Palästinenser stehen am 7.10.2023 auf einem brennenden israelischen Panzer am Grenzzaun zum Gazastreifen
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Hamas-Angriff auf Israel Was über die Vorwürfe gegen Fotoreporter bekannt ist

Stand: 13.11.2023 19:50 Uhr

Die Vorwürfe gegen Fotoreporter klangen massiv: Eine Interessengruppe warf vergangene Woche die Frage auf, ob Fotoreporter vorab vom Terrorangriff der Hamas auf Israel gewusst hatten. Was ist inzwischen über den Verdacht bekannt?

Wer erhebt die Vorwürfe?

Am vergangenen Mittwoch veröffentlichte die Nicht-Regierungsorganisation "HonestReporting" auf ihrer Webseite einen Beitrag mit der Überschrift "Grenzüberschreitungen: AP- und Reuters-Bilder von Hamas-Grausamkeiten werfen ethische Fragen auf". In dem Beitrag schreibt die Organisation, am 7. Oktober seien Hamas-Terroristen nicht die einzigen gewesen, die die "Kriegsverbrechen" dokumentiert hätten, die sie bei ihrem Angriff auf den Süden Israels begingen. Einige der Taten seien von Fotojournalisten aus dem Gazastreifen dokumentiert worden. Dies, so "HonestReporting" weiter, werfe "ernsthafte ethische Fragen auf".

Diese formuliert "HonestReporting" so: Warum seien diese Fotoreporter so früh am Morgen des 7. Oktober an den Orten des Geschehens gewesen? Sei dies in Absprache mit der Hamas geschehen? Hätten die Medien, für die sie arbeiteten, ihre Anwesenheit gemeinsam mit Terroristen auf feindlichem Territorium gebilligt? Hätten die Fotojournalisten die Medien vorab informiert? In einem ersten Eintrag zum Thema auf X, dem früheren Twitter, sprach "HonestReporting" von einem "Scoop" und formulierte die Kernfrage an die Journalisten und die Medien so: "Zufall oder waren sie Teil des Plans?":

Was für eine Organisation ist "HonestReporting"?

"HonestReporting" wurde vor 23 Jahren von jüdischen britischen Studenten als eine Mailingliste gegründet, nachdem die "New York Times" ein Bild abgedruckt hatte, das vermeintlich einen blutenden palästinensischen Jungen als Opfer eines Knüppel-schwingenden israelischen Soldaten zeigte. Tatsächlich war auf dem Bild ein jüdischer Junge abgebildet, der vor einer wütenden Menge in Jerusalem gerettet wurde.

Die Organisation hat sich zum Ziel gesetzt, Ungenauigkeiten, Falschmeldungen und Voreingenommenheit in Medien über Israel nachzugehen und zu dokumentieren. Sie wird von Gil Hoffman geleitet, früher politischer Chefkorrespondent der "Jerusalem Post".

Von der Organisation kritisierte Journalisten haben "HonestReporting" in der Vergangenheit vorgeworfen, sie verfolge ihre Ziele aggressiv und übe massiven Druck auf Reporter aus. Diese Kritik wurde aber von anderen Journalisten als anti-israelisch bezeichnet.

Gegen wen richten sich die Vorwürfe?

Die Vorwürfe richten sich konkret gegen insgesamt sechs Fotojournalisten sowie gegen die Nachrichtenagenturen AP und Reuters, die "New York Times" und den TV-Sender CNN, die Bilder der Journalisten vom Terrorangriff der Hamas auf Israel verbreiteten. Später wurden die Bilder auch von anderen Nachrichtenagenturen wie der DPA verbreitet und von anderen Sendern wie der BBC gezeigt. Auch tagesschau.de veröffentlichte ein Foto eines der kritisierten Bildreporter, zunächst im Liveblog am 7. Oktober, später in zwei weiteren Meldungen. Die tagesthemen zeigten am 7. Oktober ebenfalls ein Bild eines der Fotografen als Hintergrund einer Anmoderation.

Besonders im Fokus steht dabei der Fotoreporter Hassan Eslaiah, der am 7. Oktober unter anderem Bilder eines brennenden israelischen Panzers sowie von einer Gruppe von Männern gemacht hatte, die in den Kibbuz Kfar Aza eindrangen.

Eslaiahs Name erscheint in den Angaben zu den Bildern, die AP ihren Kunden anbot. "HonestReporting" veröffentlichte darüber hinaus einen Screenshot, der von Eslaiahs X-Account stammen soll und der ihn vor einem brennenden Panzer zeigt. Dieses Bild sei später von dem Account gelöscht worden, schreibt "HonestReporting".

Ein weiteres Bild in dem Bericht zeigt Eslaiah in einer innigen Pose mit Hamas-Führer Yahya Sinwar, der auch die Pläne für den Angriff auf Israel erstellt haben soll. Auf dem Bild zieht Sinwar einen lächelnden Eslaiah an sich heran und drückt ihm einen Kuss auf die Wange. Das Bild soll aus dem Jahr 2020 stammen. In welchem Kontext es entstand, geht aus dem Beitrag nicht hervor.

Die Interessengruppe richtet die Aufmerksamkeit ferner auf Bilder, die die Verschleppung von Soldaten und Zivilisten in den Gazastreifen zeigen. Um die Ablichtung weiterer Grausamkeiten an Menschen in der Region, die am 7. Oktober mutmaßlich von Hamas-Terroristen oder ihnen nahestehenden Personen gemacht wurden, geht es in dem Beitrag von "HonestReporting" nicht.

Palästinenser entführen einen israelischen Zivilisten nach Gaza

Dieses Bild von der Verschleppung einer Geisel erschien am 7.10. im Liveblog von tagesschau.de. Es stammt von dem Fotografen Hatem Ali, einem der im "HonestReporting"-Bericht genannten Bildreporter.

Wann entstanden die kritisierten Bilder von dem Terrorangriff?

Hierzu gibt es Angaben der kritisierten Medien. Die Nachrichtenagentur Reuters erklärte, die von ihr veröffentlichten Fotos seien von zwei freischaffenden Fotografen aus dem Gazastreifen aufgenommen worden, die sich "am Morgen des 7. Oktober an der Grenze aufhielten". Reuters habe vorher mit ihnen keine Geschäftsbeziehung gehabt. Aufgenommen worden seien die Bilder "zwei Stunden nachdem die Hamas Raketen auf den Süden Israels abgefeuert" habe und "mehr als 45 Minuten" nachdem Israel erklärt habe, Bewaffnete hätten die Grenze überquert.

AP schrieb nach den Vorwürfen von "HonestReporting", die ersten Bilder, die AP erhalten habe, seien "mehr als eine Stunde nach dem Beginn der Attacken" aufgenommen worden. Die "New York Times" teilte mit, die von ihr und von der Nachrichtenagentur AP verwendeten Fotos des Fotografen Yousef Masoud seien "90 Minuten nach dem Beginn der Attacken" gefiled worden.

Masoud habe ihren Mitarbeitern gegenüber erklärt, er sei in Khan Younis gegen 6.30 Uhr durch das Geräusch von Raketenfeuer wach geworden. Er habe sich dann in Richtung Grenze aufgemacht und dort die beschädigten Grenzanlagen und brennenden Panzer gesehen.

Wie weit sind die Orte von der Grenze zwischen Israel und dem Gazastreifen entfernt?

Nach einem massiven Raketenbeschuss des Süden Israels durchbrachen Hamas-Terroristen die befestigte Grenze nach Angaben der israelischen Regierung am 7. Oktober an insgesamt 29 Stellen. Sie drangen zu Fuß, mit Motorrädern, Pick-ups und anderen Fahrzeugen nach Israel ein oder gelangten mit Paraglidern oder auf dem Seeweg auf die israelische Seite der Grenze.

Einer der angegriffenen Orte war der Kibbuz Kfar Aza, das nur rund zwei Kilometer Luftlinie von der Grenze zum Gazastreifen entfernt liegt. Hier wurden bei dem Terrorangriff mehr als 100 Menschen ermordet. Aber auch andere, ähnlich weit von der Grenze entfernte Kibbuze und Ortschaften wurden attackiert. Karten der Region zeigen, dass die Orte nicht nur über befestigte Straßen zu erreichen sind, sondern auch über Feldwege.

AP-Vizedirektorin Julie Pace spricht deshalb von einer "sich schnell bewegenden Entwicklung in einem sehr kleinen Gebiet".

Karte von Israel mit dem Kibbuz Kfar Aza und dem Gazastreifen

Gibt es Äußerungen der genannten Fotografen?

Die "New York Times" zitiert aus einem Gespräch eines nicht genannten Redakteurs mit dem Fotografen Masoud. Er habe dabei erklärt, dass er an der Grenze die zerstörten Anlagen und brennenden Panzer gesehen, aber weder die Verschleppung von Geiseln noch andere Grausamkeiten der Hamas fotografiert habe.

Der Fotoreporter Elaiah erklärte, er sei von der Hamas nicht vorab informiert worden und habe zu der Terrororganisation auch keine Verbindung, trotz des Fotos mit Sinwar.

Palästinenser entfernen sich am 7.10.2023 von dem Kibbuz Kfar Aza, über dem Rauchsäulen stehen

Dieses Bild von Hassan Eslaiah zeigt Palästinenser, die sich am 7. Oktober 2023 von dem Kibbuz Kfar Aza entfernen. Dichte Rauchsäulen stehen für die Gewalt, die dort ausgeübt wurde.

Wie reagieren die betroffenen Medien?

AP, Reuters und die "New York Times" haben die Vorwürfe entschieden zurückgewiesen. Reuters bestritt "kategorisch", vorab Kenntnis von den geplanten Angriffen der Hamas gehabt zu haben. Die Vorwürfe von "HonestReporting" seien "unverantwortlich" und "zutiefst besorgniserregend". Sie würden Journalisten, die in der Region arbeiten, "großen Risiken aussetzen".

Auch AP erklärte, man habe von den Angriffen vorab "keine Kenntnis" gehabt. AP-Vizedirektorin Pace betont, vom ersten Raketenangriff an auf Israel sei klar gewesen, dass es sich um eine ernsthafte Entwicklung handelte. Dann habe die Agentur einen "typischen Prozess des Nachrichtensammelns" begonnen. Dazu habe auch gehört, mit freischaffenden Fotoreportern in Kontakt zu treten.

Am schärfsten fiel die Reaktion der "New York Times" aus. Vorwürfe, die Zeitung habe vorab Kenntnis über die Terrorangriffe gehabt, seien "unwahr und empörend". Solche Behauptungen seien "haltlos" und würden die Journalisten der Zeitung in Israel und dem Gazastreifen "in Gefahr bringen". Mit Blick auf Masoud betonte die Zeitung, dieser habe an diesem Tag "getan, was Fotojournalisten während großer Ereignisse tun - die Tragödie dokumentiert, während sie sich entfaltet".

AP und CNN erklärten nach der Veröffentlichung der NGO, man werde nicht länger mit Eslaiah zusammenarbeiten.

Palästinenser wehen ihre Flagge über eine zerstörten israelischen Panzer am Grenzzaun zum Gazastreifen in der Nähe von Khan Younis.

Was sagt die israelische Regierung?

Die israelische Führung reagierte empört auf den Bericht von "HonestReporting". Premierminister Benjamin Netanyahu schrieb auf X, die Journalisten seien "Komplizen bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit" gewesen.

Benny Gantz, Mitglied des Kriegskabinetts, erklärte, wenn es Journalisten gegeben habe, "die von dem Massaker wussten, es fotografierten und untätig daneben standen, als Kinder abgeschlachtet wurden, unterscheiden sie sich nicht von Terroristen und sollten als solche behandelt werden".

Danny Danon, Abgeordneter der regierenden Likud-Partei und ehemaliger UN-Botschafter Israels sagte, "Fotojournalisten, die sich an Aufnahmen der Massaker vom 7. Oktober beteiligt haben, sind legitime Kriegsziele".

Gibt es handfeste Beweise für die Behauptung von "HonestReporting"?

Handfeste Beweise hat die Organisation bis heute nicht vorgelegt. Vielmehr schreibt die NGO inzwischen auf ihrer Webseite, man habe weder Reuters noch AP "Absprachen" mit der Hamas vorgeworfen. Man habe aber "zurecht einige ernsthafte Themen aufgeworfen" und "wichtige und relevante Fragen gestellt, auf die jeder eine Antwort verdient".

NGO-Chef Hoffman erklärte, die Erklärungen der kritisierten Medien seien "adäquat". Er sei "erleichtert", dass alle erklärt hätten, von den Angriffen vorab keine Kenntnis gehabt zu haben. Hoffman räumte zudem ein, dass "HonestReporting" weder AP noch Reuters, die "New York Times" und CNN vor Veröffentlichung ihres Berichts kontaktiert habe. Die Drohungen Danons gegen Fotoreporter nannte er "schockierend". Auch einige Teile der Reaktion Netanyahus "basierten klar nicht auf Fakten".

Was sagen Journalistenverbände?

Die "Foreign Press Association", eine Vereinigung internationaler Journalisten in Israel, dem Westjordanland und dem Gazastreifen, erklärte, sie habe volles Vertrauen in die Investigationen der Medien. Sie sei höchst besorgt, dass die Äußerungen der israelischen Regierung zu Gewalt gegen Journalisten führen könne, die über den Krieg berichten.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 11. November 2023 um 07:07 Uhr.