Interview

Damaskus und der Nahost-Konflikt "Kluft zwischen Syrien und dem Westen wird größer"

Stand: 25.08.2007 10:46 Uhr

Syrien hat sich in den Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah-Miliz im Libanon noch nicht direkt eingemischt. Doch im Land wächst die Bewunderung für die Hisbollah - und mit ihr der konservative Islam, sagt ARD-Reporterin Golineh Atai im Gespräch mit tagesschau.de. Der Graben zwischen Syrien und der westlichen Welt werde immer größer.

tagesschau.de: Frau Atai, wie schätzen Sie die Position Syriens derzeit ein? Wird Damaskus sich in den Krieg einmischen und die Hisbollah offen unterstützen? Oder wird Syrien eher auf die internationalen Appelle hören, die ja mehr Druck auf die Hisbollah fordern, damit die Kämpfe beendet werden?

Golineh Atai: Syrien hat viel Einfluss auf die Hisbollah. Aber die Hisbollah hat auch viel Einfluss auf Syrien. Ich hatte gerade ein Interview mit dem Chefredakteur der Baath-Partei-Zeitung, und er hat zum Verhältnis Syrien und Hisbollah ganz offen gesagt: "Wir haben einen gemeinsamen Feind. Und wir haben gemeinsame Ziele. Das hat uns aneinander geschweißt."

tagesschau.de: Und wie deuten Sie das?

Atai: Ich denke, Syrien könnte viel machen, aber im Moment fehlt das attraktive Gegenangebot. Das könnte wirtschaftliche Hilfe sein oder aber die Klärung der Frage der Golan-Höhen. Und nicht nur die: Im Grunde will Syrien insgesamt die Frage der besetzten Gebiete neu klären.

Allerdings ist auch für die westlichen Diplomaten die innenpolitische Lage Syriens sehr schwer einzuschätzen. Wer sitzt wirklich am Hebel? Welche Männer beeinflussen Staatschef Baschar al Assad? Warum verhält er sich so zurückhaltend und still? Man muss immer berücksichtigen, dass das eine Gemengelage ist und nicht ein einzelner Mann, der eine Entscheidung trifft.

Verhandlungen: Noch einmal ganz von vorne

tagesschau.de: Syrien hat den UN-Resolutionsentwurf, den Frankreich vorgelegt hat, nicht anerkannt. Das Land fordert, nicht nur die Kämpfe zu beenden, sondern die „Wurzel“ des Konflikts zu beseitigen. Heißt das aus syrischer Sicht, Israel – als „Wurzel des Konflikts“ - zu beseitigen?

Atai: Nein, auf keinen Fall. Syrien hat das Existenzrecht Israels schon lange anerkannt. Syrien gehörte ja mit zu den Initiatoren der Konferenz von Madrid, wo sich 1991 die gegnerischen Parteien im israelisch-arabischen Konflikt an den Verhandlungstisch setzten. Nein, es geht vielmehr darum, die Frage der besetzten Gebiete noch einmal ganz neu aufzurollen. Denn Syrien meint das, was auch die arabischen Außenminister auf ihrem Gipfel neulich sagten: Der Friedensprozess ist tot.

tagesschau.de: Und wie ist die Stimmung der Syrer? Haben die Menschen Angst vor einer Ausweitung des Krieges? Oder stehen sie zur Hisbollah und würden sie auch unterstützen?

Atai: Es ist keine Angst da. Aber einige behaupten, dass alles sehr unberechenbar sei. Man wisse ja nicht, auch wenn Assad sich ruhig verhält, wie sich die anderen aus seiner inneren Clique verhalten. Vielleicht fällt es ja einem ein, doch anzugreifen. Das ist eine Unsicherheit.

Ansonsten würde ich sagen, die Stimmung unter den Leuten ist äußerst kampfbereit. Es ist eine Begeisterung, Unterstützung und Bewunderung für die Hisbollah da. Die Leute denken: Was die arabischen Herrscher mit ihren Niederlagen gegenüber Israel verbockt haben, versuche die Hisbollah nun wieder „gut“ zu machen.

Muslimbruderschaften werden immer populärer

tagesschau.de: Bedeutet das auch, dass der konservative Islam einen Aufschwung in Syrien erlebt?

Atai: Oh ja. Man kann in Syrien sehr gut beobachten, dass eine schleichende Islamisierung stattfindet. Plötzlich gibt es in Stadien Massengebete, veranstaltet von religiösen Stiftungen. Die gesamte Sprache des Regimes wird religiös verbrämter. Meine These geht sogar soweit zu sagen, dass die Muslimbruderschaften, die in Syrien offiziell verboten sind und auf deren Zugehörigkeit eine Haft von bis zu zwölf Jahren steht, immer populärer werden

tagesschau.de: Und wie gestaltet sich das Verhältnis zu Iran?

Atai: Das ist so gut, dass es mich sehr nachdenklich gemacht hat. Man merkt das an Veränderungen wie zum Beispiel den Autos auf der Straße. Man sieht fast keine westlichen Autos mehr, aber massenhaft iranische Autos. Sie sind zu einer Art Volkswagen mutiert. Dann habe ich in der "Siria Times" gelesen, dass ein Handelsabkommen mit Nordkorea angestrebt wird. Das sind alles Dinge, die einen hier sehr nachdenklich werden lassen. Die Distanz zum Westen ist in den letzten Jahren sehr viel größer geworden – auch durch die US-Politik, die Syrien bewusst isoliert hat.

tagesschau.de: Wenn Sie mit den Syrern sprechen, welchen Eindruck haben Sie dann? Ist Verständigung überhaupt noch möglich? Gibt es noch Hoffnung auf einen Frieden?

Atai: Ich bin sehr pessimistisch. Wenn ich höre, dass junge Syrer, die zum Beispiel in Deutschland aufgewachsen sind, sagen, ja, sie stehen unumwunden zur Hisbollah, dann wird man doch sehr nachdenklich. Der Graben zwischen Syrien - oder generell der arabisch-muslimischen Welt - und dem Westen wird immer größer.

Das Gespräch führte Britta Scholtys, tagesschau.de