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EuGH-Urteil zur polnischen Justizreform Warschauer Schulterzucken

Stand: 06.06.2023 04:27 Uhr

Die Regierung in Warschau hat wie erwartet auf das EuGH-Urteil zur polnischen Justizreform reagiert: mit einer Mischung aus Verachtung und Empörung. An eine Kurskorrektur wird jedenfalls nicht gedacht.

Der Richter am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg hatte noch nicht zu Ende gesprochen, da wusste das regierungskonforme öffentliche Fernsehen TVP schon, was von dem Urteil zu halten ist. "Der EuGH kompromittiert sich erneut selbst", war da in großen Buchstaben zu lesen.

Überraschend war das nicht, genauso wenig wie die Reaktion der polnischen Regierung selbst. Zu lang ist schon die Liste der EuGH-Urteile gegen die Eingriffe der PiS-Partei in die Unabhängigkeit der Justiz, als dass es in Polen noch Welle machen würde.

Entsprechend schulterzuckend meldete sich dann auch der polnische Minister für Europafragen, Szymon Szynkowski vel Sęk, zu Wort:

Das Urteil wird jetzt analysiert, aber für heute gibt es dort nichts, was verursachen würde, dass wir an irgendeine dringende Gesetzesänderung denken müssten, um das Urteil umzusetzen. Die Elemente, die dort genannt wurden, befinden sich im Gesetzesentwurf und der wird am Verfassungsgericht geprüft.
Szymon Szynkowski vel Sęk, Polens Minister für Europafragen

Einbehalten von Geldern zeigt Wirkung

Tatsächlich war es der EU-Kommission mit Hilfe des EuGH 2021 gelungen, die PiS unter Druck zu setzen. Eine Million Euro Strafe täglich musste das Land zahlen für seine umstrittene Disziplinarkammer - ein Sondergericht zur Sanktionierung unliebsamer Richter.

Die Kammer sollte ausgesetzt werden, hatte der EuGH entschieden - war aber von der PiS ignoriert worden. Also wurde es teuer: 556 Millionen Euro, die die EU nicht auszahlt. Dazu kommen 35 Milliarden Euro aus dem Corona-Wiederaufbaufonds, die ebenfalls zurückgehalten werden.

Justizminister: EuGH ist korrupt

Und die PiS ist eingeknickt. Unter Flüchen hatte die Regierung im Januar eine Reform der Reform verabschiedet, gerade so viel, um eventuell noch rechtzeitig vor den Wahlen im Spätherbst an die EU-Gelder zu kommen. Das Gesetz aber liegt beim Verfassungsgericht zur Prüfung, und das - ein Paradox - ist in Folge der PiS-Justizreform in sich derart zerstritten, dass es nicht handlungsfähig ist.

Also verlegt man sich im Regierungslager wahlweise auf Abwarten oder Schimpfen. Der EuGH sei korrupt, das Urteil politisch manipuliert, erklärte Justizminister Zbigniew Ziobro.

EU-Strafe fällt vorerst weg

Das Urteil sei eine Bankrotterklärung für Polens Regierung, findet die politische Konkurrenz - auch das nicht überraschend. Es sind die Juristen, die seit Jahren am heftigsten leiden. Macej Gutowski zum Beispiel, Juraprofessor an der Universität Posen:

Das ist eine bittere Niederlage für uns alle, denn sie bedeutet, dass wir in einem Land leben, in dem das Justizsystem aus den üblichen Standards zivilisierter Länder herausfällt.
Macej Gutowski, Juraprofessor an der Universität Posen

Die PiS-geführte Regierung aber ist vorerst sogar ein wenig Druck losgeworden. Die tägliche Millionenstrafe, die zuletzt auf eine halbe Million pro Tag reduziert worden war, war ein Zwangsgeld bis zum finalen Urteil. Das kam am Montag, damit fällt die Strafe erstmal weg. Und kommende Woche soll das polnische Verfassungsgericht darüber beraten, inwiefern Strafen des EuGH in Justizfragen für Polen überhaupt bindend sind.

Martin Adam, ARD Warschau, tagesschau, 06.06.2023 05:10 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 05. Juni 2023 um 21:45 Uhr.