Großbritanniens Premier Boris Johnson trägt im Gespräch mit Mitarbeitern des London Ambulance Service einen Mund-Nasen-Schutz.

Brexit-Report in London Gefahr aus Russland ignoriert

Stand: 21.07.2020 15:31 Uhr

Nach einigen Verzögerungen ist in London der Bericht zur Rolle Russlands beim Brexit veröffentlicht worden. Das Fazit: Ob Russland wirklich Einfluss nahm, bleibt unklar. Schwere Vorwürfe erhebt der Bericht gegen die Regierung.

Der britische Geheimdienstausschuss zur Rolle Russlands beim Brexit-Referendum lässt an einer Sache keinen Zweifel: Russische Einflussnahme sei die neue Normalität, so Ausschussmitglied Kevan Jones. Großbritannien sei eines der Topziele für Russlands Geheimdienste.

Die große Frage, ob und inwiefern Russland Einfluss auf das EU-Referendum 2016 genommen hat, beantwortet der Report nicht eindeutig. Es sieht nach versuchter Einflussnahme aus, wobei sich deren Wirkung nicht wirklich messen lasse, sagte Ausschussmitglied Stewart Hosie. Aber: "Aus Sicht des Ausschusses ist es schlimmer als das. Der Report zeigt, dass niemand in der Regierung wusste, ob Russland sich einmischte, weil man es nicht wissen wollte. Die britische Regierung hat aktiv vermieden, nach Beweisen für russische Einmischung zu suchen."

Dabei hätte 10 Downing Street es besser wissen müssen, meint der Geheimdienstausschuss, denn es habe glaubwürdige Informationen darüber gegeben, dass Russland 2014 versucht hat, das schottische Unabhängigkeitsreferendum zu beeinflussen.

Brexit-Plakat

Plakat aus dem Jahr 2018: Hier wird Boris Johnson - damals noch Außenminister - die Zusammenarbeit mit Russland vorgeworfen.

Kein Schutz demokratischer Prozesse

Der Report geht mit der Regierung grundsätzlich hart ins Gericht. So habe sich gezeigt, dass es in Großbritannien für den Schutz demokratischer Prozesse keine klaren Zuständigkeiten gebe. Und beim Thema Geldwäsche und Großspenden kommt der Bericht zu dem Schluss, dass britische Regierungen über viele Jahre hinweg russische Oligarchen und ihr Geld mit offenen Armen empfangen hätten.

Dazu hatte sich einst vor dem Ausschuss Bill Browder geäußert. Browder ist ein in den USA geborener britischer Unternehmer, der als scharfer Putin-Kritiker gilt. In der BBC hat Browder heute früh dargelegt, wie die russische Einflussnahme seiner Meinung nach aussieht: "Ich habe Belege dafür gebracht, die zeigen, dass Russland nicht nur durch den KGB, der heute FSB heißt, vorgeht, sondern inoffizielle Kanäle nutzt. Konkret: Oligarchen, Leute, die durch Korruption reich geworden sind. Diese Oligarchen sind nach Großbritannien gekommen und geben dem Establishment Geld, geben hochstehenden Persönlichkeiten Geld, die dann für die russische Regierung Informationen beschaffen und in ihrem Sinne in Großbritannien Einfluss nehmen."

Bewusste Verzögerung?

Zu den hochstehenden Persönlichkeiten gehören laut Browder auch Mitglieder des Oberhauses, und auch wenn der Report inzwischen etwas Staub angesammelt hat, ist sich Browder sicher, dass seine Aussagen immer noch gültig sind. Tatsächlich hat die Veröffentlichung des Berichts lange auf sich warten lassen. Die wäre schon im letzten Oktober möglich gewesen, aber Premier Boris Johnson hat ihr nicht zugestimmt.

Das empört Dominic Grieve, der der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses war, als der Bericht erstellt wurde, bis heute: "Der Bericht hätte vor der Unterhauswahl veröffentlicht werden können und da hätte er auch veröffentlicht werden sollen! Die Erklärungen der Regierung, warum sie das verhindert hat, waren absolut unglaubwürdig." 

So hätten Politik und Öffentlichkeit neun Monate verloren, um sich vor russischer Einflussnahme zu schützen. Vor wenigen Tagen erst hatte die britische Regierung selbst das Thema aufgebracht, dass Russen wohl versucht haben, die Unterhauswahl im Dezember 2019 zu beeinflussen.

Imke Köhler, Imke Köhler, ARD London, 21.07.2020 15:07 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR aktuell am 21. Juli 2020 um 16:23 Uhr.