Flüchtlinge an der Grenze zu Kroatien

Stimmungsmache im Netz Fake News über Bankkarten für Flüchtlinge

Stand: 21.11.2018 09:07 Uhr

Um die Themen Flucht und Migration kursieren viele Fake News. Derzeit wird behauptet, der Milliardär Soros finanziere massenhafte Flucht über den Balkan - mit Hilfe von Mastercard. Belege gibt es nicht. Von Patrick Gensing.

Um die Themen Flucht und Migration kursieren viele Fake News. Derzeit wird behauptet, der Milliardär Soros finanziere massenhafte Flucht über den Balkan - mit Hilfe von Mastercard. Belege gibt es nicht.

Rechtsradikale Blogs erzielen mit irreführenden Beiträgen über Flüchtlinge weiterhin enorme Reichweiten. So berichteten beispielsweise die Seite "PI-News" und "Philosophia perennis" Anfang November über einen angeblichen Skandal auf dem Balkan. Demnach fördert Mastercard "die Migrantenflut" oder gleich "Invasion" nach Europa.

Gemeinsam mit "Nova24TV" aus Slowenien habe man recherchiert, dass Flüchtlinge in Bosnien-Herzegowina über UNHCR-Bankkarten verfügten, vermutlich finanziert durch den US-Milliardär George Soros. Viele der Flüchtlinge seien mit neuen hochwertigen Schuhen und Wanderkleidung, Smartphones und sogar Waffen ausgestattet, wird behauptet. Während des Zwischenstopps in osteuropäischen Ländern würden sie an Geldautomaten Bargeld abheben, um Vorräte anzuhäufen. Als vermeintliche Belege dienen "anonyme Hinweise aus der kroatischen Polizei" sowie ein Foto einer UNHCR-Bankkarte.

Trotz der starken Vorwürfe und der schwachen Quellenlage wurden diese Berichte auf Facebook tausendfach geteilt, darunter von mehreren AfD-Verbänden und "Pegida"-Ablegern sowie in Gruppen wie "Reale Verschwörungen", "Allianz Europa - Russland" oder "Politisches Chaos in Deutschland und Europa".

Screenshot: Artikel "Migrantenflut nach Europa per Mastercard" von www.pi-news.net

Zwei Fotos, die aus dem Kontest gerissen wurden, eine angebliche Verschwörung - solche Berichte erreichen Zehntausende Nutzer.

Anonyme Aussage - über drei Ecken

Eine Recherche zeigt: Für die Berichte gibt es keine belastbaren Belege oder Quellen. Die rechtsradikalen Blogs beziehen sich auf anonyme Hinweise aus der kroatischen Polizei, die das populistische "Nova24TV" erwähnte. Der slowenische Sender berichtet allerdings lediglich von einem Polizisten, der sich wiederum gegenüber dem bosnisch-kroatischen Portal "Kamenjar" geäußert haben soll - und zwar bereits Anfang September.

Verlinkt ist der "Kamenjar"-Artikel allerdings nicht, sodass unklar bleibt, was dieser anonyme Polizist gegenüber dem nationalistischen Portal tatsächlich gesagt hatte.

Bild aus dem Kontext gerissen

In deutschen Blogs wird zudem auf das Bild einer UNHCR-Bankkarte verwiesen, mit der Flüchtlinge angeblich in Osteuropa quasi auf Shopping-Tour seien. Als ein Kronzeuge wird in den Berichten ein slowenischer "TV-Redakteur" angeführt, der auf Twitter behauptete, diese Bankkarten seien "ein Beweis" dafür, "wie die EU die europäische Kultur zerstört".

Allerdings handelt es sich bei dem Mann um keinen Redakteur, sondern er selbst gibt bei Twitter als Beruf Kamera-Assistent an. Das Foto stammt außerdem nicht vom Balkan, sondern aus einer UNHCR-Broschüre für Griechenland. Darin wird erklärt, wie das "Multi-Purpose Cash and Sectoral"-System in dem Land funktioniert. Es handelt sich um Prepaid-Karten, die registrierte Flüchtlinge erhalten, um selbst Lebensmittel kaufen zu können.

Screenshot: Ninoslav Vucetic auf Twitter

Der Tweet eines Kamera-Assistenten aus Slowenien dient als vermeintlicher Beweis.

Zahlungen reichen nicht für teure Anschaffungen

Die Höhe der Zahlungen basiert laut UNHCR auf Berechnungen für den "Minimum Expenditure Basket" - also dem Minimum, das ein Haushalt benötigt, um grundlegende Ausgaben zu bewältigen. Das heißt: Für Anschaffungen von teurer Wanderausrüstung oder Smartphones, so wie in den Blogs behauptet, reichen die Prepaid-Zahlungen nicht.

Zudem erklärte das UNHCR auf Anfrage des ARD-faktenfinder, die Beträge reichten je nach Größe der Familie von 90 bis 550 Euro und seien dafür gedacht, den wichtigsten Bedarf dieser Familien zu decken - also Nahrung, Kinderkleidung oder Bustickets. Dieser Bedarf und der Aufenthaltsort werde regelmäßig überprüft. Außerhalb Griechenlands seien die Karten nutzlos. George Soros und seine Organisationen seien in dieses Programm nicht involviert. In Griechenland werde das Programm gemeinsam mit der Regierung betrieben. Davon profitieren rund 55.000 Flüchtlinge und Asylsuchende im Land.

Die UNHCR setzt ähnliche Karten auch in anderen Staaten ein, um Menschen direkt zu helfen. Mastercard kooperiert dabei seit 2015 in einem "Aid Network". Nach eigenen Angaben hatte Mastercard das System gemeinsam mit der Organisation "Save the children" im Jemen getestet, wo es sich bewährt habe. Die Vorteile lägen auf der Hand: Das Geld erreiche unmittelbar die Menschen und die Hilfsorganisationen können nachvollziehen, welche Waren mit der Karte bezahlt wurden. Zudem sei der Aufwand bei digitalen Zahlungen weit geringer als bei Bargeld.

Eine Sprecherin von Mastercard teilte auf Anfrage des ARD-faktenfinder mit, das Unternehmen arbeite "aktiv mit NGOs, Wohltätigkeitsorganisationen, Hilfsorganisationen und Regierungen" zusammen, um die Bargeldausgabe auf ein digitales Format umzustellen. Dieses sei sicherer und müsse "strengen Verwendungsanforderungen entsprechen". Die jüngsten Medienberichte, die auf Missbrauch hindeuten, seien nicht korrekt.

Reporter berichten über schlechte Zustände

Die Behauptungen über Flüchtlinge, die angeblich auf dem Balkan finanziert von Soros Geld anhäuften und sich teure Ausrüstung leisten könnten, sind also falsch. ARD-Reporter konnten bei Besuchen an der Grenze von Bosnien zu Kroatien zudem keineswegs bestätigen, dass Flüchtlinge dort gut ausgestattet seien.

Im Gegenteil: Die Lage ist angespannt, bei der Verteilung von Hilfsmitteln kam es bereits zu Konflikten. Zudem übernachten viele Menschen in kleinen Zelten. WDR-Reporterin Isabel Schayani sprach vor Ort mit Personen, die von Übergriffen durch kroatische Polizisten berichteten.

Rund um die Balkanroute kursieren immer wieder Gerüchte. Falsch waren beispielsweise auch Berichte, wonach 20.000 Migranten die bosnisch-kroatische Grenze durchbrechen wollten. Tatsächlich halten sich weit weniger Menschen an der Grenze auf, 20.000 Migranten waren im gesamten Jahr im ganzen Land registriert worden. Ziel solcher Falschmeldungen ist es offenkundig, Angst, Hass und Wut zu schüren sowie Verschwörungstheorien zu verbreiten.

Neue Balkanroute

2015 waren über die Balkanroute mehr als eine Million Menschen nach Westeuropa gekommen. Seit zwei Jahren ist dieser Transitweg durch Grenzzäune und den verstärkten Einsatz von Polizei und Militär weitgehend blockiert. Flüchtlinge versuchen nun verstärkt, über Bosnien in die EU zu gelangen.