"Gelbwesten"-Protestler in Frankreich

"Gelbwesten"-Proteste Viele erfolgreiche Fakes

Stand: 22.03.2019 15:01 Uhr

Die Proteste der "Gelbwesten" sind im Netz durch Falschmeldungen massiv angefacht worden. Zudem stellt eine Studie fest, dass der russische Staatssender RT die Berichterstattung auf YouTube dominierte.

Von Karolin Schwarz für den ARD-faktenfinder

Mitte November gingen die französischen "Gelbwesten"-Demonstranten zum ersten Mal auf die Straße. Bereits in den frühen Tagen der Bewegung wurden Falschbehauptungen verbreitet, die die französische Gesellschaft und die Stimmung unter den Protestierenden polarisieren sollten.

Einige von den Falschmeldungen waren millionenfach angesehen und hunderttausendfach verbreitet worden. Die Kampagnenplattform Avaaz veröffentlichte nun eine Untersuchung zu den 100 am meisten verbreiteten Falschmeldungen, die von Faktencheckern aus Frankreich oder anderen Ländern überprüft worden waren. Avaaz ist eine gemeinnützige Organisation, die internationale Kampagnen zu Themen wie Menschenrechte, Klimawandel oder Korruptionsbekämpfung organisiert.

Vor allem Bilder und Videos kursieren als Fakes

Beim Großteil der Fakes handelt es sich um Bilder und Videos, die aus ihrem ursprünglichen Kontext gerissen und in Zusammenhang mit den "Gelbwesten"-Protesten gebracht wurden. Darunter ist beispielsweise ein Bild aus dem Jahr 2012, das eine verletzte Demonstrantin in Spanien zeigt. Ebenso wurden Bilder von Demonstrationen in Katalonien instrumentalisiert.

Tatsächlich hatte es im Rahmen der Proteste in Frankreich auch Fälle von Polizeigewalt gegeben, zusätzlich wurden dann auch Falschmeldungen in Umlauf gebracht.

Ein Video soll belegen, dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron lieber feiern ging, anstatt sich mit den Protesten zu beschäftigen. Allerdings waren die Szenen bereits vor Beginn der Proteste gefilmt worden.

Viele Facebook-Nutzer teilten die Fakes direkt über ihre Accounts oder in Gruppen. Andere Inhalte wurden über Facebook-Seiten von politischen Gruppierungen verbreitet - darunter dem niederländischen Ableger von "Pegida".

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Ein Video von Macron wurde zeitlich falsch zugeordnet, erhielt dadurch eine ganz neue Bedeutung - und wurde millionenfach angesehen.

RT France dominiert bei YouTube

Avaaz untersuchte außerdem, welche französischsprachigen YouTube-Videos zu den Protesten am häufigsten angesehen wurden - ohne den Wahrheitsgehalt zu prüfen. Dazu analysierten die Experten 500 Suchergebnisse auf der Plattform. Das Ergebnis: Der französischsprachige Ableger des russischen Staatssenders RT dominierte das Geschehen. Videos von RT France wurden demnach mehr als doppelt so oft gesehen wie die Videos von Le Monde, L’Obs, Le Huffington Post, Le Figaro und FRANCE 24 zusammen.

RT France produzierte auch deutlich mehr Videos zu den Protesten: Der russische Staatssender lud auf seinem YouTube-Kanal im untersuchten Zeitraum 101 Videos zu dem Thema hoch; bei Le Media waren es 30, und bei den nachfolgenden sieben Medien insgesamt 100.

Die RT-Tochter Ruptly sitzt in Berlin und ist weltweit oft bei Demonstrationen zugegen und überträgt diese live auf YouTube und Facebook. Auch in Deutschland wurden zahlreiche Demonstrationen, wie etwa bei "Pegida" in Dresden, im Netz übertragen.

Etablierte Medien wenig sichtbar

Laut Avaaz waren auf YouTube zudem "Alternativmedien", einzelne YouTuber und Bürgerjournalisten deutlich sichtbarer als etablierte Medien. Eine Erklärung könnte sein, dass etablierte Medien deutlich weniger Videos zu den Protesten der "Gelbwesten" in den sozialen Medien veröffentlichten. Zudem entsprechen die hochgeladenen Videos nicht unbedingt den Nutzungsgewohnheiten von YouTube - etwa, weil es sich um Beiträge handelt, die für das Fernsehen produziert wurden.

Die Forscher Michael Golebiewski und Danah Boyd bezeichneten dieses Phänomen in einem Forschungsbericht als "Data void" - also Datenlücke. Wenn zu einem bestimmten Thema nicht ausreichend faktenbasiertes Material oder unabhängige Berichterstattung vorhanden ist, wird diese Lücke von Akteuren gefüllt, die eine ideologische oder politische Agenda verfolgen.

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Zahl der YouTube-Videos zu den Protesten

Forderungen an Social-Media-Plattformen

Die Petitionsplattform Avaaz hatte bereits eine Untersuchung zu Desinformation vor den brasilianischen Präsidentschaftswahlen veröffentlicht. Im Vorfeld der Europawahlen im Mai startete die Plattform zudem eine Kampagne gegen Desinformation im Netz. Im Zusammenhang mit dem Bericht wurde auf Avaaz selbst auch eine Petition gestartet, die Social-Media-Plattformen aufruft, Falschmeldungen verstärkt zu korrigieren.

Avaaz fordert, dass Facebook und andere Social-Media-Plattformen mit Faktencheckern zusammenarbeiten und Korrekturen zu Falschmeldungen allen Nutzern anzuzeigen, die diese zuvor gesehen hatten.