Hintergrund

Terrorbekämpfung in Russland Dschihad - exportiert, aber nicht besiegt

Stand: 10.05.2016 15:17 Uhr

Russland geht im Inland harsch gegen Dschihadisten vor. Tausende gingen in der Folge als Kämpfer in den Nahen Osten, bleiben aber eine Gefahr für russische Bürger. Doch auch moderate Muslime werden ausgegrenzt.

Vergangenen Donnerstag teilte der russische Inlandsgeheimdienst FSB mit, er habe eine Serie von Anschlägen während der Maifeiertage verhindert. Es seien Verdächtige aus Zentralasien festgenommen worden, die im Auftrag islamistischer Terrororganisationen in Syrien und der Türkei unterwegs gewesen seien. Man habe große Mengen Waffen und Sprengstoff sichergestellt.

Schon Ende März hatte der FSB erklärt, er habe in Moskau 20 mutmaßliche Anhänger des "Islamischen Staates" (IS) festgenommen. Sie sollen versucht haben, Kämpfer zu rekrutieren.

FSB-Hauptquartier in Moskau

Hauptquartier des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB in Moskau: Anschlagsserie Anfang Mai vereitelt?

Es scheint, als seien die Sicherheitskräfte in Russland erfolgreich darin, den IS an der Umsetzung seiner Drohung zu hindern. Die Terrormiliz hatte als Antwort auf den russischen Einsatz in Syrien ein "Meer aus Blut" in Moskau angekündigt.

Zwar gab es im Nordkaukasus Anschläge auf Sicherheitskräfte, zu denen sich der IS bekannt hat. Und immer mehr dschihadistische Gruppierungen in der russischen Unruheregion schwören dem IS ihre Gefolgschaft.

Doch insgesamt ging die Gewalt in der muslimisch geprägten Region in den vergangenen Jahren zurück. Einer unabhängigen Statistik zufolge gab es im vergangenen Jahr 209 Tote und Verletzte. 2014 waren es noch 314.

Militärische Antiterroroperationen

Bei der Bekämpfung der Terrorgefahr setzt die russische Führung vor allem auf die Sicherheitskräfte. So werden im Nordkaukasus, und dabei vor allem in der unruhigsten Region Dagestan, zahlreiche Militär- und Terrorabwehroperationen durchgeführt.

Auch in Zentralasien, der Herkunftsregion vieler Festgenommener, sind russische Sicherheitskräfte aktiv. Mitte März hielt die russische Armee an der Grenze zu Afghanistan ein Manöver ab, bei dem die Abwehr einer Invasion islamistischer Kämpfer trainiert wurde. In Tadschikistan, das eine 1300 Kilometer lange Grenze mit Afghanistan verbindet, sind 6000 russische Soldaten stationiert. Ihre Einheiten werden derzeit umstrukturiert, um flexibler auf ein mögliches Eindringen islamistischer Kämpfer aus Afghanistan reagieren zu können.

Perspektivlosigkeit und Ausgrenzung

Was jedoch weniger im Fokus der russischen Führung steht, sind die Ursachen der Radikalisierung junger Menschen. So ist es die Chancenlosigkeit angesichts korrupter Gesellschaftsstrukturen und die schlechte wirtschaftliche Lage in ihren Heimatländern, die nach Einschätzung von Experten viele Zentralasiaten zu der Entscheidung veranlasst, sich dem IS oder anderen Terrororganisationen im Ausland anzuschließen. Rekrutiert würden sie allerdings zumeist in Moskau, wo viele versuchen, mit Hilfsjobs den Unterhalt für ihre Familien zu verdienen.

Hinzu kommt, dass schon moderate muslimische Strömungen als Sicherheitsrisiko behandelt und entsprechend aus dem gesellschaftlichen und politischen Leben ausgegrenzt werden.

Dies trifft auf Tadschikistan zu und ebenso auf den russischen Nordkaukasus. Dabei hatte es in Dagestan Projekte gegeben, mit denen sich islamistische Kämpfer rehabilitieren und reintegrieren konnten. Zudem war es nicht-militanten muslimischen Organisationen erlaubt, sich gesellschaftlich zu betätigen und zum Beispiel Schulen zu betreiben. Diese waren erfolgreich, weil sie eine Abkehr von Korruption und Ungerechtigkeit predigten.

Gefährderliste mit 15.000 Namen

Doch diese Programme wurden zurückgefahren in der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 2014 in Sotschi, das am Rande des Nordkaukasus liegt. Auch nach den Spielen wurde an einer rigiden Sicherheitspolitik festgehalten, nicht nur gegen islamistische Kämpfer, sondern auch gegen deren Angehörige und nicht-militante Muslime.

So führt die Polizei Listen mit Personen, die potenziell als gefährlich gelten. Um auf die Liste zu geraten, genügt der geringste Anlass. Die inzwischen 15.000 registrierten Personen werden überwacht, können zu jeder Zeit zu Verhören vorgeladen und zur Abgabe von Blutproben gezwungen werden.

Die Nichtregierungsorganisation "International Crisis Group" kritisiert, dass durch die harschen Sicherheitsmaßnahmen auch moderate Muslime zur Radikalisierung und zum Verlassen ihrer Heimat getrieben werden. Schätzungen zufolge gingen nicht nur Hunderte, sondern Tausende allein aus Dagestan nach Syrien.

Auswanderung zugelassen

Die russische Zeitung "Nowaja Gaseta" berichtete sogar, dass die russischen Sicherheitsbehörden vor Olympia in Sotschi die Grenzen für radikale Islamisten öffneten. Auch die "International Crisis Group" fand Hinweise, dass eine Abwanderung zugelassen wurde. Der Nahost-Experte Emil Suleimanov von der Karls-Universität in Prag sagt ebenfalls, die russischen Sicherheitsdienste hätten Kämpfer ausreisen lassen, um die Aufstandsbewegung im Nordkaukasus zu schwächen.

Inzwischen jedoch werden die Grenzen scharf kontrolliert. Seit 2013 ist es strafbar, im Ausland Mitglied einer bewaffneten Formation zu sein, die sich gegen die Interessen Russlands richtet. Die Generalstaatsanwaltschaft ermittelte bis November in 650 Fällen, 150 Rückkehrer wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt.

So kämpfen Tausende russische Staatsbürger in Syrien und Irak, während der IS derzeit nach Meinung von Suleimanov in Russland selbst keine große Gefahr darstellt. Die Bedrohung werde eher überschätzt, sagt er mit Verweis darauf, dass die Dschihadisten im Nordkaukasus geschwächt sind.

Dass Russland den IS in Syrien und Irak aber ernsthaft bekämpft, bezweifelt Suleimanov wie andere Experten und Politiker auch. Vielmehr gehe es darum, die Führung um Bashar al-Assad zu stützen. So konzentriere sich die russische Armee derzeit auf die Belagerung von Aleppo, wo der IS nicht sei, sagt Suleimanov.

Aber auch falls es Strategie Russlands sein sollte, den IS im Inland und vor den eigenen Grenzen zu bekämpfen, im Nahen Osten aber gewähren zu lassen, ist die Gefahr für russische Bürger nicht gebannt.

Das zeigt der Absturz einer russischen Maschine über der ägyptischen Sinai-Halbinsel, für den der IS die Verantwortung übernahm. Auch könnte es trotz allem gelingen, Kämpfer nach Russland zu schleusen oder Sympathisanten zu Anschlägen zu motivieren.