
Großbritannien Notstand an den Zapfsäulen
Benzinmangel als Folge des Brexits? Von dieser Interpretation will die britische Regierung nichts wissen. Sie macht Panikkäufe für den Mangel verantwortlich. Ihre Gegenmaßnahmen überzeugen nur wenige Briten.
Viele Tankstellen im Vereinigten Königreich können derzeit weder Benzin noch Diesel anbieten, einige haben bereits geschlossen. An anderen Tankstellen bilden sich lange Schlangen, behindern den Verkehr.
Es sei frustrierend, sagt ein Taxi-Fahrer, ohne Benzin könne er nun mal nicht fahren. Und auch ein anderer Taxifahrer zeigt sich ratlos und fragt, was er denn nun tun solle.

Geduld gefragt: Vor einer Tankstelle in London hat sich eine lange Schlange von Pkw gebildet. Bild: REUTERS
Es dürfte noch schlimmer werden
Der Notstand nimmt alarmierende Züge an. Nach Angaben des Branchenverbandes Petrol Retailers Association, der rund 5500 unabhängige Tankstellen vertritt, haben mehr als die Hälfte der Tankstellen kein Benzin oder keinen Diesel mehr. Und Verbandschef Brian Madderson äußerte in der BBC die Befürchtung, die anderen Tankstellen würden sehr bald ausverkauft sein.
Grund für die Engpässe ist ein gewaltiger Mangel an Lastwagenfahrern. Wegen der Corona-Pandemie wurden etliche Fahrstunden und -prüfungen verschoben. Zudem wanderten wegen des Brexits etwa 20.000 - vor allem osteuropäische Fachkräfte - ab. Neue, strenge Einwanderungsregeln hemmen den Zuzug.
Regierung kritisiert Panik-Käufe
Die Regierung versucht zu beschwichtigen. Es gebe genug Benzin in den Raffinerien und Lagern, sagte Umweltminister George Eustice. Er empfahl, nur so viel Benzin zu kaufen, wie man normalerweise auch tanken würde. Es gebe zwar zu wenig Lkw-Fahrer, aber das sei "limitiert": "Die Ursache für diese Engpässe sind die Panikkäufe. "
Die Regierung hatte am Wochenende angekündigt, Arbeitsvisa für bis zu 5000 ausländische Lastwagenfahrer auszustellen. Die Visa sollen aber nur bis Weihnachten gelten.
Premierminister Boris Johnson hatte sich lange gegen Visa-Ausnahmen gesträubt, denn ein Ziel des Brexits war, die Freizügigkeit zu beenden. Die Regierung hofft, dass mehr Briten in Arbeit gebracht werden können und auch die Löhne steigen.
Reichen die Maßnahmen?
Edwin Atema, Lkw-Fahrer und Gewerkschafter aus den Niederlanden ist skeptisch, dass die Maßnahmen der Regierung Johnson greifen. Er mahnt einen Tarifvertrag für die Branche in Großbritannien an.
Es müsse mehr geschehen, fordert Atema. Die Fahrer, mit denen er gesprochen habe, seien nicht bereit, für diese kurze Zeit ins Vereinigte Königreich zu kommen und ein Problem zu lösen, dass die Briten selbst verursacht hätten.
Regeln gelockert
Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng setze gestern die Wettbewerbsregeln außer Kraft. Das ermöglicht es den Unternehmen, die Belieferung der Tankstellen abzusprechen und zu kooperieren. So sollen die Firmen entlastet werden.
Pläne, die Armee zur Versorgung der Tankstellen einzusetzen, sind offenbar wieder vom Tisch. Am Wochenende hatte es Hinweise gegeben, dass die Regierung den Einsatz des Militärs zur logistischen Unterstützung in Betracht ziehe.
Die Opposition kritisierte die Regierung scharf. Die finanzpolitische Sprecherin von Labour, Rachel Reeves, sagte, die Regierung sei inkompetent und wolle das Problem nicht wahrhaben.