Christian Drosten

Artikel zu Kinder-Studie Wie "Bild" auf Drosten losgeht

Stand: 26.05.2020 18:56 Uhr

Ein "Bild"-Artikel über eine Studie des Virologen Drosten zeigt, wie Forschung zum Virus diskreditiert wird, indem eine Fachdebatte unter Forschern missbraucht wird.

Ein großer Teil der Beschränkungen zur Eindämmung des Coronavirus ist aufgehoben, doch viele Eltern müssen weiter ihre Kinder zu Hause betreuen. Aufgrund strenger Vorschriften arbeiten Kindertagesstätten und Schulen noch immer nur eingeschränkt. Angesichts von Stress und Belastung wird viel Unmut laut und ebenso die Frage, ob all das überhaupt notwendig ist: Sind denn Kinder nicht weniger gefährdet und ansteckend als andere Altersgruppen?

In diese Stimmung hinein machte die "Bild"-Zeitung den vermeintlich Schuldigen aus: In einem "Papier mit weitreichenden politischen Konsequenzen" habe der Virologe Christian Drosten behauptet, dass Kinder genauso ansteckend wie Erwachsene sein können. Als Konsequenz habe der Forscher die Politik vor einer unbegrenzten Wiedereröffnung von Schulen und Kindergärten in der gegenwärtigen Situation gewarnt.

Der Skandal laut "Bild"dabei: Die Studie sei "grob falsch" und habe "komplett daneben" gelegen. Dazu stellte das Blatt die Frage: "Wie lange weiß der Star-Virologe schon davon?" und "Fiel die deutsche Schulpolitik einer falschen Studie zum Opfer?"

Zitierte Forscher distanzieren sich

Als Zeugen zitiert "Bild" vier Forscher, die sich kritisch zur Aussagekraft der Studienergebnisse angesichts der verwendeten statistischen Methoden und der geringen Anzahl der untersuchten Kinder geäußert hatten.

Für eine Stellungnahme zu Äußerungen seiner Kollegen räumte "Bild" Drosten eine Stunde Zeit ein. Der Forscher rechnete mit einer "tendenziösen Berichterstattung" und teilte auf Twitter mit, er "habe Besseres zu tun".

Kaum war der "Bild"-Artikel veröffentlicht, distanzierten sich die im Text zitierten Wissenschaftler wie Jörg Stoye von der Cornell-Universität in der US-Stadt Ithaca. Der Statistiker erklärte dem "Spiegel", dass seine für eine wissenschaftliche Debatte gedachten kritischen Äußerungen zu den statistischen Methoden keine Manipulation von Daten unterstelle.

Drosten selbst beschreibt die verwendeten statistischen Methoden als "einfach" und "grob". Die Hinweise von Statistikern habe sein Team verwendet, um diese zu verfeinern. Einer von ihnen sei an der Bearbeitung der Studie beteiligt worden, die nun als formale Publikation eingereicht werde. Dies war Teil eines üblichen Austauschs zwischen Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen.

Politisierung einer wissenschaftlichen Debatte

Auf Twitter und Facebook erntete "Bild" zudem harsche Kritik. Betroffene kritisieren zum Beispiel, dass Artikel wie dieser von der notwendigen Debatte um wirkungsvolle, aber nicht zu belastende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus ablenkten. Andere merken an, dass politische Entscheidungen nicht auf einer einzigen Vorpublikation, die sich noch im Prozess der wissenschaftlichen Bewertung befindet, beruhten. Zu Wort kommen in der öffentlichen Debatte zum Beispiel auch Kinderärzte der LMU München, die den Sinn von Schulschließungen anzweifeln.

Ein eingespieltes Bewertungsverfahren von Forschungsergebnissen, das Drosten anhand der Studie zur Ansteckungsanfälligkeit bei Kindern im aktuellen NDR-Podcast thematisiert, stilisiert der "Bild"-Artikel zu einer Auseinandersetzung zwischen Befürwortern und Gegnern von Einschränkungen zur Virusbekämpfung. Er überspitzt die generelle Tendenz der Medien zur Vereinfachung komplexer Zusammenhänge und zur Personalisierung.

Eine Politisierung der Wissenschaft, die auch an die Klimadebatte erinnert, wo insbesondere Gegner und Skeptiker der Theorie vom menschengemachten Klimawandel Forschern ihre Haltung vorwerfen und wissenschaftliche Ergebnisse mit Meinungen gleichsetzen.

Nur Basis für politische Entscheidungen

Drosten und weitere Wissenschaftler wie Hendrik Streeck von der Universität Bonn betonen jedoch, dass sie lediglich Fakten für politische Entscheidungen liefern wollen. Drosten begründet zudem seine Schlussfolgerungen ausführlich und änderte sie bei neuen Erkenntnissen, ob beim Tragen von Schutzmasken oder im Fall der Schließungen von Kindergärten und Schulen.

Dabei will Drosten mit Transparenz und Anschaulichkeit der Erklärungen dazu beitragen, notwendiges Vertrauen in eine Forschung zu schaffen, die derzeit Basis für Entscheidungen ist, die in den Alltag eines jeden hinein wirken. Dies nutzen seine Gegner jedoch als Vorwurf, er verbreite falsche Aussagen oder er sei ein schwacher Forscher und befeuerten damit Gegner der Corona-Beschränkungen und Anhänger von Verschwörungserzählungen, die wissenschaftliche Erkenntnisse als Meinungen abtun.

Andererseits gibt es in der Debatte um den "Bild"-Artikel die Aufforderung an die Wissenschaft, den richtigen Umgang mit der Öffentlichkeit und mit Kritik zu finden, vor allem bei politisch brisanten Themen. Der Wissenschaftsjournalist Tin Fischer zum Beispiel schrieb, dass Drosten mit Presseanfragen zu der noch vorläufigen Studie hätte rechnen können, da er sie schon mehrfach erwähnt hatte.

"Medien haben eigene Gesetze", beschreibt Statistiker Stoye seine Erfahrung mit dem Umstand, dass ein bislang wenig beachtetes Fachgebiet plötzlich im Mittelpunkt öffentlicher Aufmerksamkeit steht.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 26. Mai 2020 um 12:09 Uhr.