Machtergreifung der Roten Khmer vor 40 Jahren Kambodschas schweres Erbe

Stand: 16.11.2018 09:40 Uhr

Kambodscha erinnert an die Machtergreifung der Roten Khmer unter Pol Pot vor 40 Jahren. Im Mittelpunkt steht das Gedenken an die Millionen Opfer der Gewaltherrschaft. Die Aufarbeitung kommt nur schleppend voran. Auch der aktuelle Premier war ein Kämpfer der Khmer Rouge.

Am 17. April 1975 marschieren die Roten Khmer in Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh ein: Schwarzgekleidete junge Kämpfer, Männer und Frauen, Hoffnungsträger für die Khmer, die froh sind, den US-freundlichen Diktator Lon Nol losgeworden zu sein und winkend am Straßenrand stehen. Die Freude hält nur wenige Stunden an. Für Kambodscha und die Khmer beginnt eine lange, furchtbare Leidenszeit.

1,7 Millionen Tote in knapp drei Jahren

Wir folgen der Revolution, singen die jungen neuen Machthaber in Kambodscha. Innerhalb von nur zwei Tagen zwingen die Anhänger Pol Pots alle zwei Millionen Einwohner Phnom Penhs, ihre Häuser zu verlassen und zur Feldarbeit aufs Land zu ziehen. Intellektuelle werden sofort erschossen oder erschlagen - und intellektuell ist man schon, wenn man eine Brille trägt. Andere sterben später auf den Feldern, entkräftet, verhungert, am Straßenrand liegengelassen.

1,7 Millionen Tote werden knapp drei Jahre später zu beklagen sein, wenn im Januar 1978 das Schreckensregime von der vietnamesischen Armee beendet wird. Ein Horror, der kaum aufzuarbeiten ist.

Kleinteiliges Verfahren

Das Rote-Khmer-Tribunal versucht die Aufarbeitung seit Jahren mit einem Verfahren gegen die letzten noch lebenden Führungsfiguren der Roten Khmer: inzwischen nur noch Khieun Sampan, der damalige Staatspräsident und Noun Cheo, der sogenannte Chefideologe. Der 88-Jährige Noun Cheo nutzt die Verhandlungstage als Plattform. Er habe von den Massenmorden nichts gewusst, beteuert der greise Mann, der manchmal wie verschmitzt grinst. Er habe immer nur das Beste gewollt und nie einen Auftrag zum Töten erteilt.

Um überhaupt Urteile sprechen zu können, geht das Tribunal kleinteilig vor. Im vergangenen Jahr wurde der Prozessteil, der sich ausschließlich mit der Gewalt Mitte April 1975 während des Einmarsches der Roten Khmer in Phnom Penh befasste, abgeschlossen. Das Urteil: zweimal lebenslängliche Haftstrafen.

Schwierige Aufarbeitung

Tib Somaun hat in der Zeit des Pol-Pot-Regimes fünf Familienmitglieder verloren. Sie ist und bleibt wütend: Sie sei enttäuscht, "dass sich Nuon Chea nicht zu seinen Taten bekennt, nicht zu dem, was er dem kambodschanischen Volk angetan hat".

Entschuldigungen sind nicht mehr zu erwarten. Eine wirkliche Aufarbeitung fällt schwer. So interessiert sich ein Großteil der Khmer kaum für die Geschichte des Landes. Viele kennen diese Zeit nur aus Erzählungen, wie Ban Vicheaka: "Ich bin 1984 geboren. Ich konnte nicht verstehen, wie dieser Genozid stattgefunden haben soll, das war unglaublich für mich."

Premier mit Rote-Khmer-Vergangenheit

Hun Sen, seit fast dreißig Jahren autokratisch regierender Premier Kambodschas und derzeit wohl Kambodschas größtes Problem, ist ebenfalls eng mit der Zeit der Roten Khmer verbunden. Auch er war junger Khmer-Rouge-Kämpfer, wechselte dann aber 1977 die Seiten, floh nach Vietnam und kehrte mit der vietnamesischen Armee zurück.

Manchen gilt er daher als Befreier, der sich früh genug von Pol Pot und seinen Schergen lossagte. Für viele andere ist er mittlerweile nur noch ein Wahlbetrüger. Im Sommer 2013 waren die Wahlen für ihn nur noch mittels Phantomstimmen zu gewinnen. Einen gesellschaftlichen Konsens gibt es weiterhin nicht in Kambodscha, vierzig Jahre nach dem Einmarsch der Roten Khmer.

Dieses Thema im Programm: Dieser Beitrag lief am 17. April 2015 um 06:26 Uhr im Deutschlandfunk.