Interview

Nahostexpertin im Interview "Israels Zukunft steht in den Sternen"

Stand: 25.08.2007 17:35 Uhr

Schon früh galt es als ausgeschlossen, dass Israels Premier Scharon nach seinem schweren Schlaganfall wieder in die Politk zurückkehren wird. Was das für den Friedensprozess im Nahen Osten bedeuten könnte, fragte tagesschau.de die Nahostexpertin Margret Johannsen vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg.

tagesschau.de: Es sieht es so aus, als sei Premierminister Scharon zu krank, um sein Amt fortzuführen. Was bedeutet das für den Friedensprozess?

Margret Johannsen: Da gibt es viele Fragezeichen. Wie die israelische Führung künftig aussehen wird, steht in den Sternen. Am 28. März sind Parlamentswahlen angesetzt. Und dann muss sich zeigen, ob die neue Regierung in der Lage ist, den Friedensprozess voranzutreiben, der vom israelischen Volk ja gewünscht wird. Die Menschen befürworten einen palästinensischen Staat, sie wollen mit den Palästinensern schlicht nichts mehr zu tun haben. Wie dieser Staat aussieht, ist der Bevölkerung gar nicht so wichtig.

Umbruch des Parteiensystems

tagesschau.de: Sollte Scharon abtreten, welche Kräfte sehen Sie dann an der Spitze Israels?

Johannsen: Das israelische Parteiensystem war schon immer schwer berechenbar. Zudem zeichnet sich ein Umbruch des politischen Systems ab. Erstmals könnte mit Scharons neuer Partei Kadima ein Dreiparteiensystem mit relativ gleich starken Lagern entstehen. Das bedeutet, dass sich künftig Mitte-Links- oder Mitte-Rechts-Koalitionen anbieten werden. Und davon wiederum hängt sehr stark ab, wie der Friedensprozess aussehen kann. Bisher deutete alles auf einen klaren Wahlsieg der Kadima-Partei unter Scharons Führung hin. Als Koalitionspartner hätte sie wahrscheinlich nicht den Likud-Block mit Netanjahu, sondern die Arbeitspartei gewählt. Diese Koalition wäre nicht auf die nationalreligiösen Kräfte angewiesen und so durchaus in der Lage, den Friedensprozess voranzutreiben. Eine solche Koalition ist auch ohne Scharon denkbar.

tagesschau.de: Die Kadima-Partei hätte auch ohne ihren Gründer und Chef Scharon eine Chance?

Johannsen: In der Tat war Kadima ein Mann. Sie wird jetzt zu einer Partei werden müssen. Und sie wird Abstriche machen müssen und nicht so erfolgreich sein, wie sie unter der Führung von Scharon gewesen wäre. Aber diese Partei wird nicht verschwinden.

Weg des Friedens nicht ohne Risiken

tagesschau.de: Halten Sie es auch für möglich, dass rechte Kräfte erstarken?

Johannsen: Ja, das ist denkbar. Jedes Vorangehen auf dem Weg des Friedens ist mit innenpolitischen Risiken behaftet. Sich nicht zu bewegen, es so zu lassen wie es ist, scheint vielen zumindest kurzfristig weniger riskant. Davon könnte die Rechte profitieren. Langfristig aber ist das nicht im Interesse Israels.

tagesschau.de: Scharon hat den Abzug aus dem Gaza-Streifen auch gegen heftigen Widerstand aus der eigenen Partei durchgeboxt. Halten Sie es für möglich, dass Scharons politische Nachfolger das wieder rückgängig machen?

Johannsen: Das ist nicht vollständig auszuschließen, wenn die Palästinenser es nicht hinkriegen, dort für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Dann ist es aber eher denkbar, dass die Israelis das aus der Luft regeln. Sie haben schließlich die Lufthoheit und auch die Kontrolle über die Küstengewässer. Ich kann mir einzelne militärische Operationen vorstellen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass der Gaza-Streifen wieder besetzt wird, dass es dort wieder Siedlungen geben wird. Denn letztlich wollen die Israelis den Gaza-Streifen nicht, sie wollten ihn eigentlich immer schon loswerden. Das ist nicht das “heilige Land“ wie das Westjordanland für die religiösen Siedler. Der Kampf gegen die Aufgabe der Siedlungen im Gaza-Streifen war vornehmlich ein Signal, dass so etwas unter keinen Umständen im Westjordanland passieren dürfe. Es war im Grunde ein Stellvertreter-Widerstand.

Nur Scharon weiß, was Scharon bezweckte

tagesschau.de: Welche Bedeutung hat Scharon für die israelische Politik? Was sind seine Verdienste?

Johannsen: Scharon ist niemand, der vom Ende eines Prozesses her denkt und sagt: So soll es aussehen, so stelle ich mir zum Beispiel den Frieden vor. Scharon wollte nach meiner Einschätzung von dem eroberten Gebiet so viel wie möglich behalten. In der Kunst des Möglichen war er ein Meister. Das Mögliche hängt vom Parteiensystem und den Kräfteverhältnissen, auch von den Palästinensern und vor allem auch von den Vereinigten Staaten ab, die ihrerseits ein Interesse daran haben, dass der Friedensprozess weitergeht. Und in dieser Gemengelage hat sich Scharon verhältnismäßig geschickt bewegt.

Er hat etwas zustande gebracht, was noch nie einer vor ihm geschafft hat: nämlich dass einmal erobertes Gebiet, das von Palästinensern bewohnt ist, wieder geräumt wird. Das ist ein Verdienst, weil er damit demonstriert hat - willentlich oder unwillentlich -, dass erobertes Gebiet geräumt werden kann. Das ist ein Anknüpfungspunkt im Friedensprozess. Man kann sagen: Wenn das damals möglich war, dann sollte das auch im Westjordanland möglich sein – wohl wissend, dass das dort weitaus schwieriger ist.

Aber was Scharon letztlich bezweckt hat, das weiß, glaube ich, nur Scharon. Warum er den Gaza-Rückzug mit Brachialgewalt durchgesetzt hat, darüber gibt es ganz viele Spekulationen. Er könnte das getan haben, um Druck der USA von sich zu nehmen. Andere sagen, er habe es getan, damit Israel sich umso unbehelligter im Westjordanland ausdehnen kann, seinen Besitzstand dort wahren und festigen kann. Wieder andere meinen, er hat das getan, weil der Druck aus dem linken Lager größer wurde, als eine Art Befreiungsschlag. Kurzfristig gesehen ist Scharon jedenfalls ein erfolgreich taktierender Politiker. Einen großen Strategen im Sinne eines tragfähigen Friedens zwischen Israel und den Palästinensern würde ich ihn aber nicht nennen. Er ist kein Visionär.

tagesschau.de: Welche Auswirkungen hätte Scharons Ausscheiden für die Palästinenser?

Johannsen: Die palästinensische Seite würde dadurch wenig beeinflusst, sie ist zu sehr mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt. Die Palästinenser haben das Problem, dass sie nach wie vor eine so schwache Führung haben, die nicht in der Lage ist, das Gewaltmonopol des Staates herzustellen. Daran trägt auch Israel Verantwortung, das die palästinensischen Führungen nie hat stark werden lassen. Es ist eben sehr schwierig, eine Demokratie unter Besatzung aufzubauen, denn das ist ein Widerspruch in sich.

Die Fragen stellte Claudia Witte, tagesschau.de