Zwei Männer im Anzug, von denen einer einen Aktenkoffer trägt, werfen lange Schatten.

Politische Stimmung Gefahr der Einflussnahme bleibt

Stand: 30.09.2017 11:00 Uhr

Bis die Bundesregierung gebildet ist, vergehen wohl Wochen politischer Unsicherheit. Auch danach könnte eine Koalition mit einer geschwächten Kanzlerin und der AfD im Bundestag anfällig für Einflussnahme sein, die im Wahlkampf ausblieb.

Von Silvia Stöber, tagesschau.de

"Keine Berichte über russische Einflussnahme", schrieb der russische Politikexperte Dmitri Trenin am Tag nach der Bundestagswahl auf Twitter. "Das schafft eine günstige Atmosphäre für neue Versuche, die bilateralen Beziehungen zu verbessern."

Aus den Worten mag die Hoffnung vieler in Moskau gesprochen haben, endlich Spannungen abzubauen. Sie liefern auch eine mögliche Erklärung dafür, warum ein groß angelegter Angriff ausblieb, der die Stimmung während des Wahlkampfs verändert hätte.

Nach dem Cyberangriff auf den Bundestag 2015 und dem Fall "Lisa" waren Behörden, Medien und andere Organisationen sensibilisiert und warteten geradezu auf Angriffe, die sich nach Russland zurückführen lassen könnten.

Doch bereits der Vorwurf der Einmischung in den Wahlkampf der USA und Frankreichs hatte sich für Russlands Ansehen und internationale Position als nachteilig erwiesen. So weist Russland denn auch mit Vehemenz jede Behauptung einer Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten zurück. Es gebe kein einziges Gerichtsurteil, das dies belege, lautet ein Argument.

Die Enthüllungsplattform Wikileaks wiederum, der vorgeworfen worden war, nie Dokumente über Russland zu verbreiten und womöglich in Verbindung zu Moskau zu stehen, veröffentlichte wie zum Gegenbeweis am 20. September "Spy Files Russia". Es handelte sich um technische Dokumente einer Firma, die Überwachungsausrüstung herstellt. Der Inhalt jedoch sagt wenig Neues über das Überwachungsprogramm, das in Russland eingesetzt wird.

Einflussnahme im eigenen Land verhindern

Belege einer Einflussnahme im Ausland würden sich gerade jetzt für die russische Führung schlecht machen - ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl in Russland. Schon jetzt versucht sie im eigenen Land alles zu unterbinden, was die Bürger von außen in ihrer Meinung beeinflussen könnte.

Der Föderationsrat, eine Kammer des russischen Parlaments, will per Gesetz "Einmischung in innere Angelegenheiten" unter Strafe stellen. Die Kommunikationsbehörde Roskomnadsor drohte damit, Facebook zu blockieren, wenn die Firma ihre Server nicht nach Russland verlege. Die Russische Gesellschaftskammer, ein staatsnahes Gremium, das die Gesellschaft repräsentieren soll, schlug unter anderem ein Internetportal zur Bekämpfung ausländischer Propaganda vor - um nur drei Beispiele zu nennen.

Kreml in Moskau

Eine "Einmischung in innere Angelegenheiten" will die Führung scheinbar um jeden Preis vermeiden.

Eine berechenbare Kanzlerin

Dabei sagt die Erfahrung aus dem französischen Wahlkampf, dass eine wirksame Beeinflussung der Bürger eine genaue Kenntnis von Kultur und Gepflogenheiten erfordert. Gerüchte, Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron habe einen Liebhaber, schadeten seinem Ansehen jedenfalls nicht.

Ebenso fraglich wäre, ob etwa Material über Merkel viel hätte ausrichten können. Ohnehin ist es gut möglich, dass Russlands Präsident Wladimir Putin mit einer zumindest in der Außenpolitik berechenbaren Kanzlerin Vorlieb nehmen will. Er selbst hatte einmal gesagt: "Angela und ich kennen uns schon lange. Wir haben Meinungsverschiedenheiten, aber wir haben auch viel gemeinsam."

Schüren von Ängsten

Merkel unterstützt das Ostsee-Pipeline-Projekt "Nord Stream 2". Bei einem anderen für Russland wichtigen Thema, könnte es sich als vorteilhaft erweisen, dass die Union geschwächt aus der Wahl hervorging und Merkel auch aus den eigenen Reihen stärker unter Druck gerät: Es geht um die Sanktionen wegen der Annexion der Krim und des Krieges in der Ostukraine. Merkel steht dazu, aber nur die Grünen untertützen ihre Position in der Schärfe. Sogar aus der CSU und FDP kommen Forderungen, Russland nachzugeben.

Bühne der AfD-Wahlparty

Mit dem Schüren von Ängsten gewann die AfD Stimmen. Politische Debatten könnte sie erschweren.

Die notwendige Debatte über die Außen-, Sicherheits- und Finanzpolitik Deutschlands in Europa und darüber hinaus - wie der Umgang mit Russland, eine Stärkung der Verteidigungsfähigkeiten, militärisches Engagement im Rahmen der NATO, die Zukunft der EU und des Euro - wird durch die AfD im Bundestag nicht einfacher. Wie im Wahlkampf beim Thema Flüchtlingspolitik und innere Sicherheit würde auch bei diesen Themen das Schüren von Ängsten eine sachliche Debatte erheblich erschweren.

In der EU gerät die Bundesregierung unter Druck durch nationalistisch getrimmte Debatten gegen Deutschland, zum Beispiel in Polen oder Ungarn. Zumindest unterschwellig forciert werden sie durch Desinformationen auf Webseiten, die teils nachgewiesenermaßen in Verbindung zu Russland stehen.

Twitter-Kampagnen und Cyberattacken

Dass die Stimmung in Deutschland über soziale Medien beeinflusst werden soll, zeigte sich durchaus während des Wahlkampfs: Auf Twitter wurden in großen Mengen Inhalte zugunsten der AfD verbreitet. Kurz vor dem Abstimmungstag verbreiteten Social Bots - automatisierte Profile auf Twitter - Warnungen vor Wahlfälschungen zum Nachteil der AfD. Eingesetzt wurden Botnets, die sonst überwiegend Werbung auf Russisch und Englisch verbreiten.

Wer genau dahinter steht, ist schwer nachzuvollziehen. Eine Internet-Kampagne gegen Merkel unter dem Motto "Eidbrecherin" wies Ähnlichkeiten zur Kampagne zur US-Politikerin Hillary Clinton auf.

Facebook wiederum musste einräumen, dass Fake-Accounts aus Russland auf seiner Plattform gezielt Anzeigen zu politischen Themen in den USA schalteten. Auch setzte Facebook Empfehlungen für Nutzergruppen in der Rubrik "Nachrichten und Politik" aus. Auf den vordersten Plätzen dieser Kategorie waren Gruppen gelistet, die überwiegend rechtsaußen stehen.

Eine weitere Möglichkeit bleibt auch nach der Wahl, dass Informationen eingesetzt werden, die bei der Cyberattacke auf den Bundestag 2015 sowie bei weiteren Angriffen auf Abgeordnete und die Parteien erbeutet wurden.

Putin übernimmt keine Verantwortung für Cyber-Krieger

Sie könnten einerseits als strategisches Wissen für Verhandlungen dienen, andererseits zur Bloßstellung und Erpressung von Politikern. Dies wäre der klassische Weg, Erkenntnisse aus Geheimdienstarbeit zu nutzen. Die nun laufende Regierungsbildung und das Aushandeln des Koalitionsvertrages sind eine sensible Phase politischer Unsicherheit. Eine Jamaika-Koalition mit einer geschwächten Kanzlerin und einer starken AfD im Bundestag ist anfälliger als politische Konstellationen in den vergangenen Jahren.

Auch wenn sich die Warnungen vor massiven Wirkungen von Desinformationskampagnen nicht bewahrheitet haben und ein Dämonisieren Russlands kontraproduktiv wäre, so war es Putin selbst, der warnte: Für unabhängige, patriotisch gesonnene Cyber-Krieger aus Russland könne er keine Verantwortung übernehmen, wenn diese einen "gerechten Kampf" gegen jene führten, die schlecht über Russland reden. Mit anderen Worten: Kritiker sollten immer auf der Hut sein.