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PeerTube-Netzwerk Eine Alternative mit Tücken

Stand: 16.02.2021 15:39 Uhr

Das PeerTube-Projekt soll Videoanbieter von kommerziellen Anbietern unabhängig machen und vermeintliche oder tatsächliche Zensur umgehen. Allerdings hat das alternative Netzwerk auch seine Schattenseiten.

Das Projekt gibt es bereits seit 2018 - hat aber in den vergangenen Monaten an Aufmerksamkeit gewonnen: PeerTube ist eine Software, mit der man Plattformen zur Veröffentlichung von Videos und Streams, Instanzen genannt, betreiben kann. Das Projekt wirbt damit, dezentral, frei und transparent zu sein. Inhalte müssen von den Instanzen weder überprüft noch gelöscht werden - es ist ihnen jedoch möglich. "Der Betrieb einer PeerTube-Instanz ist sogar einfacher als der Betrieb eines E-Mail-Servers", erklärt Christian Pietsch vom Verein Digitalcourage gegenüber dem ARD-faktenfinder. "Man braucht nur einen Computer mit einer guten Internetanbindung. In vielen Fällen ist das ein für wenig Geld gemieteter virtueller Server. "

Jeder PeerTube-Betreiber ist also gemeinsam mit seinen Nutzern selbst für die Einhaltung der Gesetze und eine angenehme Atmosphäre verantwortlich. "Darin liegt eine Chance", meint Pietsch. "PeerTube-Instanzen spezialisieren sich oft auf ein bestimmtes Thema. So bildet sich eine Gemeinschaft, die sich selbst besser moderieren kann, als es die Moderationsteams zentraler Plattformen wie YouTube, Twitter und Facebook können, die nicht selten in einem anderen Land und Kulturkreis beheimatet sind."

Alle haben Mitverantwortung

Wie das Tor-Netzwerk, BitTorrent-Systeme oder verschlüsselte Messenger kann PeerTube dazu beitragen, tatsächliche Unterdrückung von Inhalten und Zensur zu umgehen. Das Projekt wird allerdings auch für illegale und kriminelle Zwecke sowie Desinformation missbraucht: Dort sind unter anderem Propagandafilme aus dem Dritten Reich, rassistische, antisemitische und Hetz- und Reichsbürgervideos zu finden - sowie andere Inhalte, die von kommerziellen Plattformen wegen Verstößen gegen die Richtlinien gelöscht wurden. Aktuell nutzen Aktivisten aus der Coronaleugner-Szene die Plattform, um Videos zu verbreiten, die andernorts wegen Falschinformationen oder Verleumdungen gelöscht wurden. Auf ihren Webseiten rufen sie ihre Anhänger auf, eigene PeerTube-Konten zum Hochladen und Weiterverbreiten anzulegen.

Abrufer wird automatisch auch zum Anbieter

Videoanbieter wie -abrufer müssen sich dabei bewusst sein, dass sie sich in einer rechtlichen Grauzone bewegen: PeerTube basiert teilweise auf dem Peer-to-Peer-Prinzip (P2P). Das System macht die IP-Adressen aller Nutzer öffentlich und erlaubt anderen den Zugriff auf die auf dem eigenen Computer zwischengespeicherten Videodaten. Konkret heißt das, dass jeder, der ein Video ansieht, gleichzeitig juristisch als Anbieter des Inhalts angesehen werden kann.

Rechtsanwalt Chan-jo Jun (Archivbild)

IT-Fachjurist Jun gehörte zu den ersten Anwälten, der Betroffene von Filesharing-Abmahnungen vertrat.

"Bei den Peer-to-Peer-Protokollen erfolgt ja schon beim Download ein Angebot zur Weitergabe von Dateifragmente an beliebige andere User", erklärt IT-Fachanwalt Chan-jo Jun gegenüber dem ARD-faktenfinder. Obwohl diese Schnipsel alleine nicht abspielbar oder verwertbar seien, liege trotzdem eine urheberrechtliche Verwertungshandlung vor, die die Zustimmung der Urheber erfordere. Wurde diese nicht erteilt, drohen zivil- und strafrechtliche Konsequenzen.

PeerTube weist selbst auf die Gefahr hin und warnt, dass beim Abspielen von Videos auch das Abschalten der BitTorrent-Option, dem eigentlichen Alleinstellungsmerkmal der Plattform, keine Sicherheit vor Nachverfolgung bietet:

The main threat to your privacy induced by BitTorrent lies in your IP address being stored in the instance's BitTorrent tracker as long as you download or watch the video.

Die Hauptbedrohung für Ihre Privatsphäre durch BitTorrent besteht darin, dass Ihre IP-Adresse im BitTorrent-Tracker des Systems gespeichert wird, solange Sie das Video herunterladen oder ansehen.

Es drohen nicht nur Abmahnungen

Anwender, die andere Peer-to-Peer-Netzwerke als PeerTube genutzt haben, um urheberrechtlich geschützte Inhalte herunterzuladen, haben dies bereits schmerzlich erfahren müssen, als sie kostenpflichtige Abmahnungen erhielten.

Zwar habe man bei PeerTube solche Abmahnungen bisher noch nicht gesehen, sagt Anwalt Jun. Viele Plattformen werden jedoch schon jetzt von spezialisierten Firmen und Anwaltskanzleien überwacht, die die genutzten IP-Adressen aufzeichnen und über die Provider die Klarnamen der Inhaber abfragen. Beim Tausch von urheberrechtlich geschützten Filmen, Serien und Musikdateien sei das eine seit Jahren praktizierte und gängige Methode, sagt sein Kollege Christian Solmecke dem ARD-faktenfinder. "Nutzer sollten sich also keinesfalls sicher fühlen."

Rechtsanwalt Christian Solmecke

Fachanwalt Solmecke warnt vor der sorglosen Nutzung von P2P-Plattformen, zu denen auch PeerTube gehört.

Nicht nur bei Urheberverletzungen drohen juristische Konsequenzen: Nutzern von PeerTube, die sich Videos ansehen, die nach den Gesetzen ihres Landes nicht verbreitet werden dürfen, können sich potenziell strafbar machen - zum Beispiel wenn es sich um illegale pornografische Inhalte oder andere Äußerungsdelikte handelt. Schon jetzt gibt es im Internet Programme und Anwendungen, mit denen jeder mit ein wenig technischen Geschick die Nutzung durch andere überwachen kann.

Technische Maßnahmen schützen nicht

Hilfsmittel wie VPN-Internetzugänge oder Tor-Browser können die Gefahr der Entdeckung verringern, erschweren oder verlangsamen den Videoabruf jedoch - und bieten keinen wirklichen Schutz. Nutzer von Peer-to-Peer-Plattformen wie PeerTube sollten deshalb dringend darauf achten, dass diese keine illegalen Inhalte zu teilen, rät deshalb Rechtsanwalt Solmecke. "Wer sich ob des Inhalts unsicher ist, sollte solche Netzwerke im Zweifel nicht nutzen."

Dieser Empfehlung schließt sich auch sein Kollege Jun an: Spuren hinterlasse man nicht nur online, sondern vor allem auf dem eigenen Rechner.