Elena Milaschina

Nach Überfall in Tschetschenien Journalistin Milaschina nach Moskau ausgeflogen

Stand: 06.07.2023 02:40 Uhr

Nach dem Überfall auf die Journalistin Milaschina und den Rechtsanwalt Nemow in Tschetschenien sind beide in ein Krankenhaus in Moskau überführt worden. Der Kreml bezeichnete den Vorfall als "schwerwiegenden Angriff".

Die in Tschetschenien überfallene und verletzte Investigativjournalistin Jelena Milaschina und der ebenfalls verletzte Rechtsanwalt Alexander Nemow sind nach Moskau ausgeflogen worden. Beide seien in ein Krankenhaus in der russischen Hauptstadt überführt worden, berichtete der frühere Chefredakteur des aufgelösten kremlkritischen Radiosenders "Echo Moskwy", Alexej Wenediktow, im Messengerdienst Telegram.

Wenediktow hatte zusammen mit dem russischen Friedensnobelpreisträger und Journalist Dmitri Muratow seine Kollegin Milaschina und Nemow mit dem Flugzeug aus Tschetschenien zurück nach Moskau geholt. Muratow ist Chefredakteur des im Exil im Ausland arbeitenden kremlkritischen Mediums "Nowaja Gaseta", für das die russische Journalistin Milaschina seit Jahren arbeitet und auch aus Tschetschenien berichtet.

In Russland wurde nach dem Angriff ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Das für schwere Verbrechen zuständige Ermittlungskomitee teilte mit, es ermittle wegen "mäßiger" und "leichter" Körperverletzungen bei dem Angriff auf Milaschina und Nemow. 

"Sie hielten uns eine Waffe an den Kopf"

Milaschinas Verfassung beschrieb Muratow weiterhin als besorgniserregend. "Ihr Zustand ist, offen gesagt, schwierig", sagte er der Nachrichtenagentur AFP. Unbekannte hatten Milaschina und Nemow auf dem Weg in die tschetschenische Hauptstadt Grosny brutal zusammengeschlagen, als sie dort einem Gerichtsurteil beiwohnen wollten. Dabei wurde die Investigativjournalistin schwer verletzt. Die russische Menschenrechtsorganisation Memorial hatte nach der Attacke mitgeteilt, Milaschina seien die Finger gebrochen worden, sie habe Prellungen "am ganzen Körper" und verliere zeitweise das Bewusstsein.

In einem Video aus dem Krankenhaus beschrieb Milaschina den Vorfall: "Sie warfen den Taxifahrer raus, sprangen ins Auto, drückten unsere Köpfe nach unten, fesselten meine Hände (...) und hielten uns eine Waffe an den Kopf", sagte sie. Die russische Menschenrechtsbewegung Komitee gegen Folter veröffentlichte Fotos von Milaschina im Krankenhaus. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hatten die Angreifer ihr die Haare abrasiert und sie mit grünem Färbemittel übergossen. Die Angreifer hätten auch versucht, ihren Zeigefinger abzuschneiden, um ihr Handy zu entsperren, so Milaschina. Nur weil das Gerät in dem Moment ihren Fingerabdruck nicht erkannt habe, hätten die Täter von ihrem Vorhaben abgelassen. Laut Memorial wurden zudem Dokumente und Technik zerstört.

Milaschina und Nemow waren nach dem Überfall zunächst aus Tschetschenien in ein Krankenhaus in der benachbarten Kaukasusrepublik Nordossetien gebracht worden.

Kreml spricht von schwerwiegendem Angriff

Tschetscheniens Machthaber Ramsan Kadyrow versicherte, er habe die zuständigen Stellen beauftragt, "alles in die Wege zu leiten, um die Angreifer zu identifizieren". Der tschetschenische Informationsminister Achmed Dudajew machte ohne die Vorlage von Beweisen "westliche Geheimdienste" für den Angriff verantwortlich, warf Milaschina aber zugleich vor, sie habe die tschetschenischen Sicherheitsbehörden "über Jahre hinweg beleidigt".

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow erklärte, Präsident Wladimir Putin sei über den Vorfall unterrichtet worden. Es handele sich um einen "sehr schwerwiegenden Angriff, der strenge Maßnahmen erfordere". Später teilte Peskow mit, die Untersuchung des Falls brauche Zeit, die Ermittler täten ihre Arbeit. "Lassen Sie uns abwarten", so der Kreml-Sprecher. "Alle Reaktionen wurden verbreitet, und jetzt werden alle Maßnahmen ergriffen."

Berichte über Menschenrechtsverletzungen

Die preisgekrönte Investigativjournalistin Milaschina hatte jahrelang für die "Nowaja Gaseta" über schwere Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien wie etwa außergerichtliche Hinrichtungen berichtet. Im Februar 2022 musste sie nach Angaben ihrer Zeitung nach Drohungen Kadyrows, der sie als "Terroristin" bezeichnete, Russland kurzzeitig verlassen. Bereits 2020 hatte Tschetscheniens Machthaber Milaschina mit dem Tod bedroht. Kadyrow führt die Republik im Nordkaukasus mit harter Hand. Menschenrechtler beklagen immer wieder schwerste Verbrechen, darunter Mord, Folter und Verfolgung.

Bei der "Nowaja Gaseta" wurden seit dem Jahr 2000 sechs Journalisten und Mitarbeiter getötet, darunter die Enthüllungsreporterin Anna Politkowskaja.

Stephan Laack, ARD Moskau, tagesschau, 04.07.2023 18:19 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 04. Juli 2023 um 23:35 Uhr.