
Antisemitismus bei "Querdenken" "Perfide Strategie oder mangelnde Bildung"
Anne Frank, Sophie Scholl oder der Judenstern: Immer wieder gibt es seitens der "Querdenken"-Bewegung Verweise auf Opfer aus der NS-Zeit. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung ist fassungslos.
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hat die Ereignisse der vergangenen Tage zum Anlass genommen, in Berlin zum Diskurs zusammenzukommen. Unter der Überschrift "Radikalisierung und Normalisierung - Gefahr durch Antisemitismus und Corona-Leugner-Szene wächst" lud er Anetta Kahane von der Amadeu Antonio Stiftung sowie den stellvertretenden Parteivorsitzender der SPD, Kevin Kühnert, am Morgen zum gemeinsamen Termin.
Vorangegangen waren dem Verweise auf Opfer aus der Zeit des Nationalsozialismus auf mehreren "Querdenken"-Demonstrationen. Etwa ein gelber Davidstern mit der Aufschrift "ungeimpft" - statt "Jude" wie zur NS-Zeit. Oder Vergleiche wie der von einer Rednerin bei einer "Querdenken"-Kundgebung in Hannover zu der Widerstandskämpferin Sophie Scholl, die die Nazis hingerichtet haben:
Ich fühle mich wie Sophie Scholl, weil ich seit Monaten aktiv im Widerstand bin.
Klein: "Perfide Strategie oder mangelnde Empathie und Bildung"
Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung zeigte sich fassungslos. "Solche Verharmlosungen des Nationalsozialismus und seiner tatsächlichen Opfer erodieren nicht nur unsere hart erkämpfte Erinnerungskultur und verhöhnen die tatsächlichen Opfer. Sie zeugen entweder auch von einer perfiden, bewussten Strategie oder einem Mangel von Empathie und Bildung auf vielen Ebenen."
Klein beobachtet mit Sorge, wer sich bei den Corona-Demonstrationen alles versammelt. Esoteriker, Friedensbewegte, sogenannte Reichsbürger und Rechtsextreme. Der Antisemitismus verbinde sie: Die Mitte mit den gesellschaftlichen Rändern. Das macht es laut Klein so gefährlich. Worten folgten schnell Taten - wie in Hanau, Halle und Dresden.
Kahane: "Es braut sich etwas zusammen"
Auch Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, macht sich Sorgen. "Wir beobachten eine Eskalation, eine Verdichtung und eine Bedrohung durch die Corona-Proteste." Sie sagt, es braue sich etwas zusammen, was sie so noch nicht kenne. Antisemitismus werde immer offener geäußert. Die Stimmung werde aggressiver. "Verschwörungsideologien haben immer ein antisemitisches Betriebssystem. Weil der Antisemitismus die älteste Verschwörungstheorie überhaupt ist. Sie behauptet, dass die Juden irgendwelche bösen Absichten haben und immer hinter allem Bösen und Schlechten in der Welt stecken."
Kahane ruft die Corona-Demonstranten auf, genauer hinzuschauen, mit wem sie auf die Straße gehen. "Wenn ihr gegen die Art und Weise, wie die Politik das organisiert, protestieren wollt, dann macht das. Aber doch nicht mit den Nazis zusammen."
Kühnert: "Auf der Suche nach Halt in Verschwörungserzählungen"
Neben Kahane saß Kevin Kühnert. Der stellvertretende SPD-Chef engagiert sich schon länger gegen Rassismus und Antisemitismus. Er erklärt sich die Proteste gegen die Corona-Politik so: "Notsituationen sind Momente, in denen Menschen haltlos sind. Es fehlen uns Erklärungen für Zusammenhänge, die neu sind und unser gewohntes Leben durcheinanderwerfen. Viele Menschen finden in solchen Situationen Halt in Verschwörungserzählungen."
Kühnert sprach sich dafür aus, mehr aufzuklären und die politische Bildung zu stärken. Seiner Meinung nach müssen zum Beispiel Lehrerinnen und Lehrer besser vorbereitet werden, wie sie mit antisemitischen Äußerungen umgehen.
Schutz vor Corona und falschen Überzeugungen
Der Antisemitismusbeauftragte Klein hält den Kampf gegen Verschwörungsmythen und Judenhass für eine Aufgabe für alle. "Jeder und jede ist in der Pandemie gefragt, Verantwortung zu übernehmen, um sich andere zu schützen - vor dem Coronavirus genauso wie vor ansteckenden, falschen Überzeugungen." Die große Kritik an dem Vergleich mit Sophie Scholl zeigt für Klein aber, dass der innere Kompass der Mehrheit der Menschen funktioniere.
Nicht nur der Antisemitismusbeauftrage, der SPD-Vize und die Stiftungsvorsitzende sehen mit Sorge, wie sich die "Querdenken"-Bewegung radikalisiert. Auch Verfassungsschützer beobachten die Entwicklung.
Bayerns Ministerpräsident Söder hat sich jetzt nochmal dafür ausgesprochen, die Szene genauer zu beobachten. Außerdem will der CSU-Chef klären lassen, welche Verbindungen es zwischen den "Querdenkern" und der AfD gibt.
Mit Informationen von Björn Dake, ARD-Hauptstadtstudio