Eine junge Frau mit ukrainischer Flagge um die Schultern schreibt auf ein Pappschild.

Politikum Russisch in der Ukraine "Sprache als hybride Kriegswaffe"

Stand: 27.11.2023 11:00 Uhr

Immer weniger Menschen in der Ukraine sprechen im Alltag Russisch - als bewusste Abwendung vom Angreifer. Auch Gesetze sollen die ukrainische Sprache fördern. Die Debatte, wie weit die Vorschriften gehen sollen, prägen Extreme.

Von Peter Sawicki, ARD Kiew

An Deutlichkeit lässt es Dmitrij Gordon nicht vermissen. In einem Video wirbt er für seinen Telegram-Kanal, in dem es, wie er sagt, gewissenhaften und patriotischen Journalismus gebe. Er steht mitten in Kiew, hinter ihm ist der Chreschtschatyk zu sehen. Die wichtigste Straße der Hauptstadt der unabhängigen Ukraine, die "gegen Putins faschistisches Russland" kämpfe - so sagt es Gordon wörtlich. Er ist einer der bekanntesten Publizisten in der Ukraine - und zugleich eine Rarität, denn seine Inhalte präsentiert er weiterhin auf Russisch.

Wer in der Ukraine das Radio oder den Fernseher einschaltet, hört spätestens seit Februar 2022 praktisch nur noch Ukrainisch. Schon 2019 war ein Gesetz verabschiedet worden, das Ukrainisch als Amtssprache stärken sollte. Im Lichte der russischen Invasion bedienen sich im traditionell zweisprachigen Land aber immer mehr Personen des Ukrainischen.

Oleksij spricht zu Hause zwar weiterhin auch Russisch, er liest aber nur noch auf Ukrainisch, sagt der junge Mann aus Kiew. Olena, eine ältere Frau, die ebenfalls in Kiew lebt, hat sich dagegen abgewöhnt, Russisch zu sprechen: "Wir sprechen jetzt in der Familie ausschließlich Ukrainisch. Für mich hat das patriotischen Charakter."

Russische Abwertung als "Chochol" prägt

Auch Illarion Pavliuk, ein in der Ukraine bekannter Autor, ist auf die ukrainische Sprache umgestiegen. Für ihn ist die Nutzung des Ukrainischen auch dienstlich bedingt: Er leitet die Pressestelle des Verteidigungsministeriums. Doch seine Hinwendung zur Hauptsprache seines Landes begann bereits in der Kindheit, die er teilweise in Russland verbracht hat. Als Kind sei ihm das Konzept von Nationalität noch nicht bewusst gewesen, erzählt Pavliuk. In Russland sei er dann als "Chochol" bezeichnet worden - eine abfällige Bezeichnung für Ukrainer. "Man sagte mir auch, dass es die ukrainische Sprache nicht gebe, das sei ein verzerrtes Russisch. Ich habe dann geweint", erinnert sich Pavliuk.

Diese Erfahrung habe ihn geprägt, so der Autor mehrerer Bücher. Zwar seien, wie er einräumt, viele Menschen in der Ukraine rein russischsprachig aufgewachsen. Dies sei auf das imperiale Erbe Russlands zurückzuführen, betont Pavliuk: "Die Ausbreitung der russischen Sprache in der Ukraine war künstlich. Im 19. Jahrhundert war es zum Beispiel verboten, Schlaflieder auf Ukrainisch zu singen. Heute setzen die Russen die russische Sprache als hybride Kriegswaffe ein, um Einfluss in der Ukraine auszuüben."

"Niemandem im Alltag eine Sprache vorschreiben"

Tatsächlich hat die Sprachnutzung im Land weiterhin Spaltpotenzial. Ein extremes Beispiel ist Iryna Farion. Die ultranationalistische Politikerin und Professorin der Linguistik aus Lwiw hat sich kürzlich abfällig über russischsprachige ukrainische Soldaten geäußert: Sie könne sie nicht als Ukrainer bezeichnen, wenn sie nicht Ukrainisch sprächen. Es sei dumm, Russisch zu sprechen und dabei in der ukrainischen Armee zu kämpfen, sagte Farion. Diese Aussage kostete sie gleichwohl ihren Job an einer Hochschule in Lwiw. Studenten hatten zuvor ihre Entlassung gefordert.

Auch Illarion Pavliuk kritisiert Farion scharf - betont aber ebenso, dass sie mit ihrer Haltung klar in der Minderheit sei. Gleichzeitig verteidigt Pavliuk Maßnahmen zur Stärkung der ukrainischen Sprache, die derzeit auch ein teilweises Verbot von Büchern und Musik aus Russland beinhalten. Dies diene dem Schutz der eigenen Kultur, meint er.

Ins Privatleben der Bevölkerung will er sich aber nicht einmischen: "Man kann niemandem eine Sprache im Alltag vorschreiben. Das widerspricht dem wichtigsten Wert der Ukrainer, also der Freiheit. Sie können Krimtatarisch, Englisch oder Russisch sprechen. Bitte sehr. Ich finde aber, dass der Prozentsatz der Menschen, die zum Ukrainischen wechseln, höher sein sollte. Doch es muss eine persönliche Entscheidung sein."

Der Autor und Staatsdiener ist sich außerdem sicher, dass Russisch in der Ukraine als Sprache bestehen bleiben kann. Aber in veränderter Form: Er glaubt, dass Russisch in der Ukraine in den kommenden zehn Jahren auf natürliche Weise eine geringere Rolle spielen werde - im Gegensatz etwa zu Polnisch. Das liege daran, dass Polen Freunde und Verbündete der Ukraine seien, Russland das Land dagegen überfallen habe. Eigentlich sei es ganz einfach, meint Pavliuk: Russisch solle in der Ukraine bloß eine Fremdsprache wie jede andere sein. Nicht mehr und nicht weniger.

Peter Sawicki, ARD Kiew, tagesschau, 27.11.2023 10:00 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 27. November 2023 um 05:20 Uhr.