Bericht über Paris-Attentäter Traf sich Abdeslam mit Rechtsextremisten?

Stand: 14.10.2021 17:24 Uhr

Zum zweiten Jahrestag der Paris-Anschläge sorgte eine Meldung in Ungarn für Aufregung: Der mutmaßliche Drahtzieher Abdeslam soll in dem Land Rechtsextremisten getroffen haben. Doch sicher ist bislang nur: Abdeslam war in Ungarn.

Von Silvia Stöber, tagesschau.de

Der Franzose Salah Abdeslam gilt als einer der Hauptverdächtigen der Terroranschläge am 13. November 2015 in Paris, bei denen 130 Menschen getötet wurden. Er wartet derzeit in einem französischen Gefängnis auf seinen Prozess. Zu den Anschlägen bekannt hatte sich der "Islamische Staat" (IS). Deshalb ließ ein Artikel der ungarischen Nachrichtenseite zoom.hu am zweiten Jahrestag der Anschläge aufhorchen. Darin hieß es, Abdeslam habe sich vor den Anschlägen in Ungarn mit Mitgliedern der militanten "Ungarischen Nationalen Front" (MNA) getroffen. Die österreichische Nachrichtenagentur APA sowie die deutsche Nachrichtenagentur dpa berichteten darüber, mehrere Zeitungen griffen die Information auf.

Wer steht hinter der Webseite zoom.hu?

Doch was hat es mit zoom.hu und dem Bericht auf sich? Die Webseite existiert noch nicht lange. Sie gibt sich regierungskritisch und pro-europäisch. Bekannt ist jedoch, dass dessen Besitzer gute Kontakte in den Sicherheitsapparat hat. Als Quelle für den Bericht werden jedoch anonyme regierungsnahe Quellen zitiert: Die ungarischen Behörden und ausländische Geheimdienste hätten von dem Treffen gewusst, aber dazu geschwiegen. Zoom.hu zitiert den Oppositionspolitiker Zsolt Molnár, Chef des Parlamentsausschusses für Nationale Sicherheit: Er handle sich um "außerordentlich schweren Behauptungen" und "eine der größten, die nationale Sicherheit Ungarns bedrohende Gefahren", sollten sich die Behauptungen als wahr erweisen.

Wie wahrscheinlich ist ein Treffen?

Ungarische Medien behandelten den Bericht mit Skepsis und berichteten kaum darüber, wie der ungarische Investigativjournalist Szabolcs Panyi sagt. Für ihn sei der Bericht über das Treffen schockierend gewesen, so Panyi, der sich mit Rechtsextremismus in Ungarn befasst. Von einer solchen Verbindung habe er zuvor nichts gehört. Außerdem verhielten sich die meisten Organisationen am rechten Rand seit der Flüchtlingskrise 2015 extrem feindselig gegenüber Muslimen, Migranten und Flüchtlingen.

Bis dahin sei die "traditionelle" rechtsextreme Szene in Ungarn jedoch anti-jüdisch und pro-palästinensisch eingestellt gewesen und hege bis zu einem gewissen Grad weiter Sympathien für Syriens Staatsführer Baschar al-Assad. An Veranstaltungen der rechtsextremen Partei Jobbik hätten syrische, iranische und türkische Geschäftsleute und Diplomaten teilgenommen.

Auch Historiker Volker Weiß weist daraufhin, dass Allianzen zwischen Rechtsextremen und Islamisten denkbar sind: In Deutschland etwa sei die Neue Rechte gegen Einwanderung, aber: "Ihr Hauptfeind ist nicht die Lehre Mohammeds, sondern die globale Moderne mit all ihren Konsequenzen." Der autoritäre Ultrakonservatismus des politischen Islam entspreche der geistigen Welt der Neuen Rechten viel mehr als die der vorgeblich "dekadenten" westlichen Zivilisation.

Was ist die MNA?

Extremismusforscher Péter Kreko, Chef des ungarischen Politikinstituts "Political Capital", beschreibt die MNA - die "Ungarische Nationale Front" - als kleine lokale rechtsextreme und ernstzunehmende Organisation. Journalist Panyi sagt, seines Wissens nach sei die MNA die einzige militante rechtsextreme Organisation in Ungarn gewesen, die ihre Mitglieder auch in der Anwendung von Waffen trainiert habe.

Erwähnenswert ist ein Vorfall im Oktober 2016: Damals habe die Polizei das Haus von MNA-Chef Istvan Györkös nahe der Stadt Györ durchsucht. Dabei sei ein Polizist erschossen worden. Das Ungarische Terrorabwehrzentrum (TEK) beschlagnahmte bei Razzien die Waffen der MNA, die sich danach praktisch auflöste. Ehemalige Mitglieder hätten sich dann anderen rechtsextremen Gruppen angeschlossen, berichtet Panyi.

Verbindungen zum russischen Militärgeheimdienst

Ein wichtiger Aspekt waren Verbindungen der MNA zu russischen Diplomaten und zum russischen Militärgeheimdienst GRU: Panyi berichtete 2016 mit Bezug auf anonyme Quellen von diesen Verbindungen, die kurz darauf der Sicherheitsausschuss des ungarischen Parlaments bestätigte. Panyi fand auch heraus, dass Ex-MNA-Chef Györkös finanzielle Verbindungen zu einem Jobbik-Abgeordneten hatte, dem Spionage für Russland vorgeworfen wird. Sollte es tatsächlich ein Treffen Abdeslams mit MNA-Mitgliedern gegeben haben, dann hätte der GRU zumindest davon wissen müssen, sagt Panyi.

Ungarische Führung hält sich bedeckt

Ungarns Regierung und die Sicherheitskräfte tragen wenig zur Klärung bei: "Von der Polizei über das Terrorismusabwehrzentrum bis zu Regierungschef Viktor Orban ist niemand bereit, die Lage aufzuklären", sagt Oppositionspolitikerin Ágnes Vadai von der sozialliberalen "Demokratischen Koalition". Sie ist Mitglied des Parlamentsausschusses für Verteidigung und Gesetzesvollzug.

Zum einen verweist sie darauf, dass die rechtsextreme Szene in Ungarn praktisch seit 1989 unter Beobachtung der Geheimdienste stehe. Das bestätigt auch Panyi: Der Militärgeheimdienst KNBSZ und sein Vorgänger KBH hätten die Aktivitäten der MNA intensiv beobachtet. Dadurch habe man überhaupt von den Militärübungen und Kriegsspielen der MNA mit dem russischen GRU erfahren.

Abdeslam war mehrfach in Ungarn

Zum anderen erinnert Vadai daran, dass Aufenthalte Abdeslams in Ungarn bereits länger bekannt sind: Im Dezember 2015 teilte die belgische Generalstaatsanwaltschaft mit, dass Abdeslam wenige Wochen vor den Pariser Anschlägen zwei Mal mit Mietwagen nach Budapest gereist sei.

Auf seiner Rückkehr am 9. September 2015 sei er bei einer Routinekontrolle an der ungarisch-österreichischen Grenze gestoppt worden. Er sei mit zwei Männern mit gefälschten belgischen Ausweisen unterwegs gewesen. Behörden teilten damals mit, Abdeslam habe in Ungarn nicht registrierte Flüchtlinge als Attentäter rekrutiert.

Außerdem berichtete die österreichische "Kronen-Zeitung" von einer Touristin, die Abdeslam nach den Anschlägen im Januar 2016 in einem Café in der ungarischen Stadt Sopron gesehen haben will. Sie habe dies gleich nach ihrer Rückkehr dem österreichischen Verfassungsschutz gemeldet, ohne dass etwas geschehen sei. Abdeslam wurde erst zwei Monate später in Brüssel festgenommen.

Wer hat Interesse an der Story?

Der Bericht über Abdeslam sei Thema in einer nicht-öffentlichen Sitzung des Sicherheitsausschusses im ungarischen Parlament gewesen, wie zoom.hu berichtete - und zitierte erneut den Ausschussvorsitzenden Molnar: Die Parlamentarier hätten keine klare Antwort erhalten, ob es Verbindungen zwischen der MNA und Islamisten gab. Konkrete Informationen zu Abdeslams Aufenthalten in Ungarn im Januar 2016 und Treffen mit der MNA seien aber nicht bestätigt worden.

Politikwissenschaftler Kreko sieht in dem Bericht von zoom.hu einen politisch motivierten Versuch, eine direkte Verbindung von der rechtsextremen Jobbik-Partei zum Terrorismus herzustellen, denn Jobbik versuche Orbans Regierungspartei Fidesz herauszufordern. Zugleich ignoriere die Regierung die offensichtlichen Verbindungen nach Russland, um die eigenen engen Beziehungen zu Moskau nicht zu beschädigen.

Peter Kreko

Jobbik soll wohl mit Terrorismus in Verbindung gebracht werden, vermutet Kreko.

Vadai glaubt, dass von russischen Geheimdiensten eine größere Gefahr für Ungarn ausgehe als von Islamisten. Sie will aber nicht ausschließen, dass es Verbindungen zwischen Islamisten und Rechtsextremisten gab, wirkliche Aufklärung erwartet sie aber erst nach einem Regierungswechsel.

Auch Panyi traut der Regierung nicht. Denn diese nutze das Schüren von Ängsten mit einer Anti-Islam-Kampagne voller Lügen. Der Journalist hofft nun auf Informationen der Geheimdienste und Behörden in Frankreich, Belgien, Österreich und Deutschland, die mit Ungarn bei der Terrorbekämpfung zusammenarbeiten.