Mädchen im Flüchtlingslager Moria.

Flüchtlinge auf Lesbos "Moria ist ein vergessener Ort"

Stand: 14.07.2020 12:05 Uhr

Seit vier Monaten ist das Flüchtlingslager Moria wegen einer Corona-Ausgangssperre abgeschnitten von der Außenwelt. Die Bewohner fürchten, vergessen zu werden - und schicken Online-Hilferufe.

Omid Alizada würde gern mal wieder am Strand von Lesbos spazieren gehen, endlich mal wieder wenigstens für ein paar Stunden dem Lager Moria entfliehen. Aber das geht nicht. Seit vier Monaten schon sind die Lager von der Außenwelt abgeschnitten. Noch bis zum 19. Juli, dem kommenden Sonntag, gilt die Ausgangssperre - vorerst.

"Vielleicht verlängern sie den Lockdown noch einmal, vielleicht nicht", sagt Alizada. "Aber dieser Lockdown macht den Menschen hier sehr zu schaffen. Wenn man das Camp nie verlassen darf, das ist schrecklich. Das macht alle Leute hier verrückt." Sie fühlen sich weggesperrt, vergessen vom Rest der Welt. "Manche leben hier schon seit zwei oder drei Jahren. Moria ist ein vergessener Ort und die Menschen hier sind vergessene Menschen."

"Moria ist die Hölle auf Erden"

Um nicht ganz vergessen zu werden, haben einige der Flüchtlinge aus dem Lager Moria persönliche Hilferufe ins Netz gestellt:

Hallo! Wir sind aus Afghanistan, wir sind drei Frauen und wir leben hier mit meiner siebenjährigen Tochter im Zelt. Jede Nacht gibt es hier im Lager Streit, manchmal gehen Leute sogar mit Messern aufeinander los. Wir fühlen uns unsicher. Moria ist die Hölle auf Erden. Wir bitten die Vereinten Nationen: Helft uns!

Oder ein anderer Hilferuf: Ein junger Mann mit Brille hockt in seinem Zelt, neben ihm - ganz verschüchtert - seine beide Söhne im Kindergartenalter.

Ich wurde während des Krieges geboren und ich bin im Krieg aufgewachsen. Meine Kinder wurden auch während des Krieges geboren, aber ich möchte nicht, dass sie auch im Krieg aufwachsen und womöglich zu Extremisten werden. Ich möchte, dass meine Kinder studieren. Deshalb bin ich hier. Ich bitte die Europäische Union: Nehmt uns als Flüchtlinge auf, damit meine Kinder hier studieren können und damit sie sich gut in die Gesellschaft einbringen können.

Noch immer fünffach überbelegt

15.000 Menschen in Moria rufen um Hilfe. Aber sie haben das Gefühl, Europa hört weg. Immerhin: Vor einem halben Jahr drängten sich im Lager noch 20.000 Menschen. Das heißt 5000 Flüchtlinge durften raus und umziehen aufs griechische Festland. Einen kleinen Unterschied spüre man schon, sagt Alizada, aber nur sehr wenig. Denn eigentlich hat das Lager nur Platz für 3000 Menschen. Es ist jetzt also immer noch fünffach überbelegt.

Nur wenige Flüchtlinge haben Platz in einem der Wohncontainer des eigentlichen Lagers. Die anderen mussten rund ums Lager in den Olivenhainen ihre Zelte aufbauen oder Hütten aus Sperrholz zusammenzimmern. Sie alle träumen von einem normalen Leben, irgendwo in Europa.

Alizada weiß, dass dieser Traum in den vergangenen Wochen für ein paar Dutzend Kinder und Jugendliche aus Moria wahr wurde: unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die irgendwann während der Flucht ihre Eltern verloren hatten und seither auf sich allein gestellt sind. 120 Kinder und Jugendliche aus Moria und anderen griechischen Lagern sind jetzt schon in Deutschland, Finnland oder Portugal und haben dort die Chance auf ein neues Leben.

13 Monate Warten bis zum Termin bei der Asylbehörde

Viele hundert weitere unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind aber noch in Moria. Gibt es für sie hier wenigstens Schulunterricht? Nein, sagt Alizada, eine Schule gebe es nicht. "Aber da, wo die Jugendlichen untergebracht sind, ist es sicherer. Sie alle sind in einem abgesperrten Teil mitten im Hauptlager: Sie wohnen in Containern, sie haben medizinische Versorgung, dies sanitären Anlagen sind besser. Dort kann man's besser aushalten und vor allem besser schlafen."

Das nämlich sei in den Zelten ein großes Problem, meint Alizada. Er stammt aus Afghanistan, kam im November vergangenen Jahres mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn ins Lager. Moria war schon immer schlimm, sagt er. Aber: "Es wird immer schlimmer wegen der Hitze. Es ist furchtbar, die ganze Zeit im Zelt zu verbringen. Im Zelt ist es noch heißer als draußen."

Alizada muss noch lange hier ausharren und warten - bis zu seinem Termin bei der Asylbehörde. Das Interview sei im August 2021, sagt er. "Ich muss warten. Ich habe keine Wahl." Warten bis August 2021, noch 13 Monate. Eine Ewigkeit, wenn man im Lager eingesperrt ist und sich vergessen fühlt vom Rest der Welt.

Thomas Bormann, Thomas Bormann, ARD Athen, 14.07.2020 11:04 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR aktuell am 14. Juli 2020 um 12:24 Uhr.