Bundeswehrsoldaten verlassen Masar-i-Scharif in Afghanistan (Archiv)

U-Ausschuss zum Afghanistan-Einsatz Wie sieht die Zwischenbilanz zum Abzug aus?

Stand: 15.11.2023 03:51 Uhr

Der Untersuchungsauschuss zum Afghanistan-Abzug hat eine Zwischenbilanz gezogen. Die unterschiedlichen Interessen der Ressorts stehen dabei im Fokus. Kritik gibt es auch an der damaligen Kanzlerin Merkel.

Von Uli Hauck, ARD Berlin

Nach mehr als einem Jahr leistet der Afghanistan-Untersuchungsausschuss zwar wichtige Arbeit, fristet angesichts der aktuellen Weltlage derzeit aber eher ein Schattendasein. Jeden Donnerstag in Sitzungswochen vernehmen die Abgeordneten zwölf Stunden lang Zeugen, um den chaotischen Abzug aus Kabul aufzuarbeiten.

Da die damals beteiligten Minister in Politrente sind, sind taktische Politspielchen eher selten. Das sei für sie die bisher größte Überraschung gewesen, sagt die Grünen-Verteidigungspolitikerin Sara Nanni bei der Podiumsdiskussion. "Und das Aufklärungsinteresse nicht irgendwie gestört wird, durch Loyalitätsfragen bezüglich der Zeuginnen und Zeugen."

Kritik an strukturellen Problemen

Im Gegenteil, nach einem Jahr Zeugenvernehmungen sind sich die Abgeordneten in zentralen Punkten einig: So gab es im Vorfeld des überstürzten Afghanistanabzugs kein grundsätzliches Erkenntnisproblem. Vielmehr sei sehr früh absehbar gewesen, dass die Taliban die Macht in Afghanistan erneut übernehmen werden. Lediglich das Tempo sei überraschend gewesen.

Die FDP-Abgeordnete Ann-Veruschka Jurisch bemängelt deshalb ein fehlendes Frühwarnsystem und strukturelle Probleme zwischen den beteiligten Ministerien. "Also sprich, behindert das Ressortsystem, wie wir das in Deutschland haben, eben gemeinsame Lagebilder zu erstellen und gemeinsam zu agieren?", fragt sie.

Außen-, Innen-, Verteidigungs- und Entwicklungsministerium hatten zwar alle Erkenntnisse, aber auch eigene Interessen. Der Ausschussvorsitzende Ralf Stegner spricht von "Ressortegoismus". Sein SPD-Parteifreund Jörg Nürnberger bemängelt rückblickend die passive Rolle des Bundeskanzleramts unter Angela Merkel: "Es gab durchaus gegensätzliche Positionen, die aus den verschiedenen Ressortperspektiven zu erklären sind und am Ende keine Instanz, die diese Konflikte hätte auflösen können oder vielleicht auch nicht auflösen wollte."

Uneinigkeit bei Evakuierung von Ortskräften

Beispiel afghanische Ortskräfte: Das SPD-geführte Außenministerium unter Heiko Maas wollte die afghanischen Ortskräfte lange Zeit nicht evakuieren. Aus Sorge, das könne zur politischen Destabilisierung des Landes führen. Im CDU-geführten Verteidigungsministerium von Annegret Kramp-Karrenbauer sah man dagegen die Fürsorgepflicht gegenüber den afghanischen Mitarbeitern.

Und im CSU-geführten Innenministerium von Horst Seehofer bestand man trotz der Bedrohung für Leib und Leben auf "ordentlichen Visaverfahren in Afghanistan". CDU-Verteidigungspolitiker Thomas Röwekamp spricht im Nachhinein von einem Fehler: "Es gab keine Botschaft, die Visa ausgestellt hat. Überhaupt für gefährdete Personen Ausreisevisa zu bekommen war außerordentlich schwierig."

Parallel zum Untersuchungsausschuss arbeitet eine Experten-Kommission 20 Jahre Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr auf. Auch sie will bald einen Zwischenbericht vorlegen. Der Wille aus den Fehlern für künftige Einsätze zu lernen, ist weiterhin groß.

Uli Hauck, ARD Berlin, tagesschau, 15.11.2023 00:10 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 15. November 2023 um 06:36 Uhr.