Interview

Wahlen in Großbritannien "Über kurz oder lang kommt ohnehin Brown"

Stand: 26.08.2007 16:51 Uhr

Tony Blair hat die Wahl gewonnen, aber die politischen Beobachter in Großbritannien sind sich weitgehend einig, dass er keine volle Amtszeit mehr absolvieren wird. ARD-Korrespondentin Sabine Reifenberg erklärte zwei Tage vor der Wahl im Gespräch mit tagesschau.de, warum Blair ein Premier auf Abruf ist.

tagesschau.de: Tony Blair hat die Briten in einen falsch begründeten Irak-Krieg geführt. Dennoch ist Labour in den Umfragen weiter stärkste Partei. Woran liegt das? Ist der Irak so weit weg?

Sabine Reifenberg: Für die meisten Briten schon. Ihnen sind Themen wie Gesundheit, Bildung und Steuern sehr viel näher. Und da hat Tony Blairs New Labour-Partei in acht Jahren insgesamt gut gewirtschaftet, das müssen selbst Kritiker bescheinigen. Wobei die Briten gerne verdrängen, dass die großen Probleme erst noch kommen. Die Pensionskassen sind leer, die Steuereinnahmen sinken, weshalb die Steuern sicher heraufgesetzt werden.

tagesschau.de: Blair warnte Anfang der Woche davor, die Wahl zu früh als gewonnen anzusehen. Berechtigt?

Sabine Reifenberg: Die Wahlforscher meinen, es sei höchst unwahrscheinlich , dass die Konservativen im Endspurt noch so aufholen, dass sie siegen. Bei dieser Wahl gehe es vielmehr darum, ob Blair noch mit einem dreistelligen Vorsprung bei den Parlamentssitzen rechnen kann, wie bisher. Antwort der Experten: Sicher nicht. Die meisten Schätzungen belaufen sich auf einen Vorsprung von 70 Sitzen für Blairs Labour-Partei. Damit lässt sich regieren. Rutscht Blair allerdings deutlich unter die 70er Marke, hat er etwa nur noch 40 Sitze Vorsprung, dann gewinnen seine Gegner in der Partei die Oberhand. Und das, so die Auguren, hieße, Blair geht eher und sein Finanzminister Gordon Brown beerbt ihn als Premier früher.

tagesschau.de: Ist denn die Opposition – besonders die Tories - so profilarm?

Sabine Reifenberg: Die Opposition hat mit Michael Howard an der Spitze ein Problem: Die Wähler erinnern sich noch genau an die harten Zeiten unter der eisernen Premierministerin Margaret Thatcher und die schwierigen unter John Major. Howard spielte in beiden Regierungen eine Rolle, zuletzt als knallharter Innenminister. Er hat sich aus Australien einen Wahlkampf-Guru geholt, der mit dem Thema Einwanderung dort für Premier John Howard den Sieg errang. Und es hier wieder versuchte. Dieser Schuss ging allerdings nach hinten los, die Konservativen wirkten wieder wie die "nasty party", die gemeine Partei, die sich nicht scheut, Ausländerfeindlichkeit zu schüren.

Und dann hat Howard noch ein ganz großes Problem: Er war für den Irakkrieg. Und, wie er letzte Woche sagte, er hätte Saddam Hussein auch ohne Massenvernichtungswaffen gestürzt. Damit klang Howard wie die Neokonservativen in der Regierung George W. Bush, also für britische Ohren eher abschreckend.

tagesschau.de: Welche Baustellen gibt es für Labour in einer dritten Blair-Amtszeit?

Sabine Reifenberg: Außenpolitisch gibt es gleich zwei: Der G8-Gipfel Anfang Juli und die britische EU-Präsidentschaft. Blair will auf dem G8-Gipfel die Teilnehmer dazu verpflichten, mehr gegen die Armut und Aids in Afrika zu unternehmen. Er blickt außerdem wie ganz Europa gespannt auf den Ausgang des französischen Referendums über die EU-Verfassung am 29.Mai.

Sollten die Franzosen der Verfassung zustimmen, hat Blair ein ganz großes Problem. Denn für diesen Fall hat Blair sich darauf festgelegt, in Großbritannien im kommenden Jahr eine Volksabstimmung über die Verfassung abzuhalten. Es sei denn, die Franzosen oder Holländer bringen das ganze Projekt vorher zum Scheitern. Das wäre ganz im Sinne Blairs. Derzeit sind nämlich etwa 70 Prozent der Briten gegen die Verfassung. In der kurzen Zeit, die bis zu einem Referendum 2006 bliebe, wäre es wohl schwer, das Ruder herumzureißen. Verliert Blair dieses Referendum, muss er gehen, meinen die britischen Kommentatoren.

tagesschau.de: Und welche Baustellen sehen Sie in der Innenpolitik?

Sabine Reifenberg: Innenpolitisch wird sich jede Regierung, egal welche Richtung, schnell Gedanken über die staatlichen Renten machen müssen. Eine von Premier Blair in Auftrag gegebene Studie zur Altersversorgung soll im Herbst Lösungen für die Krise der staatlichen Rentenkasse geben. Problematisch ist auch die Tatsache, daß Labours Reformprogramm für das Gesundheits-und Bildungswesen weitere Investitionen erfordert, die über kurz oder lang auf eine Steuererhöhung hinauslaufen werden. Labour hat schon während der zweiten Amtszeit die indirekten Steuern heraufgesetzt, weshalb Blair im Wahlkampf vorgeworfen wird, er habe auch in diesem Punkt das Vertrauen seiner Landsleute verspielt.

Lesen Sie im zweiten Teil des Interviews, was Tony Blair macht, wenn er nicht mehr britischer Premier ist.