Hintergrund

Hintergrund Was bekannt ist und was vermutet wird

Stand: 07.05.2015 11:55 Uhr

Jahrelang soll die NSA über den BND europäische Politiker ausgehorcht haben. Welche Rolle spielt der BND in dieser Späh-Affäre? Und was wusste das Kanzleramt? Ein Überblick von tagesschau.de.

In der Affäre geht es um die vor einigen Tagen öffentlich gewordenen Spähaktionen des US-Geheimdienstes NSA mit Hilfe des deutschen Auslandsgeheimdienstes BND. Offenbar wurden hochrangige Beamte von Frankreichs Außenministerium und Präsidentenamt sowie EU-Politiker abgehört. Auch Österreich soll von den Spionageaktivitäten betroffen sein. Das Land hat deshalb Anzeige gegen Unbekannt erstattet und Erklärungen von der Bundesregierung verlangt.

Außerdem soll die NSA jahrelang Wirtschaftsspionage betrieben und gezielt nach Informationen etwa über den Rüstungskonzern EADS und Eurocopter gesucht haben. Nach Informationen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung gibt es allerdings nur vereinzelt Hinweise auf gezieltes Ausspähen von Unternehmen. Nach den bisherigen Feststellungen sind Unternehmen vor allem betroffen, weil die USA nach Hinweisen auf illegale Exportgeschäfte suchten. Das deutsch-französische Rüstungsunternehmen Airbus will wegen des Verdachts auf Industriespionage nun Strafanzeige stellen. Man habe die Bundesregierung um Auskunft gebeten, eigene Erkenntnisse zu den Vorwürfen gebe es allerdings nicht.

Gemeinsam gegen Terror und Islamismus

Dass zwischen dem BND und der NSA Daten ausgetauscht werden, ist gewollt. Seit 2002 gibt es eine Vereinbarung, das sogenannte "Memorandum of Agreement". Es wurde von der rot-grünen Regierung von SPD-Kanzler Gerhard Schröder am 28. April 2002 unterzeichnet und war eine Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001. In der Vereinbarung wurde festgelegt, dass der BND im bayerischen Bad Aibling im Auftrag der NSA Satellitenkommunikation in Krisengebieten wie Afghanistan, Mali oder Somalia ausspäht. Die NSA liefert dafür Dateien mit Suchbegriffen, sogenannten Selektoren, nach denen die Deutschen in ihren Datenbanken suchen sollten. Dabei geht es um E-Mail-Adressen, Telefonnummern oder IP-Adressen von Computern, aber auch um Suchbegriffe, die zu Terroristen und Islamisten führen sollen.

Die NSA erklärte sich bereit, sich dabei an die deutschen Gesetze zu halten. Deutsche Sicherheitsbehörden sagen, zur Terrorbekämpfung sei eine solche Kooperation unerlässlich.

Weitere Details zu der Vereinbarung zwischen BND und NSA sind nicht bekannt, denn das Abkommen ist geheim.

Wer wusste wann was?

Im BND fiel nach derzeitigem Erkenntnisstand bereits im Sommer 2005 auf, dass die Amerikaner mit Suchbegriffen nach Informationen etwa über EADS oder Eurocopter forschen wollten. Medienberichten zufolge sind Informationen über das NSA-Vorgehen zunächst BND-intern nicht weitergegeben worden.

Erst 2008 soll der BND laut „Bild am Sonntag“ ("BamS") das Kanzleramt in einem streng vertraulichen Bericht über Täuschungsversuche informiert haben. In dem Vermerk an das Kanzleramt heißt es laut "BamS", die NSA habe versucht, Wissen über die multinationalen Rüstungskonzerne EADS und Eurocopter abzuschöpfen. Dies widerspreche deutschen Interessen. Daher habe der BND die Anfragen abgelehnt. Kanzleramtsminister war zu diesem Zeitpunkt Thomas de Maizière.

Der BND soll 2010 nach "BamS"-Informationen erneut auf die rechtswidrige Praxis der NSA hingewiesen haben und zwar in einem Dokument, das zur Vorbereitung eines Treffens zwischen de Maizières Nachfolger Ronald Pofalla (CDU) und US-Vertretern diente. Dieses Dokument liegt nach Angaben der Zeitung dem NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags vor.

Das Kanzleramt hat inzwischen eingeräumt, dass es seit spätestens 2008 von den Spähaktionen wusste. Entsprechende Unterlagen wurden einem Regierungssprecher zufolge 2014 dem zuständigen Bundestags-Untersuchungsausschuss übergeben.

Löschte BND NSA-Suchbegriffe?

Doch offenbar war der BND in der Späh-Affäre auch selbst aktiv. Wie der "Spiegel" berichtet, ließ der deutsche Inlandsgeheimdienst im August 2013 rund 12.000 NSA-Suchbegriffe löschen. In dieser Selektorendatei sollen sich etliche mit dem Kürzel "diplo", "bundesamt" und "gov" befunden haben. Auch E-Mail-Adressen, die zu hochrangigen französischen Diplomaten und EU-Institutionen geführt hätten, seien darunter gewesen. Über eine aktive Rolle des BND in dieser Affäre schreibt auch die "Bild". Demnach soll der BND den USA nicht bloß Daten geliefert, sondern sie auch selbst ausgewertet haben. Unklar ist, ob der BND damit gegen deutsche Gesetze verstoßen hat. Generalbundesanwalt Harald Range prüft, ob ein Anfangsverdacht einer Straftat vorliegt.

Bundesregierung unter Druck

Fakt ist: In dieser Affäre steht nicht nur der BND unter Druck, auch die Bundesregierung ist in Erklärungsnot. Der Vorwurf der Lüge steht im Raum. Denn in mehreren Antworten auf parlamentarische Anfragen der Linksfraktion hatte die Regierung in den vergangenen Monaten - und zuletzt noch Mitte April 2015 - erklärt, es gebe "keine Erkenntnisse zu angeblicher Wirtschaftsspionage durch die NSA".

Der frühere Kanzleramtschef de Maizière weist alle Vorwürfe zurück. Nach seiner Befragung vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) des Bundestags am 6. Mai sagte er, er habe als Kanzleramtsminister 2008 nichts von Selektoren oder Ähnlichem zum Zwecke der Wirtschaftsspionage erfahren. Es seien von US-Seite auch keinerlei Firmennamen zur Spionage genannt worden. Die Amerikaner hätten vielmehr die Kooperation der beiden Geheimdienste ausweiten wollen. Der Wunsch der USA sei aber "einvernehmlich abgeschlagen" worden, weil die gewünschte Zusammenarbeit nicht den beim BND geltenden Sicherheitsmaßnahmen entsprochen hätte.

Das PKGr ist für die Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes zuständig. Doch der Einfluss des Gremiums ist begrenzt. Die Bundestagsabgeordneten, die ihm angehören, sind zu strikter Geheimhaltung verpflichtet. Außerdem kann die Bundesregierung dem Kontrollgremium im Zweifelsfall bestimmte Informationen vorenthalten - etwa "aus Gründen des Schutzes von Persönlichkeitsrechten", wie es im Gesetzestext heißt.

40.000 unerwünschte Selektoren

Die Bundesregierung weist auch den Vorwurf zurück, sie habe das Parlament falsch informiert. Sie verhandelt derzeit mit den USA darüber, ob sie die Selektoren dem Untersuchungsausschuss vorlegen kann. Eine interne BND-Untersuchung hatte kürzlich ergeben, dass rund 40.000 dieser Selektoren gegen westeuropäische und deutsche Interessen verstoßen haben könnten.

Die Opposition fordern Einsicht in die Suchlisten - und drohen sogar mit Klage. Zudem wollen sie die zuständigen Kanzleramtsminister der vergangenen Jahre im Untersuchungsausschuss unter Eid befragen lassen. SPD und Opposition drängten darauf, dass auch Kanzlerin Angela Merkel aussagt. Sie hat inzwischen angekündigt, vor dem NSA-Untersuchungsausschuss Rede und Antwort zu stehen.

Angela Merkel ist die Hausherrin des Kanzleramts - und somit letzten Endes auch verantwortlich für die Kontrolle der Geheimdienste. Während ihre Kanzleramtschefs über die Jahre wechselten, ist sie seit 2005 ununterbrochen im Amt.

Aber haben die Erkenntnisse über die heutige NSA-BND-Affäre sie jemals erreicht?

Der BND hat inzwischen Konsequenzen aus der Affäre gezogen: Nach Recherchen von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" liefert der Nachrichtendienst der NSA seit Anfang Mai keine Daten zur Überwachung des Internet-Verkehrs mehr, die in der Station in Bad Aibling gewonnen wurden.