Trump und Merkel bei ihrem Zusammentreffen im Weißen Haus im März
Interview

Ex-Bush-Berater im Interview "Merkel wird einen Zugang zu Trump finden"

Stand: 03.06.2017 20:05 Uhr

Die neue US-Regierung braucht noch Zeit, um ihren Kurs in der Außenpolitik zu finden, sagt Stephen Hadley im tagesschau.de-Interview. Er war Sicherheitsberater von George W. Bush. Um die transatlantischen Beziehungen macht Hadley sich keine Sorgen - noch nicht.

tagesschau.de: Mr. Hadley, im Vorfeld des Irak-Kriegs dienten Sie als stellvertretender Nationaler Sicherheitsberater unter Präsident George W. Bush. Damals waren die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA belastet. Auch heute knirscht es zwischen Berlin und Washington. Erinnert Sie die aktuelle Situation an Ihre Zeit im Weißen Haus?

Stephen Hadley: Das wird man noch sehen. Generell sehen die transatlantischen Beziehungen im Rückblick immer friedlich aus. Dabei hatten wir immer wieder schwierige Zeiten. Denken Sie nur an die Stationierung von Mittelstreckenraketen in den 1980er-Jahren, die Meinungsverschiedenheiten über den Umgang mit Bosnien in den 1990er-Jahren und schließlich die unterschiedliche Sicht über den Umgang mit dem Irak. Damals nutzte Kanzler Schröder uns sogar für seinen Wahlkampf!

Schwierige Phasen gab es schon immer - und ich denke, wir stecken auch jetzt wieder in einer. Nie zuvor ist es einer populistischen Bewegung gelungen, das Weiße Haus zu erobern. Die Trump-Regierung wird Zeit brauchen, um ihre Beziehungen mit Deutschland und Europa zu sortieren. Aber ich bin optimistisch. Wir kommen auch durch diese schwierige Phase.

Stephan Hadley
Zur Person

Stephen Hadley diente acht Jahre im Weißen Haus unter US-Präsident George W. Bush, zunächst als Stellvertreter der damaligen Nationalen Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice, ab 2005 als ihr Nachfolger. Heute ist er einer der Direktoren der Denkfabrik Atlantic Council und betreibt mit seiner ehemaligen Vorgesetzen Rice sowie Ex-US-Verteidigungsminister Robert Gates die Beratungsfirma RiceHadleyGates.

"Einiges an Kritik war auch überzogen"

tagesschau.de: Woher schöpfen Sie angesichts des bisherigen Verhaltens dieser Regierung Ihren Optimismus?

Hadley: Schauen Sie sich die zurückliegende Auslandsreise an. Die Trump-Regierung hat sicher unnötige Fehler gemacht, aber einiges an Kritik war auch überzogen. Die Staaten im Nahen Osten wollten, dass die Reise ein Erfolg wird. Die amerikanischen und europäischen Medien haben sich hingegen auf die Spannungen konzentriert. Nehmen Sie als Beispiel den Besuch im NATO-Hauptquartier. Ich habe die Rede des Präsidenten dort gelesen. Ja, Präsident Trump war sehr direkt in der Frage, dass die Bündnispartner mehr zahlen sollen. Aber das sagen US-Präsidenten seit Jahrzehnten. Ich wäre daher nicht in die Krisenrhetorik verfallen, zu der einige Medien gegriffen haben.

Auch die Kritik, dass Trump die Artikel-5-Garantie nicht explizit erwähnt hat, finde ich etwas überzogen. Schließlich hat er seine Rede im Rahmen einer Zeremonie gehalten, die an den Ausruf von Artikel 5 nach 9/11 erinnerte. Durch seine bloße Anwesenheit hat er also die Bündnisverpflichtungen der USA anerkannt. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass es von jedem anderen Präsidenten erwartet worden wäre, die Artikel-5-Garantie bei jedem Besuch im NATO-Hauptquartier aufs Neue zu bestätigen, zumal ich keine Anhaltspunkte dafür sehe, dass die USA sich von dieser Garantie verabschieden würden.

Der NATO-Vertrag

Die NATO versteht sich als defensive Allianz. Artikel 5 des Vertrages schreibt die Beistandspflicht fest: "Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen wird."

Seit dem Ende des Kalten Kriegs versucht das Bündnis, sich auf die veränderte Bedrohungslage einzustellen. So bekräftigten die NATO-Partner 1994 ihr Angebot, sich an "friedenswahrenden und anderen Operationen" zu beteiligen. Das strategische Konzept von 1999 formuliert die Bereitschaft der NATO, "zu wirksamer Konfliktverhütung beizutragen und aktive Krisenbewältigung zu betreiben, auch durch Krisenreaktionseinsätze". Dabei erwähnt das Konzept ausdrücklich, dass dies über den ursprünglich in Artikel 5 festgeschriebenen Verteidigungsauftrag hinausgeht.

"Bei dieser Regierung dürfte es länger dauern"

tagesschau.de: Im Wahlkampf hat Trump immerhin verkündet, die NATO sei obsolet. Später revidierte er diese Aussage. Und auch wenn Sie die Rede des Präsidenten als implizite Bestätigung von Artikel 5 verstanden haben, so gab es doch auch andere Wahrnehmungen. Kann Außenpolitik funktionieren, wenn die Halbwertzeit der Aussagen des US-Präsidenten selbst für seine Verbündeten nicht berechenbar ist?

Hadley: Wenn sich in zwei oder drei Jahren die Positionen immer noch verändern, dann nicht. Aber die neue Regierung braucht Zeit. Trump ist kein erfahrener Außenpolitiker. Und wir kommen aus einem Wahlkampf, in dem er vieles impulsiv formuliert hat, um zu gewinnen. Jetzt treffen diese Impulse auf die Gesetzgebung des Kongresses und die Ansichten seines Kabinetts. Es war bemerkenswert wie viele Mitglieder seiner außenpolitischen Mannschaft während ihrer Senatsanhörung Dinge gesagt haben, die Trumps Wahlversprechen völlig zuwider laufen. Hinzu kommt, dass der Präsident nun auch die Positionen anderer Staats- und Regierungschefs zu hören bekommt.

Das alles sorgt dafür, dass seine Standpunkte sich verändern. Er wird die US-Botschaft in Israel nicht nach Jerusalem verlegen. Er erhebt keine Strafzölle in Höhe von 40 Prozent auf chinesische Produkte. Seine Rhetorik bezüglich des Freihandelsabkommens NAFTA hat sich verändert. Diese Regierung, die ja erst seit vier Monaten im Amt ist, findet noch ihre Rolle. Und dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Normalerweise braucht eine Regierung sechs bis acht Monate, um fest aufgestellt zu sein. Bei dieser Regierung dürfte es länger dauern, vielleicht ein Jahr.

Und die Regierung ist bereit zu lernen. Sie nimmt Rat von ausländischen Würdenträgern an. Der japanische Ministerpräsident Abe und die chinesische Präsident Xi waren sehr erfolgreich. Angela Merkel wird es auch sein. Ich habe erlebt, wie sie George W. Bushs und Barack Obamas beste Freundin wurde - und das sind zwei sehr unterschiedliche Persönlichkeiten. Ich denke, sie wird auch einen Zugang zu Präsident Trump finden.

Trump und Merkel beim G7-Treffen auf Sizilien

Sichtlich nicht auf einer Wellenlänge: Trump und Merkel beim G7-Treffen auf Sizilien

" Wissen Sie, wer das genauso sieht? Donald Trump"

tagesschau.de: Das heißt, die Aussagen der Bundeskanzlerin aus dem Bierzelt bereiten Ihnen keine Sorge?

Hadley: Natürlich gibt es gerade Probleme. Aber ich denke, die Kanzlerin hat den richtigen Ton getroffen. Sie hat gesagt: Wir stehen zur transatlantischen Allianz. Wir sind trotz des Brexit an guten Beziehungen zum Vereinigten Königreich interessiert. Und wir wollen gute Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika. Aber es wird Zeit, dass Europa mehr Verantwortung für seine Zukunft übernimmt. Wissen Sie, wer das genauso sieht? Donald Trump.

tagesschau.de: Wie wird die außenpolitische Trump-Doktrin aussehen?

Hadley: Keine Ahnung.

"Ohne irgendeine Form von Regierungserfahrung zu haben"

tagesschau.de: Erschreckt Sie das nicht?

Hadley: Natürlich! Aber wir müssen bedenken, dass Trump Präsident geworden ist, ohne irgendeine Form von Regierungserfahrung zu haben. Das ist ein neues Phänomen. Er lernt vieles erst im Amt - und das wird zu Fehlern führen.

Im Moment gibt es zudem zahlreiche Widersprüche. Er bekräftigt unsere Allianzen und weist gleichzeitig darauf hin, dass unsere Verbündeten mehr selbst leisten müssen. Er will die amerikanische Wirtschaft stärken und setzt gleichzeitig auf Abschottung. Diese Spannungsverhältnisse muss die Regierung auflösen. Doch solange es nicht soweit ist, kann man noch nicht über eine Trump-Doktrin sprechen.

"Eine Korrektur des Obama-Kurses"

tagesschau.de: Zumindest im Nahen Osten zeige sich die Trump-Regierung zuletzt berechenbar. In Saudi-Arabien kündigte der Präsident an, auf eine Isolation des Iran zu setzen. Ist dieser Schritt geeignet, die Region zu befrieden?

Hadley: Ich glaube nicht, dass das wirklich das Ziel der Regierung ist. Es scheint mehr um eine Korrektur des Obama-Kurses zu gehen. Dessen Regierung war so darauf konzentriert, den Iran einzubinden und das Nuklearabkommen zu verhandeln, dass sie den destabilisierenden Einfluss Teherans in der Region ignoriert hat - im Jemen, im Irak, im Libanon, in Syrien. Das war ein Fehler.

Präsident Trump versucht jetzt, dies zu korrigieren und unsere Beziehungen im Nahen Osten neu auszubalancieren. Vergessen Sie nicht: Das Atomabkommen ist weiter in Kraft, auch wenn Trump im Wahlkampf angekündigt hatte, es zu zerreißen.

"Obama hat nicht deutlich gemacht, wer seine Freunde sind"

tagesschau.de: Sie glauben also nicht, dass die USA künftig einseitig die sunnitische Allianz um Saudi-Arabien gegen den schiitischen Iran unterstützen werden?

Hadley: Präsident Obama hat nicht deutlich gemacht, wer seine Freunde in der Region sind. Er hat sich zwischen Iran auf der einen Seite und Israel und unseren langjährigen sunnitischen Verbündeten positioniert und hat sinngemäß gesagt: Findet eine Lösung. Das hat unsere Alliierten sehr verstört. Sie hatten das Gefühl, allein gelassen zu werden. Diesen Fehler korrigiert Trump jetzt. Ich halte das für einen richtigen Schritt. Wir müssen uns um die Bedrohung durch den IS und Al Kaida kümmern - aber auch um die Destabilisierung durch den Iran.

tagesschau.de: Der Einfluss des Iran in der Region hat auch durch die Folgen des Irak-Kriegs zugenommen. Welche Verantwortung tragen die USA für die derzeitige Lage im Nahen Osten?

Hadley: Wir tragen eine große Verantwortung für die unvorhergesehenen Konsequenzen der Invasion von 2003. Und wir tragen auch eine Verantwortung für die Gewalt zwischen den Glaubensrichtungen, die im Land ausgebrochen ist. Wir waren unfähig, diese zu kontrollieren. Und das hat viele Menschen das Leben gekostet - vor allem Iraker, aber auch Amerikaner.

Es wird allerdings oft vergessen, dass sich die Lage im Irak bis Ende 2008 stabilisiert hatte. Dies hing mit der Entscheidung von Präsident Bush zusammen, die Truppen im Land deutlich aufzustocken. Al Kaida im Irak war besiegt, eine Einheitsregierung im Amt, die Gewalt ging zurück. Damals konnte der irakische Nationalismus den Einfluss des Iran begrenzen. Dieser Fortschritt wurde jedoch verspielt, als wir unsere Truppen abzogen und nicht in den syrischen Bürgerkrieg eingriffen. Dieser Krieg destabilisierte die Region erneut. Schließlich kam der IS, übernahm 40 Prozent des irakischen Staatsgebiets und bedrohte Bagdad. Das brachte die irakische Regierung dazu, sich Hilfe von schiitischen Milizen und dem Iran zu holen.

Ich würde also sagen, dass nach der Invasion von 2003 viele Fehler gemacht wurden. Wir haben jedoch viele von ihnen im Jahr 2007 korrigiert. Doch das Nicht-Eingreifen in Syrien hat für den endgültigen Zusammenbruch gesorgt.

Das Interview führte Julian Heißler

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 31. Mai 2017 um 07:16 Uhr