Minister Heil wirbt für die Grundrente.
Hintergrund

Kritik an SPD-Gesetzentwurf Warum das Projekt Grundrente wackelt

Stand: 25.01.2020 05:07 Uhr

Die Union hadert mit dem Entwurf von Minister Heil zur Grundrente. Geradezu vernichtend ist jedoch die Kritik ausgerechnet der Behörde, die die Pläne umsetzen muss. Wackelt das SPD-Projekt?

Nach der Kritik von Unionspolitikern und Verbänden wird die Bundesregierung den Gesetzentwurf zur Grundrente später als geplant auf den Weg bringen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil verschiebt offenbar die bisher für kommenden Mittwoch geplante Kabinettsentscheidung um mindestens zwei Wochen. "Wir rechnen damit, dass wir für die Ressortabstimmung noch ein paar Tage brauchen", sagte eine Ministeriumssprecherin. "Wir streben eine Kabinettsbefassung am 12. Februar an."

Zuletzt war die Kritik an den SPD-Plänen zur Grundrente nochmal deutlich lauter geworden. "Die verfassungsrechtlichen Bedenken und die Probleme bei der Umsetzung wiegen so schwer, dass die Umsetzung der Grundrente immer unrealistischer wird", sagte etwa Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die Union, die mit der SPD-Handschrift des Kompromisses schon von Anfang an haderte, sah sich in den vergangenen Tagen in ihrer Ablehnung bestätigt.

Wackelige Finanzierung

"Bis zur Kabinettsbefassung muss das Finanzierungskonzept vorliegen", sagte CDU-Rentenexperte Peter Weiß dem "Handelsblatt". Rund 1,4 Milliarden Euro soll die Grundrente laut Gesetzentwurf von Hubertus Heil im Einführungsjahr 2021 kosten. Finanziert werden soll das vollständig aus Steuermitteln. Und zwar - so der Plan von Finanzminister Olaf Scholz - aus den Erträgen der Finanztransaktionssteuer.

Das Problem ist allerdings: Die seit Jahren diskutierte Steuer auf Börsengeschäfte gibt es noch gar nicht. Und dass es sie bald geben wird, wird zunehmend unwahrscheinlich. Österreich hat den deutschen Vorschlag für eine Finanztransaktionssteuer gerade als "nicht akzeptabel" abgelehnt und droht aus dem Vorhaben auszusteigen. Bewahrheitet sich das und springen womöglich noch weitere EU-Partner ab, wäre das Projekt gescheitert. Denn einen deutschen Alleingang, das hat die Union klargemacht, werde es nicht geben.

Die ungeklärte Finanzierung ist aber nur einer von vielen Kritikpunkten am aktuellen Grundrenten-Konzept. Geradezu vernichtend war in diesen Tagen die Stellungnahme ausgerechnet der Behörde, die das Projekt umsetzen muss: die Deutsche Rentenversicherung. Die sieht vor allem bei der praktischen Umsetzung immense Probleme auf sich zukommen.

Einkommensprüfung mit Hindernissen

Um festzustellen, wer überhaupt Anspruch auf Grundrente hat, ist eine umfassende Einkommensprüfung vorgesehen. Denn Grundrente soll nur erhalten, wer nicht mehr als 1250 Euro als Alleinstehender oder 1950 Euro als Ehepaar zur Verfügung hat. Das war nach zähem Ringen der Kompromiss zwischen Union, die eine Bedürftigkeitsprüfung wollte, und SPD, die das auf gar keinen Fall wollte.

Diese Einkommensprüfung soll nun, "sowohl für die Versicherten als auch für die Verwaltung unbürokratisch ausgestaltet" werden und zwar mittels "voll automatisiertem Datenabgleich zwischen der Rentenversicherung und den Finanzbehörden", heißt es im Gesetzentwurf. Doch das haben sich die Koalitionäre offenbar einfacher vorgestellt als es ist.

Problem 1: Von wegen "voll automatisierter Datenabgleich"

Laut Stellungnahme der Deutschen Rentenversicherung gibt es nämlich kein vergleichbares Verfahren, auf dem aufgebaut werden könnte. Das heißt, entsprechende IT-Verfahren müssen erst entwickelt werden. Aus Sicht der Rentenversicherung müssten diese aber bereits im Juli 2020 verfügbar sein, damit die Grundrente, wie geplant, zum 1. Januar 2021 ausgezahlt werden könnte.

Hinzu kommt, dass die Finanzämter gar nicht unbedingt die benötigten Daten vorliegen haben, beispielsweise "weil viele der potentiellen künftigen Grundrentner bislang überhaupt keine Einkommenssteuererklärung gemacht haben", erklärt der Rentenexperte Stefan Sell von der Hochschule Koblenz im Gespräch mit tagesschau.de.

Künftige Grundrentenbezieher müssten dann also erstmal eine Steuererklärung abgeben. "Doch hier kommt das nächste Problem", sagt Sell. "Wer beispielsweise 2021 in Rente geht und ab dann Grundrente beziehen möchte, kann das Geld in dem Jahr möglicherweise gar nicht bekommen, wenn die Einkommensprüfung eine Steuererklärung voraussetzt." Denn die wird ja immer für das Vorjahr erstellt. Wer aber im Jahr 2019 noch gearbeitet hat, wird ein deutlich höheres Einkommen haben als mit Rentenbeginn. Ob ein Anspruch auf Grundrente besteht, kann - im Beispiel - erst festgestellt werden, wenn der Steuerbescheid für 2021 ergangen ist. Bei schwankenden Einkünften von Rentnern stellt sich dieses Problem jedes Jahr neu.

Problem 2: Wie an die benötigten Informationen kommen?

Und dann gibt es noch zahlreiche für die Einkommensprüfung notwendige Daten, die überhaupt nicht bei den Finanzämtern auflaufen. Wer beispielsweise seine Rente mit einem steuer- und abgabebefreiten Minijob aufstockt, weiß das Finanzamt nicht. Auch mit der Abgeltungssteuer versteuerte Kapitalerträge oder ausländische Einkommen werden laut Rentenversicherung bei den Finanzämtern nicht erfasst.

"Wie die Rentenversicherung an die benötigten Informationen kommen soll, ist unklar", sagt der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Sell. "Um all diese Einkünfte zu prüfen, müsste - ähnlich wie beim Bezug von Hartz IV - ein ganz neues Prozedere geschaffen und ein enormer Aufwand betrieben werden."

Problem 3: Einkommen von Ehegatten

Das gleiche Problem stellt sich bei der Anrechnung der Einkünfte des Ehepartners. Auch diese Informationen liegen der Rentenversicherung bislang nicht vor. "Besonders aufwändig wird das, wenn der Lebenspartner - wie heute häufig der Fall - jährlich schwankende Einkommen hat", so Sell.

Hinzu kommt ein verfassungsrechtliches Problem. Bislang sind laut Gesetzentwurf nämlich nur die Einkünfte von Ehepartnern zu berücksichtigen. Von unverheiratet zusammenlebenden Paaren, die etwa bei Hartz IV als "Bedarfsgemeinschaft" gelten, ist darin keine Rede. Es würde also "Verheiratete gegenüber Unverheirateten benachteiligt", kritisiert unter anderem die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).

Enormer bürokratischer Aufwand

Nicht nur wegen all dieser ungelösten Probleme weist die Deutsche Rentenversicherung auf einen immensen Bürokratieaufwand durch das geplante Gesetz hin. Da die Grundrente auch rückwirkend gelten soll, müssten bei Einführung zunächst an die 26 Millionen Renten überprüft werden, die auf mindestens 33 Beitragsjahren beruhen. Bis Mitte der 1980er-Jahre sind die entsprechenden Daten in aller Regel aber nicht digitalisiert vorhanden. Die Rentenversicherung müsste sie also unter Umständen aus anderen Unterlagen heraussuchen beziehungsweise neu erfragen.

Für den Mehraufwand veranschlagt die Behörde einen Bedarf von mehreren Tausend Vollzeitstellen und weist vorsorglich darauf hin, dass "aktuelle Stellenbesetzungsverfahren zeigen, dass eine Personalgewinnung kurzfristig nicht möglich ist". Die Verwaltungskosten im Einführungsjahr würden mehrere Hundert Millionen Euro betragen und damit mehr als 25 Prozent der Leistungsausgaben für die Grundrente. Auch dafür müsste der Finanzminister noch eine zusätzliche Finanzierungsquelle finden.

Heil soll nachbessern

Für Ärger bei der Union sorgten außerdem letzte Änderungen des Hauses Heil am Entwurf. Demnach sollen Minirenten bereits ab 33 Jahren mit Rentenbeiträgen aus Beschäftigung, Kindererziehung oder Pflegetätigkeit um einen Zuschlag erhöht werden. Der Zuschlag soll zunächst gestaffelt werden und bei 35 Beitragsjahren die volle Höhe erreichen. Im Koalitionsvertrag hatten Union und SPD als Bedingung 35 Jahre Beitragszahlung vereinbart.

Nach Auffassung mehrerer unionsgeführter Bundesministerien muss Heil weitreichend nacharbeiten. Das geht aus Stellungnahmen unter anderem des Gesundheits-, Landwirtschafts- und Innenministeriums hervor, über die das Redaktionsnetzwerk Deutschland berichtete. So verlangen die Beamten von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Agrarministerin Julia Klöckner (beide CDU) demnach Änderungen bei Heils Vorschlag, den Grundrenten-Bezug bereits ab 33 Beitragsjahren zu ermöglichen. Das Gesundheitsministerium beklagt Leerstellen im Gesetzentwurf – etwa zur Berücksichtigung von Auslandseinkünften sowie von Einkünften aus Kapitalvermögen bei der Einkommensprüfung.

Das Arbeitsministerium hält an dem geplanten Starttermin Anfang nächsten Jahres aber fest. "Wichtig ist, dass die Grundrente zum 1. Januar 2021 in Kraft tritt", sagte die Sprecherin. Man gehe davon aus, dass alle Beteiligten konstruktiv mitarbeiten. Nächste Woche ist Koalitionsausschuss - gut möglich, dass es in dem Streitlösungsgremium auch um die Grundrente geht. Es wäre nicht das erste Mal.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 23. Januar 2020 um 18:28 Uhr.