig aufbereitet. Das wurde dann ja auch kleinteilig zur Verfügung gestellt. Man muss sich das so vorstellen, dass man diese Datensätze auf Server im Ausland legt - und zwar nicht nur auf einen, sondern dass man sie auch spiegelt, damit, falls ein Server gelöscht wird, sie dann woanders noch zugänglich sind. Es wurde dann im Dezember in einem "Adventskalender" jeden Tag ein Datensatz veröffentlicht. Das blieb erst einmal weitestgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit. Erst als ein bekannter YouTuber selbst ein Video veröffentlicht hatte, in dem er gesagt hat, dass sein Twitter-Account gehackt wurde, hat die große Öffentlichkeit das mitbekommen.

tagesschau24: Welche Chancen hat man, die Täter aufzuspüren? Denn die Daten sind über die sozialen Netzwerke verbreitet worden. Hinweise soll es nach Hamburg geben. Was wissen Sie darüber?

Gensing: Es lassen sich natürlich von diesem Twitter-Account, der das Ganze verbreitet hat, Hinweise auf andere Konten ableiten. Es gab einen Blog dazu und einen YouTube-Kanal dazu. Es lässt sich vermuten, dass es sich um eher jüngere Täter handelt, die auch im Gaming-Bereich auch aktiv sind, die möglicherweise aber auch eine politische Agenda haben, was sich auch aus bestimmten Kommentaren zu der Veröffentlichung ableiten lässt.

Jan Böhmermann haben sie beispielsweise explizit für seine Aktion "Reconquista Internet" kritisiert. Dafür wurde er auch angegriffen. Und von daher lässt sich das - glaube ich schon - durch mehrere Spuren eingrenzen. Ob man dann diese Leute tatsächlich auch finden kann? Die werden auch schon dafür gesorgt haben, dass sie eben nicht so leicht aufzuspüren sind.

tagesschau24: Also gehen sie eher davon aus, dass nationale Quellen sind und nicht internationale Kräfte dahinterstecken?

Gensing: Das lässt sich wirklich noch nicht abschließend sagen. Es ist durchaus möglich, dass sich diese Unbekannten, die das veröffentlicht haben, bei Hacks aus russischen Quellen bedient haben - aber man weiß es einfach noch nicht. Es ist klar, dass sie einen sehr umfangreichen Datensatz zusammengestellt haben, um möglichst vielen Menschen zu schaden, die sie als Gegner sehen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 04. Januar 2019 um 12:00 Uhr.