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Hintergrund

Russische Medien zu Skripal Eine Flut von Behauptungen

Stand: 04.03.2019 15:51 Uhr

Vor einem Jahr ist der ehemalige russische Agent Skripal vergiftet worden. London macht Moskau dafür verantwortlich. Russische Staatsmedien reagieren darauf mit einer Flut oft widersprüchlicher Narrative.

Von Patrick Gensing, ARD-faktenfinder

Das Nowitschok sei in der britischen Militäranlage Porton Down hergestellt worden. Oder: Es wurde zwar in Russland fabriziert, allerdings nicht vom Staat. Oder es wurde gar kein Nowitschok eingesetzt. Oder: Der Anschlag auf Sergei Skripal sei eine Operation unter falscher Flagge gewesen, um Russland vor der Fußball-WM zu diskreditieren - oder um von einem Skandal um Kinderpornografie in Großbritannien abzulenken.

Dies sind nur einige Behauptungen und Erzählungen, die russische Politiker und Staatsmedien nach dem Anschlag in Großbritannien verbreiteten. Wissenschaftler des King's College in London analysierten die englischsprachige Berichterstattung der russischen Staatsmedien in den vier Wochen nach dem Anschlag - und zählten 138 unterschiedliche Narrative. Als Narrativ definieren die Forscher Aussagen, die eine kohärente - also zusammenhängende - Erklärung der Ereignisse anbietet.

Im Schnitt 26 Beiträge pro Tag

Obwohl sich viele der Behauptungen und Verschwörungstheorien gegenseitig widersprechen, haben sie doch eine gemeinsame Botschaft: Russland habe mit der Attacke nichts zu tun.

Um dies zu belegen, veröffentlichten die russische Staatsmedien RT und Sputnik eine Flut an Artikeln, Beiträgen und Kommentaren. Die Forscher zählten innerhalb von vier Wochen 735 Beiträge - durchschnittlich 26 täglich. Allerdings war die Berichterstattung keineswegs gleichmäßig verteilt, sondern die Forscher konnten klare Spitzen dokumentieren: Nachdem Premierministerin Theresa May Russland vorgeworfen hatte, für den Anschlag verantwortlich zu sein, veröffentlichten die russischen Staatsmedien besonders viele Beiträge. Genauso war es, nachdem westliche Staaten verkündeten, als Reaktion auf den Anschlag russische Diplomaten auszuweisen.

Rechtspopulisten als Quellen

Mehrere Behauptungen in den russischen Staatsmedien gingen auf hochrangige russische Politiker zurück, beispielsweise auf Außenminister Sergej Lawrow, der die Arbeit der OPCW anzweifelte.

Außerdem zitierten RT und Sputnik Rechtspopulisten aus verschiedenen Staaten, die spekulierten, der Anschlag sei möglicherweise von westlichen Geheimdiensten ausgeführt worden. So sagte der AfD-Fraktionsvize Roland Hartwig dem Staatssender Sputnik, man dürfe die Möglichkeit nicht ignorieren, dass absichtlich Spuren hinterlassen worden seien, um Moskau zu schaden. Ein Abgeordneter der rechten Partei "Die wahren Finnen" wurde mit dem Verdacht zitiert, die Ukraine sei für den Anschlag verantwortlich.

Screenshot

Der russische Staatssender Sputnik sprach mit dem AfD-Abgeordneten Hartwig und gab seinen Spekulationen reichlich Raum.

Verschwörungstheorien

Als Quellen nutzten RT und Sputnik auch Autoren von rechten Online-Projekten, die beispielsweise behaupteten, die Vergiftung von Skripal habe gar nicht stattgefunden und sei ein "Hoax", die Vorlage dafür sei ein Fernsehdrama gewesen. Eine weitere besonders bizarre Theorie besagte, dass Sergei Skripal abhängig von Nowitschok gewesen sei und eine Überdosis eingenommen habe.

Das wichtigste Narrativ der Staatsmedien war der Untersuchung zufolge aber die Behauptung, die Vorwürfe gegen Moskau seien "russophob" motiviert. Oft wurde dieser Vorwurf kombiniert mit der Behauptung, Russland solle vor der Fußball-WM geschadet werden oder Großbritannien wolle von eigenen Problemen ablenken - beispielsweise vom Brexit oder von einem Skandal um Kindesmissbrauch.

Wiederholen und ergänzen

Die Untersuchung des King's College zeigt, dass die meisten der Narrative kontinuierlich wiederholt wurden - und durch neue Erzählungen ergänzt werden.

Die Wissenschaftler untersuchten nicht nur die Berichterstattung der Staatsmedien im Fall Skripal, sondern auch die sonstigen Schwerpunkte. Dabei wurde deutlich, dass RT und Sputnik über einige Themen besonders ausführlich berichten: über Kriminalität in den USA und Deutschland, über Integrationsprobleme in Schweden, über Islam und Terrorismus in Großbritannien. Damit solle das Bild eines gestörten politischen Systems vermittelt werden.