Staats- und Regierungschefs der 30 NATO-Mitglieder
Analyse

Nach NATO-Gipfel Zurück in die Zukunft

Stand: 30.06.2022 18:35 Uhr

Milliarden für Rüstung, Norderweiterung, der scharfe Ton gegenüber Russland - die neue NATO-Strategie erinnert ein wenig an vergangene Zeiten. Dennoch stellt sich das Bündnis damit gut für die Zukunft auf.

Eine Analyse von Kai Clement, ARD Berlin

Es ist einer dieser Gipfelmomente, wo zwei Diplomaten scheinbar vertraulich zusammensitzen, in diesem Fall NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg mit US-Präsident Joe Biden. Biden weiß aber natürlich genau, dass seine Botschaft genug Kameras und Mikrofone findet. Er sagt: "Putin wollte die Finnlandisierung Europas. Er bekommt aber die NATOisierung Europas."

Abschluss des NATO-Gipfels in Madrid

Natalia Bachmayer, ARD Madrid, tagesschau, tagesschau, 30.06.2022 20:00 Uhr

Was erst etwas rätselhaft klingt, erinnert daran, dass Finnland zuletzt bündnisfrei war, nun aber den Schutzschirm der NATO sucht. Genau wie Schweden. Die Botschaft dieses NATO-Treffens lautet: neue Einigkeit, neue Mitglieder, neue Entschlossenheit. Ein historischer Gipfel - wohl kaum eine Beschreibung wurde häufiger benutzt. Bei alledem klingt auch die "Zeitenwende" von Bundeskanzler Olaf Scholz durch.

"Auf alles vorbereitet"

Die NATO obsolet? Hirntod gar? Was der damalige US-Präsident Donald Trump und der französische Präsident Emmanuel Macron einst diagnostizierten, hat nichts mehr mit der NATO von heute zu tun. Die ist vielmehr, so behauptet es jedenfalls Stoltenberg, "auf alles vorbereitet". Auch darauf, Finnland und Schweden zu schützen, so wie alle übrigen Bündnismitglieder.

Gefährlicher und unvorhersehbarer sei die Welt von heute, sagt der Generalsekretär. In dieser Welt muss die NATO sich erst noch bewähren. Dafür geht sie erprobte Wege aus dem Kalten Krieg: Aufrüstung, Einsatzbereitschaft drastisch erhöhen, Waffen verlegen - kurz: Abschreckung. Damit es in Moskau ja keine Missverständnisse gibt, so der Generalsekretär. Und: Partnerschaften stärken, etwa im Indo-Pazifischen Raum mit Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland. Oder mit Mauretanien und Tunesien im nördlichen Afrika.

Auseinandersetzungen auch im All und Cyberspace

Doch der Konflikt heute ist ein Kalter Krieg 2.0. Einer, der auch im Weltall stattfinden kann oder im Cyberraum. Zudem einer, der auf die "aktuell kleinste Bundeswehr aller Zeiten" treffe, wie das André Wüstner vom Bundeswehrverband beschreibt. Angesichts der deutschen Zusagen in Madrid dürfte die Bundeswehr vor einem Kraftakt stehen.

Die neuen Antworten der NATO auf die neuen Herausforderungen: Sie legt zum Beispiel ein Innovationsfonds von einer Milliarde Euro auf und nimmt auch den Klimawandel "als prägende Herausforderung" in ihr Strategiepapier auf.

Vage bei Herausforderungen durch Klimawandel

Daran erinnert Außenministerin Annalena Baerbock in Madrid: "Menschliche Sicherheit ist mehr als Militär. Die größte Gefahr ist die Klimakrise für das nächste, für dieses Jahrhundert". Auch dieser "neuen, bitteren Realität" stelle man sich mit dem in Madrid beschlossenen neuen Strategischen Konzept. Was das konkret für die NATO bedeutet, klingt jedoch vorerst recht vage. So bleibt erst einmal nur die Ankündigung hängen, auch das Bündnis wolle bis 2050 klimaneutral werden.

Der ehemalige Außenminister Sigmar Gabriel hat bereits vor einem Vierteljahr in einem Gastbeitrag für den "Tagesspiegel" vor diesem neuen "Kalten Krieg" gewarnt, und zwar mindestens solange, wie Putin Russland führe. Doch diese Neuauflage "dürfte im Zeitalter von Cyberattacken, hybrider Kriegsführung und Fake News weitaus gefährlicher werden als der ‚alte‘, relativ berechenbare ‚Kalte Krieg‘". Gabriel erinnert auch daran, dass die heißen Kriege damals außerhalb Europas ausgefochten wurden. Auch das gilt heute bekanntlich nicht mehr.

Scharfer Ton gegenüber Russland

Was gleich geblieben ist zwischen altem Kalten Krieg und der neuen Realität des Kalten Krieges 2.0 sind der scharfe Ton und ein umfassendes Misstrauen der anderen Seite gegenüber. Russlands Präsident Putin wirft der NATO "imperiale Ambitionen" vor. Die Replik von Bundeskanzler Scholz kam umgehend: Er finde das "ehrlicherweise ziemlich lächerlich". Die NATO sei eine defensive Allianz, sie greife keine anderen Länder an. Scholz sagt: "Tatsächlich ist es Putin, der Imperialismus zum Ziel seiner Politik gemacht hat und zum Gegenstand seiner Politik."

Und noch eines gehört zu der neuen NATO: Sie ist auch ein finanzieller Kraftakt. Auf diese hohen Kosten weist Scholz bereits bei seiner Ankunft in Madrid hin. Das gibt ihm auch eine Gelegenheit, noch einmal an die Idee des 100 Milliarden Euro Sondervermögens für die Bundeswehr zu erinnern. Die Rückkehr der Rüstungsmilliarden - auch das erinnert dann wieder an Zeiten des Kalten Krieges.

Kai Clement, Kai Clement, ARD Berlin zzt. Madrid, 30.06.2022 19:29 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 30. Juni 2022 um 17:01 Uhr.