Interview

Deutsch-türkisches Verhältnis "Nur nicht dramatisieren!"

Stand: 07.06.2016 18:00 Uhr

Die Verbalattacken Erdogans nach der Armenien-Resolution im Bundestag stoßen in Deutschland auf Empörung und sorgen für diplomatische Spannungen. Ahmet Külahci, Kolumnist der "Hürriyet", rät jedoch zu Gelassenheit. In seiner Heimat gebe es eine "andere Diskussionskultur".

tagesschau.de: Die Armenien-Resolution im Bundestag hat das deutsch-türkische Verhältnis schwer belastet. Präsident Erdogan rückt deutsche Abgeordnete mit türkischen Wurzeln in die Nähe von Terroristen und spricht von Bluttests der Politiker. Haben Sie mit einer solchen Reaktion gerechnet?

Külahci: Ich hatte von vornherein damit gerechnet, dass die Türkei eine Reaktion zeigt. Aber ich bin der Meinung, dass die Reaktion der Türkei sehr sensibel sein sollte, weil die Beziehungen zwischen diesen beiden Ländern so enorm wichtig sind.

Zur Person

Ahmet Külahci schreibt als Kolumnist von Berlin aus für die türkische Zeitung "Hürriyet". Früher leitete er das Hauptstadtbüro der Zeitung zunächst in Bonn, später in Berlin. Kühlaci lebt seit mehr als 40 Jahren in Deutschland.

tagesschau.de: Besonders sensibel ist Erdogan aber nicht. Was bezweckt er damit und wie kommt das in der Türkei an?

Külahci: Das ist so üblich in der Türkei, dass man in dieser Hinsicht mit Gegnern etwas anders umgeht als hier in Deutschland. Das muss man nicht so dramatisieren, glaube ich.

tagesschau.de: Also Erdogan ignorieren?

Külahci: Ernst nehmen muss man das schon, aber nicht dramatisieren. In der Türkei gibt es eben eine ganz andere Diskussionskultur - auch unter Parlamentariern.

tagesschau.de: Sehen Sie die Türkei zu Unrecht an den Pranger gestellt?

Külahci: Je nachdem. Was die Meinungs- und Pressefreiheit angeht, gibt es erhebliche Defizite in der Türkei. Da habe ich Verständnis für die Kritik. Das sind doch universelle Werte - daran muss sich auch die Türkei halten.

"Armenien-Resolution ist nicht Sache des deutschen Parlaments"

tagesschau.de: Nach der Armenien-Resolution des Bundestags hat Ihr Blatt "Hürriyet" in der Türkei getitelt "Schande über Euch" - und meinte damit die deutschen Abgeordneten, die die Resolution verabschiedet haben. Warum steckt in diesem Thema 100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg noch so viel Brisanz?

Külahci: In der Türkei ist man zu Recht der Meinung, dass es nicht Sache eines deutschen Parlaments ist, über diese Angelegenheit zu urteilen, sondern eher die einer internationalen Historiker-Kommission. Und ich habe Verständnis für diese Sichtweise. Vor genau elf Jahren hat man im Bundestag ebenfalls eine Erklärung in dieser Frage verabschiedet. Da war nur von Vertreibung und Massakern die Rede. Jetzt ist daraus ein Völkermord geworden.

tagesschau.de: Aber in der aktuellen Resolution wird die Türkei in heutiger Staatsform gar nicht direkt angegriffen, und trotzdem sind die Reaktionen so scharf.

Külahci: Es kommt nicht darauf an, wie man mit der heutigen Türkei umgeht. Ich habe Probleme damit zu verstehen, dass die deutsche Politik innerhalb von ein paar Jahren die Vorgänge neu bewertet und jetzt darin einen Völkermord sieht. Was hat sich denn geändert?

tagesschau.de: Hat die deutsche Politik die Folgen der Resolution unterschätzt?

Külahci: Das glaube ich nicht. Mit einer heftigen Reaktion aus der Türkei war zu rechnen. Ich gehe davon aus, dass das auch noch eine Zeit so weiter geht. Ich hoffe aber, dass die Beziehungen nicht zu stark beeinträchtigt werden. Nicht nur aus wirtschaftlichen, sondern vor allem auch aus menschlichen Aspekten wäre das enorm wichtig. Immerhin wohnen in Deutschland fast drei Millionen Bürger mit türkischen Wurzeln. Diese Menschen wollen hier friedlich weiterleben.

tagesschau.de: Die Grünen werfen Erdogan vor, mit seinen Äußerungen gezielt in Deutschland Unfrieden stiften zu wollen, angesichts der großen Zahl an Menschen hier mit türkischen Wurzeln. Sehen Sie diese Gefahr auch?

Külahci: Warum sollte Erdogan das denn von der Türkei aus machen? Das ist doch nicht seine Aufgabe. Beschimpfungen und Morddrohungen gegenüber türkischstämmigen Abgeordneten des Bundestags etwa in den sozialen Medien aber verurteile ich.

Bluttests: "Das ist natürlich verrückt"

tagesschau.de: Bereitet Erdogan solcher Hetze nicht aber den Boden, wenn er zum Beispiel von Bluttests für türkischstämmige Bundestagsabgeordnete spricht?

Külahci: Das kommt nicht nur von Erdogan. Das haben auch andere gesagt. Das ist natürlich verrückt. Was soll das? Die Abgeordneten des Bundestags mit türkischen Wurzeln verteidigen die Politik ihrer Partei genauso wie die deutschstämmigen Mitglieder des Bundestags. Festhalten muss man aber auch, dass viele Parlamentarier mit deutschen Wurzeln am Tag der Abstimmung über die Armenien-Resolution abwesend waren - genauso wie die meisten Minister und die Kanzlerin. Das ist ein Signal, dass auch die nicht einverstanden waren mit dieser Resolution.

tagesschau.de: Nach Böhmermann-Affäre und Armenien-Resolution - wie zerrüttet ist das deutsch-türkische Verhältnis?

Külahci: Es sieht dramatischer aus, als es ist. Ich bin der Meinung, dass sich die Beziehungen innerhalb kurzer Zeit wieder normalisieren. Die Türkei hat zu keinem anderen Land auf der Welt engere Beziehungen als zu Deutschland. Was eben auch damit zu tun hat, dass hier so viele Menschen mit türkischen Wurzeln leben. Man darf die Angelegenheit auf beiden Seiten nicht hoch spielen. Man muss sich ganz friedlich und ganz normal an einen Tisch setzen und in die Zukunft gucken - nicht in die Vergangenheit.

Das Interview führte Bernd Wode, tagesschau.de