Situation auf der Balkanroute Weitere Flüchtlinge, gereizte Stimmung

Stand: 24.10.2015 17:07 Uhr

3000 Menschen sind in der Nacht an der serbisch-kroatischen Grenze angekommen, in Slowenien warten weitere Tausende Flüchtlinge auf ihre Weiterreise nach Norden. Ähnlich sieht es auf der österreichischen Seite der Grenze aus. Morgen setzen sich die betroffenen Staaten in Brüssel an einen Tisch. Die Vorzeichen sind nicht gut.

Die "Politik des Durchwinkens" auf der Balkanroute soll ein Ende haben, fordert EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. "Flüchtlinge müssen auf dem gesamten westlichen Balkan auf menschliche Weise behandelt werden, um eine humanitäre Katastrophe in Europa zu verhindern", heißt es in einem 16-Punkte-Plan, der am Sonntag beim Krisentreffen mit den betroffenen Ländern beschlossen werden soll.

Ein geschlossenes Vorgehen der Länder ist auch dringend nötig. Die Situation auf der westlichen Balkanroute ist weiterhin katastrophal - für die geflüchteten Menschen, aber auch für die Behörden, Anwohner und Helfer. Seit Ungarn die Grenze seine Landesgrenzen mit Stacheldraht geschlossen hat, kommen die Menschen zu Tausenden über Kroatien und Slowenien nach Westeuropa. Die Länder sind völlig überfordert.

Tausende warten in Kroatien, Slowenien, Österreich

Allein in dem Ort Berkasovo im Westen Serbiens trafen nach Behördenangaben über Nacht Tausende weitere Flüchtlinge und Migranten ein. Niklas Stoerup Agerup vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR sprach von 3000 Menschen an der Grenze zu Kroatien.

Ähnliche Zahlen meldet Slowenien: Allein über das kleine Grenzdorf Rigonce im Osten Sloweniens mit nur 170 Einwohnern seien innerhalb von nur zwei Tagen rund 13.000 Menschen eingereist, meldete die slowenische Nachrichtenagentur STA. Knapp 4000 Flüchtlinge warteten in der slowenischen Gemeinde Sentilj an der Grenze zu Österreich noch auf ihre Weiterreise gen Norden.

Auf der österreichischen Seite der Grenze in Spielfeld sieht es ähnlich aus. 3000 Flüchtlinge übernachteten dort nach Polizeiangaben in einem provisorischen Lager. Die Flüchtlinge konnten die Nacht in beheizten Zelten zubringen. Allerdings campierten einige Flüchtlings dennoch im Freien, offenbar aus Sorge, sonst erst später weiterzukommen. Die Temperaturen sinken dort nachts bis auf den Gefrierpunkt. Unter den Flüchtlingen sind auch viele Frauen und Kleinkinder - oft nur notdürftig gegen Nässe und Kälte geschützt.

Der Bürgermeister von Spielfeld, Reinhold Höflechner, sprach von einem "Ausnahmezustand". "Es muss endlich gehandelt werden, damit die Situation an der Grenze nicht endgültig eskaliert", verlangte auch der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer.

Kroatiens Regierungschef schimpft auf Brüssel

Für Sonntag hat EU-Kommissionschef Juncker nun zum Krisentreffen geladen. Das Treffen soll aus Sicht der EU-Kommission zu einem besseren Austausch der Länder entlang der Flüchtlingsroute über den westlichen Balkan führen.

Kroatiens Regierungschef Zoran Milanovic dämpfte schon mal die Erwartungen. Mit Blick auf den von Juncker verschickten 16-Punkte-Plan sagte er: "Wer das geschrieben hat, versteht die Lage überhaupt nicht." Und er fügte hinzu: "Das ist doch im Kopf eines gut bezahlten Bürokraten ausgedacht" und "völlig unrealistisch". Kroatien werde nicht - wie von der EU im Vorfeld des Treffens vorgeschlagen - Flüchtlinge über längere Zeit bei sich aufnehmen, statt sie wie bisher an Slowenien weiterzureichen, sagte der Spitzenpolitiker. "Ich werde dort keinerlei Verpflichtungen für Kroatien übernehmen."

Bulgarien, Rumänien und Serbien drohten erneut mit der Schließung ihrer Grenzen für Flüchtlinge. Die drei Staaten würden ihre Grenzen abriegeln, sollten Deutschland, Österreich oder andere Staaten dies tun, sagte der bulgarische Regierungschef Boiko Borissow. "Wir werden unsere Völker nicht zur Pufferzone für die Flüchtlingsströme werden lassen, die zwischen der Türkei und den bereits errichteten Zäunen bleiben werden", betonte der bürgerliche Regierungschef Bulgariens mit Blick auf den ungarischen Grenzzaun.

Vorwürfe und Schuldzuweisungen

Die hohe Zahl der durchreisenden Flüchtlinge hat die Beziehungen zwischen den Balkanstaaten erheblich verschlechtert. Vor allem Slowenien warf dem Nachbarland Kroatien wiederholt vor, keinerlei Kooperation zu zeigen und keine Zahlen zu ankommenden Flüchtlingen zu nennen. Slowenien hatte deshalb sogar mit dem Bau eines Grenzzauns nach ungarischem Vorbild gedroht. In das kleine Land mit seinen zwei Millionen Einwohnern kamen binnen einer Woche laut Behörden mehr als 50.000 Flüchtlinge. Die meisten von ihnen wollen weiter nach Deutschland oder Schweden.

"Die betroffenen Länder sollten nicht nur übereinander, sondern auch miteinander reden. Nachbarn sollten zusammenarbeiten, nicht gegeneinander", heißt es daher in dem Juncker-Papier. EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn warnte laut "Spiegel": "Durch die Flüchtlingskrise könnten alte Konflikte auf dem Balkan wieder aufleben, das müssen wir verhindern."

Ralf Borchard, R. Borchard, ARD Wien, 24.10.2015 17:27 Uhr