Evakuierte aus Cherson in Dschankoj | dpa

Russische Anordnung Zivilisten sollen Cherson sofort verlassen

Stand: 22.10.2022 18:06 Uhr

Die russischen Besatzungsbehörden erwarten offenbar einen ukrainischen Angriff auf Cherson: Alle Zivilisten sind aufgerufen, die besetzte Stadt sofort zu verlassen. Eine Teilevakuierung läuft offiziell seit Tagen.

Angesichts der vorrückenden ukrainischen Truppen haben die von Russland installierten Behörden in der südukrainischen Region Cherson die vollständige Evakuierung der gleichnamigen Regionalhauptstadt angeordnet. In einer Mitteilung auf Telegram rief die Verwaltung alle Zivilisten auf, die Stadt unverzüglich zu verlassen. Auch die gesamte Zivilverwaltung müsse auf das Gebiet östlich des Flusses Dnjepr verlegt werden, hieß es.

Konfliktparteien als Quelle

Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.

Damit gingen die Behörden über die am Mittwoch von Statthalter Wolodymyr Saldo angeordnete Teilevakuierung der Stadt hinaus. Diese hatte mit Russland kooperierende Behördenmitarbeiter und bis zu 60.000 Zivilisten umfasst. Es ist unklar, wie viele Menschen sich noch in der Stadt befinden und ob diese die Stadt überhaupt verlassen wollen. Die Zivilisten sollen Bootsüberfahrten über den Fluss nutzen und sich tiefer in von Russland kontrolliertes Territorium zu begeben.

Die russischen Besatzer erwarten offenbar einen bevorstehenden Angriff der ukrainischen Streitkräfte auf die Großstadt, die am westlichen Ufer des Dnjepr liegt. Dabei verwiesen die Statthalter Moskaus auf eine angebliche Bedrohung durch ukrainischen Beschuss und "Terrorattacken", wie sie es formulierten.

Seit Monaten unter russischer Kontrolle

Die Stadt Cherson ist seit den frühen Kriegstagen unter russischer Kontrolle, in Friedenszeiten lebten in ihr ungefähr 290.000 Menschen. Die ukrainischen Truppen hatten im Süden des Landes zuletzt ihren Druck auf die russischen Invasionstruppen verstärkt. Unter anderem wurden nach Angaben der ukrainischen Armee Versorgungsrouten über den Dnjepr zerstört oder beschädigt. Dies lässt sich mit Satellitenbildern belegen. Dies erschwert die Verorgung der russischen Soldaten westlich des Flusses sowie die der Stadt Cherson.

Russland hatte die vier ukrainischen Regionen Cherson, Saporischschja, Donezk und Luhansk Ende September völkerrechtswidrig für annektiert erklärt. Vergangenen Mittwoch verhängte der russische Präsident Wladimir Putin per Erlass das Kriegsrecht in diesen Regionen.

Ukrainische Behörden hatten an die Einwohnerinnen und Einwohner Chersons appelliert, sich einer Evakuierung zu widersetzen. Ein örtlicher Repräsentant warf Russland vor, Zivilisten als Geiseln nehmen und als menschliche Schutzschilde missbrauchen zu wollen.

Wenig bekannt über Situation an der Front

Über Kämpfe an den Fronten, an denen die russischen Streitkräfte in den vergangenen Wochen Niederlagen erlitten haben, sind wenige Details bekannt. Russland setzte unterdessen nach ukrainischen Angaben seine schweren Angriffe auf nicht militärische Ziele wie insbesondere die Strom -und Wasserversorgung fort. Hunderttausende Menschen im Zentrum und im Westen des Landes erwachten zu Stromausfällen und dem Klang von Schüssen. Die ukrainische Luftverteidigung versuchte, russische Drohnen und eintreffende Raketen abzufangen.

Dunkelgrün: Vormarsch der russischen Armee. Schraffiert: von Russland annektierte Gebiete.  | ISW/21.10.2022

Dunkelgrün: Vormarsch der russischen Armee. Schraffiert: Von Russland annektierte Gebiete. Bild: ISW/21.10.2022

Die Luftwaffe teilte mit, Russland habe "einen massiven Raketenangriff" auf "kritische Infrastruktur" gestartet. Auch "mehrere Raketen", die auf die Hauptstadt Kiew abgezielt hätten, seien abgefangen worden, berichtete Bürgermeister Vitali Klitschko. Ähnliche Berichte gab es von Gouverneuren in sechs westlichen und zentralen Regionen sowie aus der südlichen Region Odessa am Schwarzen Meer.

Über dieses Thema berichtete Inforadio am 22. Oktober 2022 um 15:01 Uhr.