Menschen protestieren gegen die Verurteilung des Istanbuler Bürgermeisters Imamoglu.

Istanbuler Bürgermeister Massenproteste gegen Verurteilung Imamoglus

Stand: 15.12.2022 21:43 Uhr

Zehntausende solidarisieren sich und fordern die Aufhebung des Urteils gegen den Istanbuler Bürgermeister. Obwohl Imamoglu ein Politikverbot droht, gibt sich der Erdogan-Rivale kämpferisch. Seine Zukunft ist weiterhin offen.

Zehntausende Menschen haben in der Türkei gegen die Verurteilung eines Rivalen von Präsident Recep Tayyip Erdogan protestiert. Ein Gericht hatte den beliebten Bürgermeister von Istanbul, Ekrem Imamoglu, am Mittwoch zu mehr als zwei Jahren Haft verurteilt und ihm die politische Betätigung untersagt. Die Demonstranten schwenkten vor dem Sitz der Stadtverwaltung türkische Fahnen und skandierten Parolen gegen Erdogans AK-Partei.

Es war das erste Mal, dass die sechs türkischen Oppositionsparteien gemeinsam zu einer öffentlichen Kundgebung zusammenkamen, nachdem sie sich vor gut einem Jahr zu einem Bündnis gegen den islamisch-konservativen Präsidenten Erdogan zusammengeschlossen hatten. Auch in Trabzon im Nordosten der Türkei - der Heimatstadt des Istanbuler Bürgermeisters - gingen türkischen Medien zufolge Hunderte Menschen auf die Straße. 

Imamoglu spricht von "unrechtmäßigem Urteil"

Der Sozialdemokrat Imamoglu wandte sich bei der Istanbuler Kundgebung an die Menge: "Ich habe (...) keine Angst vor ihrem unrechtmäßigen Urteil", sagte der 52-jährige CHP-Politiker bei einer Kundgebung und fügte hinzu: "Ich habe keine Richter, die mich beschützen, aber ich habe 16 Millionen Istanbuler und unsere Nation hinter mir."

Imamoglu schloss seine Rede mit den Worten "Alles wird gut" - dem Slogan seiner erfolgreichen Kampagne für das Bürgermeisteramt im Jahr 2019. Imamoglu selbst führte das Urteil auf seine politischen Errungenschaften zurück. "Manchmal bleibt in unserem Land kein Erfolg unbestraft."

Ekrem Imamoglu

Der verurteilte Bürgermeister von Istanbul, Imamoglu, zeigt sich bei einer Kundgebung kämpferisch.

Das Urteil erging - etwa sechs Monate vor der Präsidentenwahl - wegen Beleidigung von Amtsträgern. Bei der Istanbuler Kommunalwahl 2019 hatte Imamoglu die Wahlleiter als "Narren" bezeichnet. Der Urteilsspruch muss noch von einem Berufungsgericht bestätigt werden.

Sein Anwalt kündigte umgehend Berufung an. Solange das Berufungsverfahren läuft, kann Imamoglu als Bürgermeister im Amt bleiben. Die Berufung könnte aber jederzeit verhandelt werden und eine mögliche Kandidatur für die Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr verhindern. 

Neuer Schwung für die Opposition

Der Istanbuler Bürgermeister gilt als wichtiger Bewerber der Opposition bei der kommenden Wahl. Bisher konnte sich das Bündnis nicht auf einen einzigen Kandidaten einigen, der Erdogans zwei Jahrzehnte währende Herrschaft bei der bevorstehenden Wahl herausfordern soll.

CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu, der als wahrscheinlicher gemeinsamer Kandidat der Opposition gilt, nannte die Gerichtsentscheidung "einen Schlag gegen die Nation durch die Justiz" und versprach, "keinen Millimeter nachzugeben". Das umstrittene Urteil könnte der schwierigen Zusammenarbeit der stark zersplitterten Opposition in der Türkei neuen Schwung verliehen. Erdogan steht nicht zuletzt wegen der hohen Inflation und der schlechten Wirtschaftsdaten schwer unter Druck.

"Schwerer Schlag für die Demokratie"

Erste Umfragen zeigen, dass die Entscheidung vom Mittwoch auf Erdogan zurückfallen könnte. Demnach halten selbst viele Wähler seiner islamisch-konservativen AKP das Urteil gegen den Bürgermeister für "politisch" motiviert. Dem Forschungsinstitut Metropoll zufolge glauben 28,3 Prozent der AKP-Wähler, dass der Fall "mit Politik zu tun habe", 17,6 Prozent sind der Meinung, es handele sich um "Verleumdung". 

Das US-Außenministerium erklärte, es sei "zutiefst beunruhigt und enttäuscht" angesichts der versuchten Ausschaltung eines der größten Rivalen Erdogans von der politischen Bühne. Deutschland bezeichnete das Urteil als "schweren Schlag für die Demokratie". Frankreich forderte die Türkei auf, "ihr Abgleiten von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und der Achtung der Grundrechte" rückgängig zu machen.