Eine Journalistin hält ein Plakat mit Putin, Le Pen und Trump bei einer Pressekonferenz in Moskau mit Putin.
Hintergrund

Russlands Einfluss in Frankreich Keine Kampagne, aber eine Strategie

Stand: 21.04.2017 18:14 Uhr

Die Sorgen waren groß, dass Russland Einfluss auf den Wahlkampf in Frankreich nehmen würde. Doch angekündigte Enthüllungen blieben bislang aus. Sichtbar ist jedoch eine langfristige Strategie.

Von Silvia Stöber, tagesschau.de

"Russland akzeptiert keine Einmischung in seine inneren Angelegenheiten - wir auch nicht", hatte Frankreichs Außenminister Jean-Marc Ayrault Ende März gewarnt. Es sei nicht an Russland, den künftigen Präsidenten Frankreichs auszuwählen.

Ayrault kam da gerade von einem Treffen der NATO-Außenminister in Brüssel. Andere NATO-Außenminister hatten dort ebenfalls vor einem Risiko gewarnt, dass sich Russland - wie womöglich in den USA - in die Wahlgänge europäischer Staaten einmischen könnte.

Schließlich geht es bei dieser Präsidentschaftswahl um viel: Mit der Abstimmung könnte sich die Zukunft Europas entscheiden, falls Marine Le Pen oder der linksradikale Jean Luc Mélenchon die Wahl gewinnen und die Bürger über den Verbleib Frankreichs in der EU entscheiden lassen würden. Und Russlands Außenminister Sergej Lawrow hatte bei der Sicherheitskonferenz in München für eine neue post-westliche Weltordnung geworben. Außerdem war der Ausgang einer Präsidentschaftswahl selten so ungewiss.

Aus Sorge vor Manipulationen entschied die französische Regierung, dass im Ausland lebende Franzosen ihre Stimme bei der Parlamentswahl im Juni, anders als geplant, nicht online abgeben können. Bei einer Präsidentschaftswahl gab es diese Möglichkeit aber bisher ohnehin nicht.

Französische und internationale Medien wiederum starteten das gemeinsame Projekt CrossCheck, um gegen Falschinformationen während des Wahlkampfs vorzugehen.

Macron im Fadenkreuz

Auch wenn der russlandfreundliche Präsidentschaftskandidat François Fillon Sorgen vor einer Einmischung des Kreml als "Hirngespinste" abtat, so schienen sich die Befürchtungen Anfang Februar zu bestätigen.

Julian Assange

Assange sollte Enthüllungen über Macron liefern.

Die russische Zeitung "Iswestija" kündigte an, Wikileaks-Gründer Julian Assange werde "Öl in das Feuer der Präsidentschaftskampagne" schütten. Er besitze Mails von Hillary Clinton mit interessanten Informationen über den unabhängigen Kandidaten Emmanuel Macron. Die vom russischen Staat finanzierten Medien Sputnik und RT France stimmten ein und kündigten Enthüllungen über den ehemaligen Wirtschaftsminister an.

Es folgte ein Interview von Sputnik mit dem französischen Abgeordneten Nicolas Dhuicq. Der Republikaner ist als Unterstützer des russischen Präsidenten Wladimir Putin und des syrischen Staatschefs Bashar al-Assad bekannt. Dhuicq erzählte, Macron werde von einer "sehr reichen Gay Lobby" unterstützt und sei ein Agent des US-Bankensystems.

Hinzu kam, dass in den sozialen Medien verstärkt Gerüchte über einen Liebhaber Macrons gestreut wurden, sowie kaum verhohlene antisemitische Äußerungen über seine Tätigkeit als Investmentbanker bei der Bank Rothschild. Die Quellen waren allerdings schwer auszumachen.

Der Abgeordnete Dhuicq, hier bei einem Besuch in Aleppo (Dritter v.l.)

Der Abgeordnete Dhuicq, hier bei einem Besuch in Aleppo (Dritter v.l.)

Richard Ferrand, Generalsekretär von Macrons Bewegung "En Marche", warf Russland eine "Fake News"-Kampagne vor. Zudem habe es Cyberattacken auf die Computer von "En Marche" gegeben, für die Russland verantwortlich sei.

Die Präsidentschaftskandidaten Marine Le Pen und Fillon hingegen bedachten die russischen Auslandsmedien mit überwiegend positiven Artikeln. Beide stehen für eine freundliche Haltung gegenüber Russland. Macron hingegen gibt sich als überzeugter Anhänger der EU und Anhänger des transatlantischen Bündnisses mit den USA.

Macron kontert mit Ironie

Macron selbst, der mit seiner früheren Französischlehrerin verheiratet ist, beantwortete die Gerüchte um einen Liebhaber mit Ironie: Falls er neben seiner Ehe ein Doppelleben führen sollte, dann könne es nur daran liegen, dass sein eigenes "Hologramm" ausgebüchst sei. Damit nahm er zugleich seinen Rivalen Jean-Luc Mélenchon aufs Korn, der Wahlkampfauftritte von "Hologrammen" seiner selbst absolvieren lässt, um zur gleichen Zeit an mehreren Orten präsent sein zu können.

Emmanuel Macron

Macron zerstreute Gerüchte über einen angeblichen Liebhaber mit Humor.

Die groß angekündigten Enthüllungen über Macron blieben danach aus. Bislang gab es auch keine groß angelegten Attacken mehr gegen ihn. Umfragen nach zu urteilen erzielten die Verleumdungsversuche wenig oder keine Wirkung: Macron hat demnach große Chancen, die zweite Runde der Präsidentschaftswahl zu erreichen und dann gegen Le Pen zu gewinnen.

Keine Anzeichen für eine Kampagne

Über eine russische Einflussnahme habe es bislang mehr Mutmaßungen als greifbare Anzeichen gegeben, sagt der Journalist Benoît Vitkine von der Zeitung "Le Monde". "Es gibt keine sichtbaren und zielgerichteten Handlungen."

Auch dem Experten Anton Shekhovtsov vom "Institut für die Wissenschaften vom Menschen" in Wien, der sich insbesondere mit Verbindungen zwischen Russland und populistischen und extremen Kräften in Europa befasst, fiel in den vergangenen Wochen nichts auf, was für eine Kampagne spräche  - wie übrigens auch im Wahlkampf in den Niederlanden. Letzteres stellte auch der niederländische Geheimdienst AIVD fest, der nichtsdestotrotz eine generelle Strategie Russlands sieht, die öffentliche Meinung mit Desinformation und Propaganda zu beeinflussen.

Entrüstung über Verleumdungen

Auf die Frage, warum nach dem Interview von Sputnik mit Dhuicq keine weiteren relevanten Aktionen gegen Macron wahrgenommen wurden, zählt Cécile Vaissié, zwei Thesen auf. Sie ist Professorin für russische und sowjetische Studien an der Université Rennes 2.

Ein Grund könne sein, dass die Worte von Dhuicq über eine "Gay-Lobby" hinter Macron große Entrüstung in Frankreich ausgelöst hätten und kontraproduktiv gewesen seien. "Die Franzosen haben nichts damit zu schaffen, ob Macron homosexuell ist oder nicht. Das würde nach Rufmord riechen, gerade weil es in einem russischen Medium erschien", sagt Vaissié.

Andererseits werde die Frage der politischen Einflussnahme durch den Kreml intensiv debattiert und Hinweisen darauf in Frankreich, in der EU und in den USA nachgegangen, wo es dazu ja Ermittlungen gebe. "Daher hatte ich sehr deutlich das Gefühl, dass der Druck von dort in den vergangenen Wochen nachgelassen hat", sagt Vaissié, die im vergangenen Jahr ein Buch über "Die Netzwerke des Kreml" in Frankreich geschrieben hat.

Trolle und Think Tanks

Andererseits verweist die Professorin darauf, dass seit Monaten, wenn nicht Jahren über die klassischen und sozialen Medien versucht werde, im Westen generell das Vertrauen in die Wahlsysteme und die politischen Systeme zu schwächen.

Wenn in Russland nachweisbar Trolle für Kommentare und Aussagen bezahlt würden, warum dann nicht auch im Ausland, fragt Vaissié. Als Beispiel nennt sie einen russischen Studenten in Kanada, der bei Facebook unter falschem Namen nichts anderes tue, als auf Englisch die Politik von US-Präsident Donald Trump zu loben und dessen Vorgänger Barack Obama zu attackieren.

Um die Eliten in Frankreich zu erreichen, setzt die russische Führung auf Think Tanks. Dazu zählt das 2008 gegründete "Institut für Demokratie und Kooperation“ (IDC) in Paris. Es kooperiert auch mit dem deutschen Magazin "Compact", das in rechtspopulistischen und verschwörungstheoretischen Kreisen beliebt ist. Die Direktorin Natalia Narotschnizkaja tritt bei "Compact"-Konferenzen auf. In Interviews behauptet sie, der Westen wolle Russland unterwerfen und instrumentalisiere dafür das Thema Menschenrechte. Russland präsentiert sie als Alternative zum Westen.

Le Pen zu Besuch im Kreml

Auch der Journalist Vitkine geht davon aus, dass die russische Führung eine langfristige Politik der Beeinflussung verfolgt. Was ihm im aktuellen Präsidentschaftswahlkampf auffällt: "Selten waren außenpolitische Themen im Wahlkampf so präsent, der Fokus liegt auf Russland und Syrien, beides eng verbunden."

Bilder dazu lieferte der Kreml am 24. März. An dem Tag nahm sich Putin nicht nur anderthalb Stunden Zeit für Marine Le Pen, sondern präsentierte sich mit ihr auch vor den Kameras der internationalen Medien. Es wirkte wie ein Dankeschön dafür, dass Le Pen die Annexion der Krim für legitim erklärt hat und dass sie für einen Austritt Frankreichs aus der Kommandostruktur der NATO ist.

Putin betonte bei dieser Gelegenheit, Russland wolle "auf keinen Fall" Einfluss auf die politischen Ereignisse in Frankreich nehmen. Für eine erfolgreiche Kampagne vor der ersten Runde der Präsidentschaftswahl in Frankreich gibt es seit Mitte Februar in der Tat keine sichtbaren Anzeichen mehr. Eine mittel- und langfristige Strategie mit dem Einsatz von Soft-Power-Instrumenten wie Think Tanks und Medien ist aber sichtbar. "Der Kreml hat die Mittel, um mittelfristig weiter die öffentliche Meinung in Frankreich zu beeinflussen. Dies wird sicher keine Probleme bereiten, aber es wird die Spaltung und die Unzufriedenheit gegenüber der Regierung und der EU verschärfen", sagt Vaissié.