
Selenskyj auf Sicherheitskonferenz Bitte um Unterstützung - und mehr Ehrlichkeit
Der ukrainische Präsident Selenskyj hat auf der Sicherheitskonferenz klare Worte an EU und NATO gerichtet. Die Ukraine könne nicht dauerhaft als Schutzschild gegen Russland dienen. Er forderte mehr Unterstützung - und eine ehrliche Aussage zu einem NATO-Beitritt.
Mit Standing Ovations ist der ukrainische Präsident auf der Münchner Sicherheitskonferenz empfangen worden. Doch der Mann, vor dessen Landesgrenzen in den letzten Wochen geschätzte 150.000 russische Soldaten zusammengezogen worden sind, ließ sich davon nicht lange beeindrucken. Er gab den Applaus symbolisch weiter an die eigenen Streitkräfte - und appellierte eindringlich an die anwesenden Staats- und Regierungschefs, die Ukraine stärker zu unterstützen.
Die Weltgemeinschaft stehe vor der größten Sicherheitskrise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. "150.000 schwer bewaffnete Streitkräfte" stünden an der Grenze zur Ukraine, "und wir werden hier vergessen". Die Sicherheitsarchitektur funktioniere nicht mehr. Die Charta der Vereinten Nationen werde verletzt durch eines ihrer Sicherheitsrats-Mitglieder, sagte er, und meinte damit Russland als eines der fünf ständigen Mitglieder im höchsten Gremium der UN. Es müsse jetzt eine neue Sicherheitsarchitektur aufgebaut werden, bevor es "Millionen von Toten" gebe. Nicht nur die Ukraine brauche Frieden - die Welt brauche Frieden.
Die Ukraine sehnt sich nach Frieden, Europa sehnt sich nach Frieden. Die Welt sagt, dass sie keinen Krieg möchte, während Russland sagt, es möchte nicht eingreifen: Irgendjemand lügt hier.
Schutzschild gegen eine der größten Streitkräfte der Welt
Die Annexion der Krim im Jahr 2014 sei ein Schlag ins Gesicht der gesamten Welt gewesen, fuhr der Präsident fort. Sein Land agiere seit acht Jahren als Schutzschild gegen eine der größten Streitkräfte. Die ukrainischen Soldaten würden auch jetzt ihr Land beschützen - "mit oder ohne unsere Partner". "Wir werden unsere Grenzen verteidigen, egal, wie viele Streitkräfte uns entgegenstehen, egal, ob mit oder ohne Unterstützung."
Klare NATO-Perspektive gefordert
Selenskyj dankte EU und NATO für ihre Unterstützung, forderte aber speziell von der NATO klare Aussagen bezüglich eines Beitritts. Es fehle nicht an der viel zitierten offenen Tür, sondern es fehlten offene, ehrliche Antworten, ob die Ukraine überhaupt Mitglied werden könne. Niemand sollte aber daran denken, dass die Ukraine ein permanenter Puffer zwischen dem Westen und Russland bleibe.
Er fühle sich dem Minsker Abkommen verpflichtet und strebe eine diplomatische Lösung an, betonte der ukrainische Präsident. Er dementierte zudem, dass es aus der Ukraine heraus einen Beschuss auf russisches Territorium gegeben habe. "Das ist eine Lüge", sagte er zu entsprechenden Berichten. "Wir werden nicht auf Provokationen reagieren", kündigt er zugleich an. Das Risiko eines Krieges sei groß, aber man werde nicht panisch werden.
Schnelle Rückkehr nach Kiew
Der Besuch Selenskyjs in München hatte zuvor bei einigen westlichen Partnern für Verwunderung gesorgt. US-Präsident Joe Biden sagte am Freitag, dass es angesichts der Gefahr eines Einmarschs für Selenskyj "vielleicht nicht die klügste Entscheidung" sei, an der Sicherheitskonferenz teilzunehmen. "Aber es ist seine Entscheidung", fügte Biden hinzu.
Selenskyj traf sich am Rande der Konferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz und der US-Vizepräsidentin Kamala Harris. Er erwarte "konkrete Vereinbarungen über die Bereitstellung zusätzlicher militärischer und finanzieller Unterstützung für unser Land", erklärte sein Büro. Selenskyj werde am späten Samstagabend wieder nach Kiew zurückkehren.