Palästinenser transportierten am 7.10.2023 einen entführten israelischen Zivilisten nach Gaza
interview

Rolle von Fotografen am 7. Oktober "Die Hamas macht nur etwas zu ihrem Vorteil"

Stand: 11.11.2023 12:00 Uhr

Waren Fotografen vorab über die Pläne der Hamas informiert und bei dem Angriff am 7. Oktober auf Israel direkt dabei? Die Kriegsfotografin Ursula Meissner hält das für möglich. Kein unabhängiger Journalist wäre von der Hamas akzeptiert worden, sagt sie im Interview mit tagesschau.de.

tagesschau.de: Sie haben als Fotoreporterin in vielen Kriegs- und Krisenregionen gearbeitet. Hätten Sie jemals ein Foto von sich vor einem brennenden Panzer gemacht oder sich innigst mit einem Führer eines Regimes fotografiert oder fotografieren lassen wie der Fotojournalist Hassan Eslaiah, dessen Bilder zu jenen gehören, die nun von der NGO "Honest Reporting" und der israelischen Regierung kritisiert werden?

Ursula Meissner: Nein, so ein Foto gibt es nicht von mir. Ich war immer nach den Kämpfen da. Während der Kämpfe muss ich mich in Sicherheit bringen wie alle anderen und kann nicht fotografieren. Sonst werde ich selbst erschossen.

Ursula Meissner
Zur Person

Ursula Meissner arbeitete viele Jahre als freie Fotografin in zahlreichen Kriegs- und Krisenregionen, unter anderem in Afghanistan, dem Irak, den Palästinensischen Gebieten, dem früheren Jugoslawien und in Ruanda. Ihre Arbeiten wurden vielfach ausgezeichnet.

"Es waren Verbündete, Freunde"

tagesschau.de: Was lesen Sie denn aus diesen Bildern, über das Selfie vor dem brennenden Panzer, das Foto mit dem Hamasführer? Was sagt Ihnen das als professionelle Betrachterin?

Meissner: Das sagt mir, dass das keine professionellen Journalisten waren, sondern Verbündete, Freunde, die die Hamas mitgenommen hat. Andere würde die Hamas gar nicht akzeptieren. Für mich sind das Mittäter und keine Journalisten.

tagesschau.de: Sie halten es also nicht für möglich, dass die Hamas hier Reporter allein unter dem Gesichtspunkt der Professionalität ausgewählt hat?

Meissner: Das glaube ich nicht, denn die Hamas macht ja nur etwas zu ihrem Vorteil. Die hätten mir niemals jetzt ein Visum gegeben, sondern sie nehmen Freunde oder Anhänger mit, die dann stolz auf die Fotos sind, die sie machen.

tagesschau.de: Sie halten also die Vorwürfe der israelischen Regierung und der NGO "Honest Reporting" für berechtigt?

Meissner: Ja. Alles andere wären zu viele Zufälle. Kein seriöser Fotograf stellt sich vor einen brennenden Panzer oder macht ein Bild, wie eine Frau vergewaltigt wird oder gerade erstochen wird. (Anmerkung der Redaktion: Um diese Bilder geht es allerdings im aktuellen Fall nicht.)

Entsteht Mittäterschaft?

tagesschau.de: Sind Sie jemals in vergleichbaren Situationen gewesen, in der sie unmittelbar Zeugin von Gewalttaten wurden?

Meissner: Ich war einmal mit den Serben auf den Bergen oberhalb von Sarajevo unterwegs. Damals haben Heckenschützen auf die Bewohner im Tal geschossen wie auf Hasen, wenn sie die Straße überquert haben. Als ich das fotografiert habe, habe ich dreimal geschluckt und das Foto an meine Agentur geschickt, damit man sieht, welche Art von Typen das waren.

Die Serben wollten mir auch zeigen, wie treffsicher sie waren und wollten auf ein Hotel zielen, in dem viele UN-Mitarbeiter und auch ich damals wohnten. Ich habe das abgelehnt und gesagt, dass ich solche Bilder nicht brauche und dass wir doch lieber etwas anderes machen sollten. Ich habe immer versucht, zu verhindern, dass für mich geschossen wurde. Ich wollte nie Blutvergießen für die Kamera.

tagesschau.de: Entsteht Mittäterschaft auch dadurch, dass eine Botschaft verbreitet wird, die ja die Täter verbreiten wollen?

Meissner: Natürlich. Kein unabhängiger Korrespondent oder Journalist wäre am 7. Oktober zu diesem Zeitpunkt an diesen Orten gewesen und von der Hamas akzeptiert worden. Reporter wie ich hätten vielmehr riskiert, umgebracht zu werden, weil die Hamas nicht davon ausgegangen wäre, dass ich sie unterstütze und in ihrem Sinne berichte. Das ist in jedem Krieg so. Die einzelnen Parteien akzeptieren vor allem Journalisten, von denen sie glauben, von ihnen profitieren zu können.

"Jede Seite versucht zu inszenieren"

tagesschau.de: Sie haben auch aus den Palästinensischen Gebieten berichtet. Welche Erfahrungen haben Sie dort als unabhängige Berichterstatterin gemacht?

Meissner: Ich war immer mit einem bestimmten Auftrag dort und stand dort, aber auch in anderen Gebieten, immer wieder vor der Problematik: Organisieren die das jetzt für mich oder ist es tatsächlich so? Auch bei den Palästinensern hatte ich oft das Gefühl, das ist jetzt eine Inszenierung, das soll ich jetzt so fotografieren. Dann habe ich das auch so fotografiert, es aber nicht verwendet und konnte dann die Bilder machen, für die ich gekommen war.

Natürlich will jede Seite sich so darstellen, dass sie am besten rüberkommt und versucht dann auch, zu manipulieren oder zu inszenieren. Das beginnt schon mit Imponiergehabe. Ich habe oft genug erlebt, dass Soldaten mir zeigen wollten, wie gut sie schießen, weil ich blond war und aus Deutschland kam. Das hat mit Wirklichkeit nicht mehr viel zu tun. Das darf man nicht vergessen und muss auch im Nachhinein kritisch sein.

Denken Sie nur an das berühmte Foto aus den Palästinensischen Gebieten mit dem kleinen dreijährigen Kind, das einen Stein in der Hand hält. Dieses Foto war inszeniert, aber hat einen Preis bekommen. Das hätte nie geschehen dürfen.

"Einige Redaktionen waren nicht vorsichtig genug"

tagesschau.de: Das berührt aber auch die Verantwortung von Redaktionen.

Meissner: Es stimmt ja: Das Erste, was im Krieg stirbt, ist die Wahrheit. Auf beiden Seiten, ob es nun Ukrainer und Russen oder Palästinenser und Israelis sind - auf beiden Seiten wird manipuliert. Deswegen kann man nicht jedem Foto glauben und sollte versuchen, das alles immer kritisch zu sehen, vor allen Dingen, wenn die Berichterstatter nicht neutral waren. Und hier waren einige Redaktionen nicht vorsichtig genug, als sie diese Fotos von Mittätern überhaupt veröffentlichten.

tagesschau.de: Wenn man als unabhängiger Reporter vorher von solchen Plänen informiert, ringt man dann mit sich, ob man die Behörden informiert und versucht, solche Gewalttaten zu verhindern?

Meissner: Jeder Kollege, den ich kenne, hätte versucht, das zu verhindern und hätte die Behörden informiert. Ich hätte niemals bei so einem Massaker fotografiert, auch aus Selbstschutz. Es wäre für mich überhaupt keine Frage gewesen, ob ich ein sensationelles Bild machen oder die Behörden informieren soll.

Ohne Frage hätte ich die Behörden oder das israelische Militär informiert, wenn ich die Anfänge von diesen Bluttaten gesehen hätte. Im Übrigen: Als der Angriff der Hamas begann, war es ja stockfinster. Welcher ausländische Journalist, wenn er denn tatsächlich zufällig in der Gegend unterwegs gewesen wäre, hätte diese Situation einschätzen können? 

Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de